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04.02.2006 - Kultur&Medien / Kultur News
Toller Taumel im "Wien um 2000"
VON ALMUTH SPIEGLER
"Kunst fürs 20er Haus". Die Österreichische Galerie zeigt, welche Kunst sie aus dem 20. Jahrhundert filterte.

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ichtig sentimental können bevor zugte Jahrgängler wie Architekt Adolf Krischanitz werden, erinnern sie sich an "früher", als sich im Schwanzer-Pavillon beim Südbahnhof noch die junge Wiener Kunstszene traf und dort etwa versuchte, Peter Weibels rasantem "Hotel Morphila Orchester" zu folgen. Richtig neidisch dagegen können da weniger bevorzugte, jüngere Semester werden. Sie erlebten das "20er Haus" gerade noch als verwunschenen Ort einiger wichtiger, aus dem damaligen Museum moderner Kunst im Palais Liechtenstein ausgelagerter Personalen u. a. von Nam June Paik, Maria Lassnig. Seit fünfeinhalb Jahren, als das Mumok ins MQ zog, ist auch damit Schluss. Das baufällige, nie die Massen bewegende Architekturjuwel der 50er wurde der Österreichischen Galerie zugesprochen - und versank in einem Sumpf aus unregelmäßiger Nutzung und unerquicklichen Finanzierungsdebatten.

Jetzt wirft der scheidende Belvedere-Direktor Gerbert Frodl allerdings doch noch die "Propaganda"-Maschine an, ließ den Historismus im Westflügel der Beletage des Haupthauses abhängen und in einer Ausstellung vorführen, was einmal alles im "20er Haus" zu sehen sein wird können. Was? Kunst von 1918 bis heute. Einmal? Ende 2007, hofft Frodl noch immer. Auch wenn das Wirtschaftsministerium erst die vier Mio. € für die Sanierung bewilligt hat.

Woher die restlichen sieben Millionen Euro für die Verwirklichung des Krischanitz-Ausbaus samt unterirdischer Verdoppelung der Fläche auf 7200 Quadratmeter und gläsernem Büroturm kommen sollen, bleibt ungewiss. Frodl hofft auf private Sponsoren.

Wie auch immer. Die Ausstellung "Kunst fürs 20er Haus" ist weit mehr als ein Hors d'OEuvre. Sie gibt erstmals einen umfassenden Überblick darüber, welche Kunst die Österreichische Galerie aus dem 20. Jahrhundert gefiltert hat. Dabei spiegeln sich die Schwächen einer allzu braven österreichischen Moderne, der die traditionelle Sammlungspolitik des Hauses, die sich nach dem Krieg vorwiegend auf heimische Kunst konzentrierte, auch nicht wesentlich gegengesteuert hat. Trotzdem gibt es großartige Ausreißer, wie das große Familien-Porträt von Anton Kolig - das im selben Raum mit einem Plexiglas-Objekt von Nachfahre Cornelius Kolig zusammengeführt wird.

Hier zeigt sich gut die - nicht immer aufgehende - Strategie von Kurator Franz Smola, aus einer Chronologie auszubrechen und thematisch wie formal motivierte Gegenüberstellung zu wagen: Am stimmigsten funktioniert das bei einer neuen wilden Plastilin-Collage von Gelitin, die einen gemeinsam mit Oskar Laskes überbordendem Narrenschiff in tollen Taumel versetzt. Wenn sich auf einer hässlichen grauen Stellwand aber ein monochrom weißer Zobernig zwischen einen kräftigen Weiler und einen zarten Rainer zwängen soll, beginnt man sich fast körperlich nach den lichten Galerien des "20er Hauses" zu sehnen.

Dieses Gefühl übermannt einen endgültig im von der Qualität her überwältigenden letzten Raum mit den jüngsten Exponaten. Hier hängt ein Foto der legendären Gelitin-Balkon-Aktion "The B-Thing". Hier strahlt eine wundervolle strenge Komposition der jungen Malerin Esther Stocker. Und hier läuft auf einer mickrigen Leinwand Markus Schinwalds Film "Dictio pii", der in der "Tate Modern" vorbeihastende Besucher auf die Sitzbänke zwingt. Kurator Thomas Trummer vermochte, ausgerüstet nur mit dem lächerlichen Betrag der Galerienförderung von 35.000 € pro Jahr, das Beste der viel versprechendsten Künstler anzukaufen.

Diese Qualität wird es sein, die der Ära Frodl einmal einen herausragenden Platz in der Geschichte der Österreichischen Galerie sichern wird - in der somit auf zwei für die österreichische Kunst wesentliche Jahrhundertwenden zurückgeblickt werden kann.

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