In der MAK-Ausstellungshalle erobert die Kunst
von Eva Schlegel den Luftraum
Unscharfe Frauen heben ab
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Hunderte weiße Wetterballons, bleierne Wolken und lärmende Rotoren: Eva
Schlegel setzt sich im MAK spielerisch mit den Facetten eines uralten
Menschheitstraumes auseinander. Foto: Wolfgang Woessner/MAK
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
Fliegen war immer schon der anspruchsvollste
Wunschtraum der Menschen. Ein erstes, antikes Gelingen wird dem
Architekten und Bildhauer von Knossos, Daidalos, zugeschrieben. Während
seine Flügel funktionierten, stürzte der Sohn bekanntlich wegen Übermuts
und Materialfehlers ab. Ein weiterer Konstrukteur von Flugmaschinen war
Leonardo da Vinci: Auch bei seinen Experimenten steht zwar das
Scheitern über dem Gelingen, doch tut dies seinem Ruhm keinen Abbruch.
August Ruhs, Tiefenpsychologe und Autor im Katalog zur neuen Schau
von Eva Schlegel, stellt die österreichische Künstlerin nun in die
anspruchsvolle Reihe kunstsinniger Flug-Experimentatoren. Und die großen
Vorbilder passen zur 1960 in Tirol geborenen Künstlerin, Schülerin von
Oswald Oberhuber, langjährigen Professorin für Fotografie an der
Akademie, derzeit Österreichs Kommissärin der Venedig-Biennale 2011.
Unanständiges im Edelstein
Ihr Konzept versucht nun die Räume der MAK-Ausstellungshalle mit zwei
neuen Installationen und fünf Hauptaspekten ihres Ansatzes zwischen
Film und Fotografie auch in der Luft zu erobern. Das gelingt ihr
besonders mit einer geräuschvollen, aber optisch befreienden
Empfangssituation, die Bewegung und Lärm von drei Flugzeugrotoren
körperlich spürbar macht. Die kreisenden Rotoren dienen als bewegte
Projektionsflächen für Schlegels Filme von Menschen im freien Fall,
aufsteigenden Wetterballons, Vogelflug und physikalischen Phänomenen.
Nur kurz ist Schriftliches zu sehen, das nebenan in einem unscharf
gemachten Textblock – einer besonderen Spezialität der Künstlerin für
Arbeiten im öffentlichen Raum – weiterläuft.
Gespiegelt zum geheimnisvollen Schrift-Ornament, ist der Saaltext
zwar entzifferbar. Die Unschärfe setzt sich aber in großen Fototableaus
von farbig aufgelösten Mode-Ikonen fort. Die Frauen aus
Allerweltsmagazinen gewinnen durch die hohen Ansprüche an den
Wahrnehmungsapparat ihre malerische Aura zurück, auch weil ihre
Identität verschwindet.
Als Gegenpart auf der anderen Seite der Halle beherbergt ein mit
Bleiplatten ummantelter Kubus Schlegels frühe Serie von kleinformatigen
Arbeiten aus Lack über Gips, die pornografische Szenen einschließen. Von
alten Fotofundstücken im Druckverfahren übertragen, versiegeln die
zahlreichen Lackschichten in warmen Farben die unanständigen Sujets wie
in einen Edelstein. Also keine "strenge Kammer" unter der Hülle der
Alchemie, mit der das faszinierende weiche Metall Blei in Verbindung
gebracht wird?
Mit der Blei-Tapezierung des Hauptraums der Secession konnte Schlegel
zwar mehr überzeugen als durch die Form des Kubus hier. Aber ihre
Wolkenbilder, die mit Siebdruck auf Blei übertragen werden, schaffen es,
Spannung in den länglichen Saalraum zu bringen. In einem großen Block
gehängt, spielen sie zwischen Grafik und Fotografie mit den Gegensätzen
materieller Schwere und inhaltlicher Leichtigkeit. Die Wolkenmetapher
ist eine weitere Verbindung zu Leonardo, der ebenso Inspiration aus den
wandelbaren Formen bezog.
Am Ende blockiert die Künstlerin mit der amorphen, aber beweglichen
Skulptur aus hunderten weißen Wetterballons den üblichen Rundgang. Dies
ist so ungewöhnlich wie bedrohlich – das Publikum wird mit Kamera
einbezogen: Die Situation des Eintretens wird in einen Kreis am Boden
übertragen, doch bevor man sich erkennt und Narziss spielen könnte wie
vor den Spiegeln im Raum davor, löst sich das Bild als zerplatzende
Blase auf.
Nicht die Kunst oder die Ballonskulptur weicht, sondern das Selbst
löst sich auf – kein Wunder, dass Ruhs’ Katalogtext auch den Bezug zu
Sigmund Freud, zur sexuellen Deutung des Flugtraums einschließt. Ein
Erlebnisparcours, der einmal mehr klarmacht, dass Schlegel nicht von
ungefähr in allen Genres international renommiert ist.
Ausstellung
Eva Schlegel. In Between
Bettina Busse (Kuratorin)
MAK Ausstellungshalle
Bis 1. Mai 2011
Printausgabe vom Donnerstag, 09.
Dezember 2010
Online seit: Mittwoch, 08. Dezember 2010 19:58:00
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