Der Kunstmarkt hat einen neuen Popstar: Der
achtjährige Schüler Kieron Williamson gilt als "Mini-Monet"
Kinderjahre eines jungen Meisters
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Wunderkind auf der Leinwand: Kieron Williamson und sein Aquarell
"Sunrise at Morston". Foto: Picturecraft Gallery; Kieron Williamson
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Von Peter
Nonnenmacher
Aquarelle,
Ölgemälde: Wunderknabe malt im Stil der Impressionisten.
Kieron verkaufte binnen einer halben Stunde 33
Bilder – für insgesamt 180.000 Euro.
London. Ob er
wirklich ein "Mini-Monet" ist, wird man sehen. Als "kleinen Picasso",
als "Van Gogh in Kinderschuhen" feiert ihn jedenfalls schon die
britische Presse. Einen wie ihn bekomme man "nur jede Generation einmal
zu Gesicht", gibt sich eine Gönnerin, die örtliche Kunstmalerin Carol
Ann Pennington, überzeugt. An Mozarts frühes Genie fühlt Pennington sich
erinnert: "So einer" sei Kieron – ein Wunderkind der Leinwand, auf der
Insel.
Der Vielgepriesene nimmt so viel historischen Anspruch gelassen.
Kieron Williamson aus Holt in der ostenglischen Grafschaft Norfolk steht
genau so gern auf dem Sportplatz wie an der Staffelei. Der Blondschopf,
der diesen Monat seinen achten Geburtstag feiert, hält sich für "den
besten Verteidiger" in seiner Fußballmannschaft. Freilich weiß auch
Kieron, dass sein Ruhm längst über den Club (und sogar über die Küsten
Britanniens) hinaus reicht und sich auf sein anderes, zweites Talent
gründet: Nämlich auf das der Malerei, mit der er Eltern und Kunstwelt
und eine rasch wachsende internationale Klientel entzückt.
Mit seinen Aquarellen und Ölgemälden, seinen Landschaften,
Hafenszenen, Windmühlen, mächtigen Norfolk-Himmeln und kleinen Weilern
hat sich der englische Junge einen Ruf geschaffen, der ihm jetzt schon
vorauseilt. Bei seiner dritten und bisher letzten Ausstellung sind vor
wenigen Tagen 33 seiner Bilder in einer Galerie in seinem Heimatort in
weniger als einer halben Stunde verkauft worden – für insgesamt 150.000
Pfund (180.000 Euro). Selbst aus den USA waren Williamson-Fans
angereist, um bei diesem Run auf die heißen Kunstsemmeln von Holt dabei
zu sein.
Fließband für Gemälde: 700 Sammler warten auf ein Bild
Vertrösten müssen sich jene, die einstweilen nicht zum Zug kamen: Die
Warteliste für Kieron-Produktionen ist 700 Namen lang. Kein Wunder,
dass sein Galerist Adrian Hill den Buben "einen der begehrtesten
britischen Künstler" und seine Gemälde einen "echten Hit" nennt. Dass
der Kleine schon heute wie ein erfahrener Maler seine Bilder
strukturiere, seine Farben mische und seine Schattierungen hinkriege,
lasse auf Großes für die Zukunft hoffen.
Von Tony Garner, einem Berufsmaler, der Kieron unterrichtet hat, war
im Londoner "Guardian" bereits jede Menge Lob über die Fähigkeiten
seines jüngsten Zöglings zu lesen. "Er sagt nicht viel, er fragt nicht
viel, er schaut einfach hin", berichtet Garner: "Er ist ein sehr
visueller Schüler." Anders als andere, kopiere Kieron nicht einfach die
Vorlagen, die er Kunstbüchern, dem Internet oder der ihn umgebenden
Landschaft entnehme. Sondern er gestalte alles, auf gekonnte Weise, nach
eigenem Gefühl, "kieronisiere" das Gesehene auf immer neue Weise: "Das
mag im Augenblick noch ein bisschen naiv anmuten. Aber was er macht, ist
wirklich frisch. Es zeugt von einem phantastischen Selbstvertrauen."
Auch Kierons Eltern, Keith und Michelle, können ihren Stolz auf den
berühmt gewordenen Nachwuchs kaum verhehlen – wiewohl sie ihr Bestes
tun, den Jungen vom öffentlichen Trubel um seine Bilder abzuschirmen.
Filmteams werden nur ausnahmsweise, und zur Ferienzeit, in die Wohnung
neben der Tankstelle von Holt gelassen, "damit uns niemand anhängt, wir
würden Kierons Bilder malen". Während des Schuljahres, heißt es, stehe
der Junge aus eigenem Antrieb oft schon um sechs Uhr auf, um vor
Unterrichtsbeginn etwas auf die Leinwand zu bringen. Gedrängt werde er
zu nichts, beteuern seine Eltern: Kieron wie seine Schwester Billie-Jo
lebten in Holt ein recht normales Kinderleben.
