Quer durch Galerien
Die Flugunlust der Vögel
Von Claudia Aigner
Ornithologie - auch nur eine Form von Luftraumüberwachung.
Jemandem einen Vogel zu zeigen (das Vogerl hinter der Stirn) ist aber
keine ornithologische Handlung (sondern die reflexartige Erstellung eines
psychologischen Gutachtens). Wer unter einem strahlend blauen Himmel einen
Regenschirm aufspannt, ist ja auch nicht gleich ein Meteorologe (ein
Meteorologe auf der Suche nach Inspiration). Wenn nun Nancy Haynes
(bis 29. Juni bei Hubert Winter, Breite Gasse 17) ein abstraktes blaues
Bild "Ornithologie" nennt, dann denkt sich der aufmerksame Betrachter, der
weiß, wie ein Vogel aussieht, und der sehnsüchtig in dieses Himmelblau
hineinmeditiert: Wahrscheinlich ist es nach dem 11. September einfach zu
barbarisch, einen Himmel zu malen, in dem Flugbewegungen stattfinden. Seit
jenem terroristischen Wetterumschwung, als ein ziviler, friedfertiger
Spätsommertag in New York und Washington sozusagen plötzlich "in Osama Bin
Laden umgeschlagen" ist, ist bekanntlich in jedem Hochhausbüro die
Flugangst serienmäßig eingebaut. Hätte Nancy Haynes ihr delikat
ätherisches Blau (eigentlich ein durch und durch romantisches,
schmachtendes Bild) also "11. September, 8.35 Uhr - Warten auf die Boeing
767" genannt, wäre das kein Blau für romantische Anwandlungen (fürs
Fernweh oder Vogerlschauen), sondern ein unheilschwangerer
Kamikaze-Himmel. Das ist eben die Suggestionskraft des Bildtitels, der ich
mich immer wieder gern und leichtgläubig ergebe. "Nach dem 11.
September": ein dunstig gestisches orange-grünes Bild. Sieht tatsächlich
nach einer Mischung aus Husten, Staub und Kerosin aus, kurz: nach den
Zutaten vom 11. September. Natürlich. In einem knallroten Bild würde man
ja auch eindeutig den Sonnenbrand erkennen (sofern es betitelt wäre:
"Unterm Ozonloch"). Titel hin oder her: Haynes ist eine opulente Malerin
(quasi "opulent diszipliniert"), die mit der Spannung zwischen schlampigen
Rändern und präzisen Mittelfeldern, mit sanften und brutalen Übergängen
und mit dem Reiz des Unfertigen spielt (ohne jetzt von abstraktem
Ruinenkult sprechen zu wollen). Shanghai liegt neuerdings am
Donaukanal. Das wird doch nicht diese ominöse Kontinentaldrift sein? Heißt
das, dass "unser" Schwedenplatz jetzt irgendwo am Panamakanal liegt (weil
die Wege der Plattentektonik nur für Geologen nicht unergründlich sind)?
Nein. Akelei Sell (bis 14. Juni in der Galerie am Park, Liniengasse 2 a)
hat in ihren zarten, luftigen Fotoarbeiten, die wie mehr oder weniger
milchige Erscheinungen im Nebel (oder im Smog) anmuten, einfach so manches
behutsam und feinsinnig überlagert: Huangpu-Fluss und Donaukanal, das alte
und das neue Shanghai. Und nennt es "air mail from Shanghai". Die mag zwar
nicht mit dem Papierflieger oder einem Zeppelin zugestellt worden sein, in
ein unpoetisch lautes Flugzeug kann man sich diese subtile "Luftpost" aber
am wenigsten hineindenken. Was wie asiatische Rollbilder frei im Raum
hängt, hat ja, wenn man es anbläst, fast die "Aerodynamik" von
Gardinen bei offenem Fenster. Nein, Matthias Kralj (bis 19. Juni in
der Fichtegasse 1) ist kein Dachdecker. Trotzdem dürfte er eine besondere
Schwäche für Dächer haben (allerdings auch für andere unspektakuläre
Details). Das Schöne dabei: Bei allem Interesse an der Reduktion und an
Farbflächen hängt immer eine ganz spezielle Lichtstimmung über Kraljs
Dächern. Zugegeben: Die Bilder sind ziemlich traditionell. Und der
unkonventionelle Blick auf die Welt ist mittlerweile ja auch schon wieder
herkömmlich. Na und? Wen stört's?
Erschienen am: 07.06.2002 |
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