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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
03. November 2008
17:10 MEZ

Bis 28. 12.

Aus dem Archiv:
Die Halle zwischen Palast und Schloss
Am Dienstag hat, wie berichtet, der Berliner Senat die Errichtung eines Raums für zeitgenössische Kunst nach einem Entwurf von Adolf Krischanitz entschieden

 

Gerwald Rockenschaub bringt blauen Himmel und fröhliche Pixelwolken auf den Berliner Schlossplatz.


Kiste in der Kiste: Auf 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt Candice Breitz ihre Musikerporträts.

Facts:
Die Temporäre Kunstalle Berlin geht auf eine Initiative der Künstlerin Coco Kühn und Kulturmanagerin Constanze Kleiner zurück und wird seit März 2007 von der privaten Stiftung Zukunft Berlin unterstützt. Im Oktober des Vorjahres erteilt der Berliner Senat dem Projekt den Zuschlag. Der erste Spatenstich erfolgte im Juni 2008, keine fünf Monate vor Eröffnung.

Für die Bespielung des äußeren und inneren Raums werden jeweils Kuratoren beigezogen: Die ersten vier Ausstellungen kuratieren die Mitglieder des seit November 2007 bestehenden künstlerischen Beirats (Gerald Matt, Julian Heynen, Katja Blomberg und Dirk Luckow). Der Ausstellung von Candice Breitz folgt ab 28. Jänner 2009 eine Personale von Simon Starling. (kafe)

Link
Temporäre Kunsthalle Berlin


Provisorium mit Zukunft
Die Temporäre Kunsthalle Berlin wurde mit Candice Breitz eröffnet: Adolf Krischanitz' Holzbau bringt zumindest für zwei Jahre die Gegenwart auf den Schlossplatz

Berlin - Jetzt also auch in Berlin: eine simple Schachtel für Kunst nach dem Adolf-Krischanitz-Prinzip.

Temporäre Kunsthalle Berlin nennt sich das Unternehmen, das, entstanden aus einer Privatinitiative, zumindest vorübergehend die Gegenwart auf den Berliner Schlossplatz bringt. Soll doch in zwei Jahren der Kunstzauber mit dem Himmel, so wie Gerwald Rockenschaub ihn versteht - grob gepixelt -, wieder weg sein. Soll doch dann eine ganz und gar nicht gegenwärtige Kiste den Schlossplatz dominieren: Die "kritische" Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, gebaut, um auch noch die letzte Erinnerung an DDR-Zeiten zu löschen.

Vom Palast der Republik stehen nur mehr die Stiegenhäuser - und inmitten der offenen Kellergeschoße und Fundamente nun diese blaue Schachtel mit 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche und einer Bar (Friedrichs) mit großzügigem Freigelände.

Und das Wien-Prinzip - Kunst an Milchcafé, Bier und Cocktails - sollte auch in Berlin aufgehen. Die Eröffnung war gut besucht, und die Schau - ebenfalls in Ansätzen aus Wien übernommen - bietet leichte Kost für alle Berliner: Kunsthalle-Wien-Direktor Gerald Matt hat Candice Breitz ausgewählt, um die Berliner gleich vorweg mit der in Wien einst so umstrittenen blauen Kiste auszusöhnen. Die in Johannesburg geborene Candice Breitz porträtiert Popstars: Bisher entstanden: Legend (A Portrait of Bob Marley), Queen (A Portrait of Madonna), King (A Portrait of Michael Jackson) und Working Class Hero (A Portrait of John Lennon).

John Lennons Jünger

Da man über diese Popstars ohnehin schon alles weiß, lässt Candice Breitz auch alles Wissenswerte weg. Übrig bleiben Texte und Melodien, interpretiert von Fans der härteren Sorte. Im Fall von John Lennon muss man sich das jetzt so vorstellen: 25 Jünger geben Lennons erstes Soloalbum John Lennon / Plastic Ono Band von 1970 zu ihrem jeweils Besten. Und Candice Breitz bastelt aus den Ton- und Videospuren dann eine Choralversion auf 25 parallel geschalteten Monitoren. Übrigens exakt in der Originallänge von 39 Minuten und 55 Sekunden.

So etwas hält die stärkste Badewanne nicht aus und wird deswegen eher im Kunstkontext vertrieben. Das Lennon-Tribute etwa wurde von der Londoner White Cube Gallery produziert und hatte 2006 in Gateshead Premiere. Dort fanden sich nebst dem Publikum von White Cube, welches man sonst auch gerne auf der Londoner Frieze Art Fair oder der Art Basel in Miami Beach antrifft, vor allem Familienmitglieder der Interpreten. Die Pop-Geschichte weiß von den Originalaufnahmen zu Working Class Hero zu berichten, dass Lennon sich zu der Zeit nicht nur Yoko Ono, sondern auch Dr. Arthur Janovs angeblich Traumata löschenden Urschreitherapie zu widmen hatte.

Die Fans dürften sich die Anekdote zu Herzen genommen haben. Jeder Auserwählte müht sich ab, sein Innerstes nach außen zu kehren. Was vor allem auch den absolut mangelhaften Beitrag des englischen Gesundheitssystems zur Zahnhygiene ungeschminkt aufdeckt, aber auch von den insularen Eigenheiten betreffend die Ernährung zu berichten weiß. Der Rest ist pure Inbrunst: 25 vom eigenen Gemüt völlig ergriffene, eher einfache Gemüter schmettern eher schwer als "lyrics" erkennbare Zeilen ins Publikum: "As soon as you're born they make you feel small / By giving you no time instead of it all / Till the pain is so big you feel nothing at all / A working class hero is something to be / A working class hero is something to be / They hurt you at home and they hit you at school / They hate you if you're clever and they despise a fool / Till you're so fucking crazy you can't follow their rules ..."

Band-Aid-Video-Clip

Und also erkennt der geübte Kunstfreund sofort die kritische Analyse der jüngeren Sozialgeschichte Großbritanniens in der liebevollen Persiflage auf das Genre Band-Aid-Video-Clip.

Warum Candice Breitz? Sie arbeitet ebenso in Berlin (derzeit an einem Jack-Nicholson-Porträt, das noch in die laufende Ausstellung eingespeist werden wird) wie jene Künstler, denen die kommenden Ausstellungen gewidmet sind: Simon Starling, Katharina Grosse, Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla. In einer nächsten Serie soll dann die jüngere Berliner Szene vorgestellt werden. Und: Provisorien halten meist länger als geplant. Vielleicht auch in Berlin. (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe, 04.11.2008)

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