Website und YouTube befriedigen Fan-Gemeinde
Dass ihnen zur Vermarktung ihres Wunderknaben freilich ganz andere
Mittel zur Verfügung stehen, als sie der junge Van Gogh oder "Little Mo"
noch hatten, können auch die Williamsons nicht bestreiten. Seit Kieron
vor zwei Jahren beim Urlaub plötzlich um Zeichenblock und Stifte bat und
mit dem Malen begann, haben sie ihm eine eigene Website eingerichtet,
die seine Fan-Gemeinde nun über seine Fortschritte und
Ausstellungserfolge auf dem Laufenden hält. Facebook und Wikipedia
bieten weitere Informationen. Von YouTube kann man sich Kierons Story in
bewegten Bildern servieren lassen.
"Kein neuer Picasso", Fußball als
Alternative
Geraume Zeit scheint die Gewässer der Norfolk Broads hinunter
geflossen zu sein, seit Kieron, im Kindergartenalter, brav
Bilderbuch-Züge und Dinosaurier anmalte. Dass Vater Keith, früher
Elektriker, sich vor zwei Jahren auf den Kunsthandel verlegte und die
Wohnung mit Bildern füllte, mag sehr wohl zum damals erwachenden
Interesse des Sprösslings beigetragen haben. Heute sind die Eltern
entschlossen, die Rekord-Einnahmen ihres Sohnes erst einmal für ihn
anzulegen und ihm davon, sobald genug zusammenkommt, ein Haus zu kaufen.
Von einer gesunden Portion Realismus lassen sich die Williamsons
leiten. Sollte die Medien-Aufregung um den "kleinen Picasso" sich
irgendwann wieder legen oder dessen Malbegeisterung nachlassen, soll
Kieron daraus kein Schaden erwachsen.
Kieron selbst scheint jedenfalls entschieden zu haben, dass er "kein
neuer Picasso werden" will. Claude Monet oder Edward Seago lägen ihm
mehr am Herzen, meint der just Achtjährige beim Abwägen des Erbes.
Edward Brian Ted Seago, Autodidakt und post-impressionistischer Maler
der Region aus dem vorigen Jahrhundert, hat den Buben besonders
beeindruckt. Ansonsten, meint Kieron, könne er ja immer noch Fußballer
werden.
Einzelfall Wunderkind?
(juh) Wolfgang Amadeus Mozart, Carl Friedrich Gauß oder John Stuart
Mill sind als "Wunderkinder" in die Geschichte
eingegangen. Sie haben in jungen Jahren Leistungen erbracht, zu denen im
Regelfall nur Erwachsene im Stande sind – wenn überhaupt.
"Die Forschung weiß bisher nicht viel über diese Kinder", sagt Ernst
Hany, wissenschaftlicher Beirat des Zentrums für Begabtenförderung und
Begabungsforschung in Salzburg. Studien haben jedoch gezeigt: Sogenannte
Wunderkinder wurden von ihren Eltern an das jeweilige Leistungsgebiet
herangeführt und waren oftmals in diesem überdurchschnittlich begabt.
Hany betont, dass auch diese Kinder erst durch jahrelanges intensives
Lernen und Üben Spitzenleistungen erbringen können: "In Wirklichkeit
treten echte Wunderkinder vielleicht alle zehn Jahre einmal auf."
Wunderkinder wie Kieron Williamson werden als hochbegabt bezeichnet.
Die klassische Definition der Hochbegabung, die von einem
Intelligenzquotienten ab 130 ausging, wurde von mehrdimensionalen
Modellen zur Erfassung dieses Phänomens abgelöst.
"Was Hochbegabung genau bedeutet, hängt vom Leistungsbereich ab – in
schulischen und akademischen Fächern ist die Intelligenz sicher die
wichtigste Voraussetzung für besondere Leistungen", sagt Hany. Damit ein
Talent Höchstleistungen entfalten könne, seien aber auch ein spezielles
Interesse am Thema, ein starker Lernwille, jahrelange Lerndisziplin und
ein förderliches Umfeld nötig.
Der deutsche Pädagoge und Entwicklungspsychologe Detlef H. Rost
erklärt, dass Hochbegabte nicht etwa anders denken als andere Menschen,
sondern nur schneller im Sinne von effektiver. Für die Entwicklung von
hohen Begabungen spielen jedoch neben einer ausgeprägten kognitiven
Effizienz auch Persönlichkeitsmerkmale, soziale Komponenten sowie
Zufallsfaktoren eine wesentliche Rolle.
Die Gehirnforschung sucht hingegen nach den Unterschieden zwischen
hochintelligenten Köpfen und Durchschnittsdenkern. Einigen
Studienergebnissen zufolge könnte auch ein größeres Volumen bestimmter
Gehirnareale die Ursache für eine bessere kognitive Leistungsfähigkeit
sein.
Experten gehen davon aus, dass etwa zwei bis drei Prozent aller
schulpflichtigen Kinder hochbegabt sind.
Printausgabe vom Donnerstag, 12.
August 2010
Online seit: Mittwoch, 11. August 2010 19:33:00
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