Sitzplätze für Schwarzfahrer

Kunst und Diskurs im Kunstraum Goethestraße.
Von Andreas Wolf.


"Dieser Sitz ist reserviert für Kinderschänder", steht auf einem Aufkleber in einer Straßenbahn. Zwei Mädchen, cirka zwölf und 13 Jahre alt, werden beobachtet, wie sie den Kleber heimlich entfernen. Die Reaktion der Mädchen wird interpretiert, das Ergebnis auf Plakate gedruckt: "Anscheinend wollen sie die Gefahr für sich bannen".

Die gewohnten Hinweisschilder, alten, gebrechlichen und schwangeren Personen die Sitzplätze zu überlassen, haben in den Straßenbahnen der Linie 1 in Linz Konkurrenz bekommen. Die Aufkleber mit einem großen, färbigen Kreis am linken Rand, sind den offiziellen Hinweisschildern täuschend ähnlich.

Ehebrecher, Vorbestrafte, Alkolenker

Neben der Aufforderung, die Sitze Kinderschändern zu überlassen, sollen diese auch für Ehebrecher, Vorbestrafte, Schwarzfahrer, Alkolenker und Taschendiebe frei bleiben. Die Reaktionen der Fahrgäste wurden beobachtet, statistisch ausgewertet, interpretiert und auf Plakate gedruckt. Zu sehen sind die Ergebnisse der Intervention "Punktuell" bis Mitte März im Kunstraum Goethestraße in Linz.


"Punktuell" ist eine von vier Arbeiten unter der Leitung von Harald Schmutzhard. In seinen Projekten versucht der Mitbegründer der Linzer Künstlergruppe "Sozial Impact", Menschen für die Kunst im öffentlichen Raum zu sensibilisieren. In den Arbeiten wird die Auseinandersetzung mit gesellschaftliche Tabuthemen, Kunstvermittlung durch Fotografie, der Umgang mit Zeit und Kunst an unerwarteten Orten thematisiert. Unterstützt wird Schmutzhard von Studierenden der Linzer Kunstuniversität.

Mit dem Gutschein in die Galerie

Den Trick kennt man von Fotografen aus Jesolo. Wahllos fotografieren sie Touristen und geben ihnen dann ihre Visitenkarte. Am nächsten Tag kann man die Bilder im Atelier des Fotografen kaufen.

Im Projekt "Kontakkt" ging man ähnlich vor. Menschen in Warteschlangen wurden fotografiert. Zur Zeit sind die Wände des Kunstraumes Goethestraße mit Fotos von Wartenden vor dem Bus, an Supermarktkassen oder am Stadioneingang tapeziert. Mit einem Gutschein, den jeder der Fotografierten bekommen hat, kann man sich sein Bild abholen. Durch die Fotoaktion soll eine Brücke geschlagen werden zwischen den Kunstschaffenden und der an der Gegenwartskunst nur durchschnittlich interessierten Bevölkerung.

Zum Ausruhen vors Einkaufszentrum

Wie beim Après-Ski für Sonnenhungrige wurden Liegestühle im Projekt "Ruhezone" nebeneinander aufgestellt. Die blauen Liegen mit der weißen Aufschrift "Ruhezone" samt dazu passender Augenbinde wurden am Bahnhof auf der Nibelungenbrücke und vor einem Einkaufszentrum in der Innenstadt platziert. Wer wollte, konnte sich, beobachtet von Tausenden Passanten, im öffentlichen Raum entspannen.


In "Ruhezonen" ging es den Künstlern um die Reflexion des Alltagsstresses und der Relativierung des Zeitbegriffes. Die Liegen stehen derzeit in der Auslage des Kunstraumes und sollen hektischen Passanten eine Oase der Ruhe gönnen.

Aphorismen am Klo

Am Handtuchhalter der Toilette klebt ein Zettel mit dem Aphorismus: "Kunst darf auch schön sein". An Orten in Häusern der Kunst, an denen keine Kunst erwartet wird, sollen Besucher mit Kunst konfrontiert werden. Türen, Gänge und Stiegen des Ars Electronica Centers und des Zentrums für Gegenwartskunst werden zu einer Erweiterung des Ausstellungsraumes. Eine Ausstellung in der Ausstellung ist das Projekt "Kunstbetrachtungen" vom Vermittlungsclub "Substrat".


Zusammenarbeit mit Kunstuniversität

Bei den Projekten "Punktuell", "Kontakkt", "Ruhezone" und "Kunstbetrachtung" arbeitet der Kunstraum Goethestraße eng mit Studierenden der Linzer Kunstuniversität zusammen. Bisher waren die Arbeiten der Studierenden nur im Gebäude der Universität zu sehen. Mit weiteren Ausstellungen im Kunstraum soll jungen Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit gegeben werden, sich einem breiteren Publikum zu präsentieren.

Kunst und Diskurs

Neben dem Jahresschwerpunkt Kunstuniversität, versucht man in der Diskussionsreihe "Lectures" hinter die Kulissen zu blicken. Die Kunstvermittlerin Elvi Sonnberger stellt Bezüge zwischen den gezeigten Arbeiten, der Person des Künstlers, seinen gesellschaftlichen und politischen Realitäten her. Durch ein breiteres Informationsspektrum sollen die Arbeiten in einem erweiterten Kontext gesehen werden. Andere Betrachtungen der Arbeiten sind das gewünschte Resultat.

Neben den "Lectures" unterbricht eine sechsteilige Diskursreihe die jeweils aktuellen Ausstellungen. Im Laufe des heurigen Jahres sollen die Themenbereiche Medien, Kunstindustrie und Ökonomie, Arbeit und Gender, MigrantInnen und Widerstand diskutiert und analysiert werden. Diskussionsteilnehmer sind unter anderem: Marlene Streeruwitz, Boris Buden, Mark Terkessidis und Hatice Ayten.

Kunst im psychosozialen Kontext

Die Idee des 1998 von Maren Richter und Gerda Ridler gegründeten Kunstraumes ist es, zeitgenössische und experimentelle Kunst zu produzieren und zu präsentieren. Eingebettet in die Abteilung Kunst-Kultur des Trägervereines Pro Mente, ein Verein der sich um Menschen in psychischen Krisensituationen kümmert, bietet der Kunstraum auch psychisch Hilfsbedürftigen eine Plattform. Zumindest einmal im Jahr stellen Personen aus, die im Rahmen von "Pro Mente" künstlerisch tätig sind.

Deshalb sieht sich der Kunstraum auch als Mittler zwischen Kunst und Gesellschaft. Ein Bindeglied, das heuer verstärkt von Kunststudenten genutzt wird.

Link: Kunstraum Goethestraße

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