10.03.2003 20:01
Das Doppelleben der Ausstellungen
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im STANDARD-Interview
über seine ehrgeizige Sammlungs- und Ausstellungspolitik
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im Gespräch
mit Markus Mittringer und Claus Philipp über seine ehrgeizige Sammlungs- und
Ausstellungspolitik, über den Hang zum Etikettenschwindel mancher Kollegen,
seine Treue zum Herzog und die fatale Genügsamkeit der Wiener mit viel zu
kleinen Kuchen.
STANDARD: Wenn Sie dieser Stadt nach eigener Aussage ein
"Weltmuseum" schenken wollen: Welche Mängel und Lücken sehen Sie in Wien?
Schröder: Die Frage müsste man einem Kulturminister
stellen. Mein Aufgabengebiet ist ein sehr begrenztes: Ich habe dafür zu sorgen,
dass eine der ältesten, größten und bedeutendsten Sammlungen adäquat präsentiert
und das habsburgische Palais renoviert und präsentiert wird. Es ist nicht meine
Sache, darüber nachzudenken, ob es in anderen Häusern Desiderata gibt.
STANDARD: Eine ganz andere Aufgabe als im Kunstforum?
Schröder: Mit dem Kunstforum konnte ich vor 15 Jahren
in eine Marktlücke stoßen. Da gab es die großen monographischen Ausstellungen
noch nicht, obwohl sie nahe liegend waren. Jetzt ist die Situation anders: Zum
einen machen einige Museen jetzt das, womit ich im Kunstforum begonnen habe. Zum
zweiten kann ich jetzt mit dem Fund wuchern. Mit der Sammlung als Legitimation.
Sie gibt die programmatischen Linien vor: Die alten Meister, die Klassische
Moderne und die zeitgenössische Kunst - dazu als neues Sammlungs- und
Ausstellungsgebiet die Fotografie. Ungeachtet dessen, ob solche Ausstellungen
fehlen oder nicht. Die Sammlung verlangt das einfach. Ich muss diesem Haus
gerecht werden. Wenn sich das mit einer jüngeren Institution überschneidet, ist
es nicht meine Aufgabe, das zu bereinigen.
STANDARD: Eine "hard
competition", wie Generaldirektor Wilfried Seipel vom Kunsthistorischen das
nennt?
Schröder: Ja und Nein. Man ist ja wechselseitig
auf Leihgaben angewiesen. In Wien ist das Umfeld dermaßen dicht besetzt, und es
gibt viele Häuser, die Ausstellungen bespielen, die nicht einmal mehr die
sachliche Begründung ihrer Aktivitäten aus ihren Sammlungen ableiten können.
STANDARD: Was genau folgt aus dieser Praxis?
Schröder: Die Qualität von Ausstellungen leidet
darunter, wenn sie nicht durch die Sachkenntnis von Kuratoren im eigenen Haus
gedeckt ist. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man ungestraft eine
Ausstellung nach der anderen machen kann, und nicht auf eine halbwegs gewachsene
Basis zurück greifen kann. In Wien hat der Wettbewerb dazu geführt, dass immer
schneller immer mehr Themen abgeschossen werden. Durch Namedropping oder durch
eine Terminologie, die nichts anderes ist als Etikettenschwindel. Es gibt ein
Doppelleben: ein Leben der Ausstellungstitel, und es gibt ein Leben der
Ausstellungen. Das zweite ist suboptimal. Die Anzahl der Ausstellungen ist
irrelevant: Zu viele sind Schamott, sie sind international nicht
wettbewerbsfähig. Wir sind ja nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen, wenn
wir fünf Jahre lang an einer Albrecht-Dürer-Schau arbeiten, die dann vielleicht
jene aus Nürnberg von 1971 übertrifft. Mit einem Schnellschuss geht gar nichts.
STANDARD: Passiert in anderen Städten Ähnliches?
Schröder: Ich kenne keine zweite Stadt. Aber dass hier
Themen abgestochen werden, dass ein Wildern Platz greift, das hat nichts mit
einer Verrohung der Sitten zu tun, sondern sich zu früh mit zu wenig Begnügen.
