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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Biennale von Venedig  
09. Juni 2005
18:05 MESZ
Von
Markus Mittringer

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Biennale-Schabus

Siehe auch

Närrischer Raumplaner – mit System:
Hans Schabus,
Kopf des Tages
 

Foto: APA/Klomfar

Felsmassiv ohne Grundfesten
Mit Hans Schabus hat Österreich-Kommissär Max Hollein eine gute Wahl für die Biennale von Venedig getroffen

Endlich steht ein anständiger Berg in der Lagune. Der monumentale Felsen, genannt "Das letzte Land", ruft zur Aktivität. Am Freitag, 10.6., wird er eröffnet.


Venedig – Jetzt hat auch Venedig einen richtigen Berg. Der ragt am Rande der Giardini empor und gibt sich so trotzig wie wehrhaft, der ist so bergsteigerabweisend, wie ein Stealth-Bomber für Radar und Infrarot kaum auszumachen ist.

Natürlich ist der Berg künstlich. Aber was ist schon nicht künstlich in einer Lagunenstadt. Die Insel, auf der der Berg plötzlich aufragt – S. Elena –, wurde auch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, aus dem Abbruch- und Aushubmaterial, welches beim Bau des neuen Industriehafens anfiel, aufgeschüttet.

Und 1934 wurde dann der neoklassizistische Pavillon Österreichs nach Plänen von Josef Hofmann dort errichtet. Dort, wo jetzt der Berg steht. Dort, wo immer schon das Ende der Biennale war. Dort, wo schon Österreich, also das Ende der Welt, lag.

Hoffmanns Eingangshalle öffnete immer die Sicht auf Mauern, und hinter seiner Architektur findet sich wieder eine Mauer: jene, die das Avantgardekunstfestival gegen die Stadt hin abschirmt – oder vielleicht eher umgekehrt. Jedenfalls: So wie bei vielen anderen Gelegenheiten auch, wirbt Österreich mit seinen Bergen.

Und kehrt zugleich um, was 1895 als Sensation gebaut wurde, um Gäste nach Österreich zu locken: "Venedig in Wien", eine Lagune mit echten Gondeln und authentischen Gondolieri im Prater, vom Theatermacher Georg Steiner und dem Architekten Oscar Marmorek auf festen Grund gebaut. Im Wien der Jahrhundertwende wenig erfolgreich, funktioniert so eine Simulation in Las Vegas (als Kasinohotel) schon seit einigen Jahren bestens.

Aber: Auch wenn der Heimatberg in Venedig quasi auf exterritorialem Grund steht, es sich also um eine nach innen identitätsstiftend gedachte, nach außen um eine Demonstration von Macht handelt, muss jetzt endlich Hans Schabus erwähnt werden.

Denn nicht die Fremdenverkehrswirtschaft, sondern der Traum eines Bildhauers hat den Mythos vom Gipfel ins ebenso berg- wie untergrundlose Venedig gebracht – wenn man so will: als größtmöglichen anzunehmenden Fall einer Skulptur.

Aussichtspunkte

Und wie heute fast alle Berge ist auch dieser im Inneren erschlossen, führen Stollenkonstruktionen in den Untergrund, bieten Luken – ähnlich jenen der Not- und Versorgungsöffnungen der Bahn durch und auf den Eiger – Aussichten auf die Landschaft ringsum.

Man könnte aber auch meinen, die Luken repräsentierten – Schießscharten gleich – bloß weitere strategisch ausgeklügelte Punkte zur Verteidigung. Im Bergwerk selbst führen Stollen zum Licht – oder: konterkariert ein vorgegebenes Leitsystem jene tradierten Wege durch den Hoffmann-Pavillon, die sonst die Kunst erschlossen haben.

Hier wird man durch, über, und an einem Haus vorbeigeführt, das als Ganzes nicht mehr zu erkennen ist. Bloß dessen Ecken sprengen das Massiv, sind nun zu architektonisch gewagt in die steilen Abhänge geklebten Mittelstationen auf dem Weg geworden, den höchsten Punkt Österreichs zu erklimmen. Die Höchste Kunst Österreichs.

Schließlich wurden die Länderpavillons ja angelegt, ein Idealbild von Kunst und Kultur jeder Nation zu repräsentieren. Und zu beherbergen.

Schabus' Transformation des Pavillons beherbergt nur mehr Besucher, Kunstfreunde auf ihrem stets beschwerlichen Weg zur Erkenntnis, der letztlich in der ebenso befreienden wie ernüchternden Aussicht von ganz oben gipfelt, dass sie sich ja doch nur nach Venedig durchgegraben haben, in jenem vertrauten Gelände der biennalen Weltausstellung sich wieder ober Tag gefördert haben, die wie jede andere auch versucht, ihre Produkte bestmöglich zu distribuieren.

Und so sieht man dann vom Gipfel "unseres" Kunsttempels aus die Spitzen der feindlichen Nachbartempel. Und merkt am beschleunigten Puls, dass der Inhalt der österreichischen Repräsentation die eigene Aktivität war, das Erklimmen, der Weg, das ewig wiederkehrende Durchgraben, Aufschütten und unausweichlich folgende Wiederabtragen.

Hans Schabus hat nach seinen alternativen Routen zur und durch die Wiener Secession (Astronaut [komme gleich], 2003) und zum und durch das Kunsthaus Bregenz (Das Rendezvousproblem, 2004) erneut einen Hintereingang gefunden, um zu klären wie und wieso man eigentlich ankommt. Und wozu die ganze Anstrengung unternommen wird. Und er hat erneut einen Weg gefunden, sich auf historisch belegte Substanz einzulassen, ohne die eigenen Autonomie als Künstler dadurch infrage zu stellen.

Er scheint seine Reisen unbeirrt von Markt und Methoden zu unternehmen. Ein kleines selbst gebautes Boot der Optimisten-Klasse hat den ehemaligen Gironcoli-Schüler auch sicher nach Venedig gebracht. Trotz eines gigantischen Felsbrockens an Bord.

Die neue Dimension des Hoffmann-Pavillons kündet zugleicht vom Traum des Modelleisenbahners (Modelldiktators), in dem jener sich seine Loks und die Landschaft, die sie erschließen, ja doch immer größer und Mächtiger vorstellt, als sie ihm in der traurigen Realität des geschützten Hobbykellers im alarmgesicherten Eigenheim entgegenfahren, wie sie Aneignung als positive, nichts zerstörende Strategie von Erkenntnisgewinn vorstellt.

Höhenängste

Schabus' Berg mag in seinem technoiden, als Computersimulation entstandenen Äußeren bedrohlich wirken. Seine Geste, weit über die Grundfläche des Pavillons auszugreifen, mag an gewaltsame Landnahme erinnern. Die Stollenkonstruktion im Inneren mit ihren labyrinthartigen Pfaden und Irrwegen mag an Piranesis Carceri denken lassen. Der technische Aufwand, den die Konstruktion erfordert hat, ebenso wie die aufwändige Recherche, die all dem zugrunde lieg, mag an Strategie denken lassen.

Alles falsch. Schabus demonstriert letztlich "nur" die zeitgemäße Variante der Großen Expeditionen und Entdeckungsreisen, widersetzt sich dem Diktat, wonach alles schon längst kartografiert wäre. Wenn es nötig ist, kann man Berge versetzen oder Situationen fluten oder endlose Tunnel ausheben. Romantik macht eben auch Arbeit.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.6.2005)


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