Vor zehn Uhr
morgens kann Veronique Vial eine ganze Menge erledigen. Wenn sie nicht
gerade in Paris ist: „Da tut sich gar nichts vor zehn Uhr.“ In Los
Angeles ist das anders: Da geht sich schon ein Strandspaziergang aus,
eine Massage, ein Frühstück – und manchmal ein ganzes Fotoshooting.
„Before 10 a.m.“ heißt eine Serie von Bildern, die die französische
Fotografin mit Hollywood-Celebrities gemacht hat. Begonnen hat sie mit
Männern. „Eigentlich nur, weil ich eine Flirt-methode gesucht habe. Ich
hatte mich gerade von meinem Mann getrennt, und wollte Männer
ungeschminkt erleben, ohne mit ihnen schlafen zu müssen“, so hat sie
die Entstehung der Serie vor ein paar Jahren erklärt. Heute befragt
klingt das anders, aber nicht minder pragmatisch: „Ich habe
in Rio gelebt und wollte zum Strand, also habe ich geschaut, dass ich mit der Arbeit um 10 Uhr fertig bin . . .“
Ungeschminkt.
Ob gähnend, noch in den Federn oder schon voller Elan unter der Dusche,
ob mit Schlafzimmerblick über der Müslischüssel oder schon am
Schreibtisch, beim Kinderanziehen oder beim
Mit-den-Kindern-im-Bett-Toben: Vial geht es immer um eines. „Wenn du
die Seele eines Menschen sehen willst, dann musst du ihn erwischen,
bevor er seine Maske aufsetzt.“ Und die Uhrzeit, in der die Maske
draufkommt, ist laut Vial eben 10 Uhr. Außerdem „sieht man einfach
besser aus, wenn man gerade aufgewacht ist.“ Aber die Morgenstund hat
nicht nur Gold im Mund: Es soll auch Stars gegeben haben, die ihr
gesagt haben, erst einmal der Kaffee und bis dahin, bitte, ja nicht
ansprechen. Wer das war, das erzählt sie natürlich nicht. Aber sie
erzählt, dass einige männliche „Motive“ ihr Frühstück mit frisch
gepresstem Orangensaft gemacht haben. Und sie erzählt, dass sie Milla
Jovovich wecken musste, denn die hat noch tief und fest geschlafen, als
Veronique Vial mit ihrer Hasselblad in aller Früh aufgetaucht ist. Die
Arbeit mit den vermeintlich eitleren Frauen war übrigens
überraschenderweise einfacher als mit den Männern: „Frauen sind
großzügiger – zumindest vor 10 Uhr morgens.“
Es sind aber nicht
die verschlafenen Prominenten, die Vial in ihrem Portfolio am meisten
schätzt. Ihre Favoriten sind die Bilder, die sie beim Cirque de Soleil
gemacht hat. „Der Auftrag kam, als ich dachte, mir gehen die Lust und
die Ideen aus. Früher dachte ich immer, Zirkus ist ganz nett, aber auch
ein bisschen deprimierend. Aber ich habe mich in diese Artisten
verliebt. Sie sind Athleten, da ist so viel körperlicher Schmerz, aber
auch so viel Magie. Und sie sind wie Kinder, sie wollen immer lachen
und spielen.“
Nicht so ganz jugendfrei ist Vials aktueller Bildband,
„Naked in Paris“, eine Aktserie mit einer französischen Ballerina –
wieder in Schwarz-Weiß: „Ich liebe Schwarz-Weiß. Farbe lenkt ab.
Gefühle kommen in Schwarz-Weiß besser rüber.“