Es fällt niemandem auf, dass zu viele kleine Kuchen gebacken werden.
STANDARD: Wird die Albertina Kuratoren einladen? Kuratoren wie
Harald Szeemann an die Gegenwart lassen?
Schröder: Wir
sind Kunsthistoriker, wir konstruieren und rekonstruieren, bringen Geschichte in
Form. Kuratoren wie Szeemann wird es bei uns mit Sicherheit nicht geben, es ist
nicht unsere Aufgabe.
STANDARD: Was wird angekauft werden?
Schröder: Auch wenn man mir vorwerfen kann, dem Fuchs
sind die Trauben sowieso zu hoch, kaufe ich keine Dürers und Michelangelos, ich
kaufe Zeitgenössische Kunst und zwar ausschließlich.
STANDARD:
Ausschließlich internationale Spitzenwerke? Ihre Vorgänger haben immer auch
nationale oder gar regionale Aspekte berücksichtigt.
Schröder: Das war - etwa unter Konrad Oberhuber -
historisch verständlich, aber definitiv falsch. Er hat auf die Öffnung der
sozialistischen Länder 1989 reagiert, wir haben Tausende Blätter bekommen, und
nichts davon hat gehalten. Keine auch noch so weltpolitisch bedeutende
Erweiterung darf künstlerisch blind machen.
STANDARD: Wer kauft?
Schröder: Ich! Man kann sich dabei irren, das ist die
Pointe. Aber in dem Auggenblick, wo ich ein Kunstwerk kaufe, muss ich überzeugt
sein, dass die Arbeit nicht minder bedeutend ist als die Rückenakte des
Michelangelo. Viele kaufen nach dem Prinzip: Vielleicht wird ja etwas draus!
Aber wenn ich jetzt schon nicht an das Werk glaube, warum soll es dann die
Nachwelt glauben?
STANDARD: Nie mehr Aquarell?
Schröder: Gerade in grafischen Kabinetten überwintert
fatalerweise ja Kunstgewerbe, virtuose Volkshochschule Brigittenau. Es wurde
jahrzehntelang übersehen, dass das Aquarell längst korrumpiert war durch den
hartnäckigen Missbrauch, den Sonntagsmaler damit getrieben haben. Wenn ich dem
Geist Alberts treu sein will, muss ich genau dem kunstgewerblichen
Überlieferungskanon des Aquarells die Treue brechen. Viele sind immer noch viel
zu sehr daran interessiert, wie sich der Hochdruck vom Tiefdruck unterscheidet
und wie man eine Lithographie macht. Diese Fragen haben mit Kunst an sich nichts
zu tun.
STANDARD: Wie halten Sie es mit der Museumspädagogik?
Schröder: Einem Auftrag von Bildungsministerin
Elisabeth Gehrer konnte ich persönlich nicht entsprechen: "Etablieren Sie eine
Stelle Pädagogik, die so professionell ist wie damals im Kunstforum." Ich kann
das nicht, ich habe auch - das sollte ich jetzt vielleicht nicht sagen - keine
ideale Hand für Kinder und Jugendliche. Ich habe daher das ausgelagert, die
besten Leute für die Kunstvermittlung gewinnen, die das selbständig
verantworten. Auch Erzherzog Karl hat seinen Hauslehrern gesagt, er könne seine
Söhne so erziehen, dass sie mit Sicherheit die Vergangenheit bewältigen könnten,
aber in der Zukunft scheitern würden. Und so gab er den Lehrern das Vorrecht zu
erziehen.
STANDARD: Ist die Albertina - nach Kunstforum und
Leopold Museum - bloß ein weiteres Kapitel in Ihrer Karriere?
Schröder: Man treibt nicht 17 Millionen Euro privat
auf, richtet sich ein schönes Nest und übergibt es dann jemandem zum
Hineinlegen. Unter drei Jahren versteht man ein Haus nicht, unter fünf Jahren
läuft es nicht, unter sieben Jahren kann es einem Erwachsenen gar nicht
langweilig werden. Vorher stehe ich für Veränderungsüberlegungen nicht zu
Verfügung. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.3.2003)