Schwerkraft auflösen
Meina Schellander besetzt den öffentlichen Raum
Die
Verspannungs-Künstlerin Meina Schellander hängte einen steinernen
„Findling“ im Krastal zwischen Felsen in die Luft. Sie umnähte,
umschlängelte und verspannte Kirchen in Wien und Maria Saal mit gelben
und hellgrauen Seilen und Wörtern aus Holz und Metall. Die Installation
„Raum Omega: Ruhe sanft du blaues Land“ mit einem riesigen blauen
Polyesterei wird im Sommer in Kärnten zu sehen sein. Im
Augustin-Gespräch gewährte sie Einblick in die Voraussetzungen ihrer
Arbeit.
Inwieweit haben die Karawanken oder die Koschuta oder die ganzen
anderen Steine der Kärntner Grenz-Landschaft dein künstlerisches
Schaffen beeinflusst?
Die Landschaft hat mich sehr geprägt. Ab den
70er Jahren analysierte ich von meinem Bild „Hineinschauen in ein
Ganzes“ aus alle Einheiten, die dieses Bild ausmachen. Auf dem Bild
gibt es auch die Karawankenkette. Darauf folgte eine Analyse des Berges
als Ansammlung, als feste Masse, als lose Anschüttung. 1973 hängte ich
einen Stein, einen „Findling“, im Krastal in die Luft zwischen zwei
Felsen. Das war meine Idee, den Boden zu verlassen, als Identifikation
mit meinem Befinden, mit meinem Denken. Die Aktion löste dann eine
Lawine aus. Die Skulpturen der „Kopfergänzungen“ entstanden nach dem
„Findling“, der eigentlich alle zeitlich überhängen sollte, er hing
dann aber nur 13 Jahre im Krastal, weil ich ihn wegen eines
Granitvorkommens demontieren musste. Meine „Kopfergänzungen“ sind
fertige Dinge, die auftauchen und dann jahrelang als Bild, als System
Gültigkeit haben. Bei den „Kopfergänzungen“ dachte ich nach 35 Jahren,
die seien abgeschlossen, aber immer wieder taucht so ein System auf,
und dann habe ich wieder mein Glücksgefühl. Ich entwickle, das Forschen
interessiert mich. Meine Arbeit lebt nicht so sehr von der Oberfläche,
sondern verlangt ein tieferes Eingehen. Ich arbeite in einem großen
Bogen, in einer großen Spannweite. Ich ordne mich nicht den Prinzipien
des Kunstmarktes unter, was ich natürlich auch in meiner Existenz zu
spüren bekomme.
Die Verbindung zum Nähen hast du von deiner Mutter, die Schneiderin in Ludmannsdorf war …
Ich komme aus einem einfachen Milieu. Meine
Mutter war als Schneiderin für die Existenz von uns beiden zuständig.
Arbeitete Tag und Nacht und war mit dem Nähen auf dem Land beschäftigt,
und ich habe ihr von Anfang an die Nähnadeln eingefädelt. Schon damals
mit einem ziemlich genauen System. In zweieinhalb bis drei Zentimeter
Abstand waren die Nadeln ganz genau um den Tisch gereiht, die Mutter
sagte mir, wie viel sie ungefähr von welcher Farbe brauche. Dann habe
ich den Tisch rundumertum ganz genau mit diesen eingefädelten Nadeln
besetzt. In der Früh war ein komplettes Kuddelmuddel da, denn
wahrscheinlich waren immer ein paar mehr eingefädelt, als sie gesagt
hat. Da fragte ich immer: Warum kannst du das nicht ganz genau machen?
Einfach eines nach dem anderen herunternehmen. Damals als Kind war mir
diese Knappheit der Zeit, in der man etwas zu machen hat, noch nicht
bewusst. Heute kann ich das sehr gut nachvollziehen, dass man da nicht
die Abstände einhalten, sondern einfach nur fertig werden muss. Die
Knappheit der Zeit habe ich von Anfang an von meiner Mutter
mitbekommen, und auch ich bin immer eigentlich mit der Arbeit
beschäftigt und werde kaum fertig. Das Nähen hat mich geprägt. Erstens
von der harten, nervös besetzten Arbeit her, für die man sehr wenig
Geld bekam, und zweitens diese Fäden, die überall waren, wo du
hingeschaut hast, im ganzen Haus. Vielleicht stammt daher dieser
lineare Duktus in mir.
Warum hast du den riesigen Felsendom in Maria Saal mit einem gelben Faden verschnürt?
Voriges Jahr war ich zu einem
Holz-Bildhauer-Symposium in Maria Saal eingeladen. Da hatte ich die
Idee, ein Projekt mit einer Nadel und einem Faden zu machen. Dass ich
diesen Faden über den Dom hinweg schlängle und verspanne, zwischen den
Dachluken, zwischen den Türmen hinein- und hinausfädle und zum Oktagon
den Hof hin überspanne. Ich verband Holzobjekte, die in einzelnen
Buchstaben das Wort „HomMmage“ darstellen mit dem Dach. So ergibt sich
eine ganze Szenerie, wie wenn diese Objekte und der Faden den Dom
besetzt und sich da irgendwie durchgeschlängelt hätten. Dieses Projekt
widmete ich meiner Mutter, denn ich bin mit meiner Mutter nach Maria
Saal wallfahrten gegangen. Es war tatsächlich so, dass meine Mutter
sehr religiös war, was auch für mich bei aller Kritik und bei allem
Hinterfragen irgendwie zutrifft. Innerhalb dieser ganzen Domanlage
wirkt dieses 900 Meter lange, zehn Millimeter dicke Seil tatsächlich
wie ein Faden. Im Juli baue ich das wieder ab, bringe die Objektteile
und das Seil nach Ludmannsdorf zu dem Häuschen meiner Mutter und baue
das dort auf. Mein kleines Feld werde ich mähen und dort die
Objektteile verankern und an das Häuschen meiner Mutter anhängen. Ich
steige selber wie bei den Kirchen in meinen eigenen baufälligen
Dachstuhl und muss eine Methode finden, wie ich das mache. Ich habe
schon einen Dunst und freue mich sehr. Es ist so, als ob mein Projekt
heimkehren würde, ich gehe nicht mehr wallfahrten irgendwohin, sondern
ich baue das dort ganz einfach auf und lasse das dort, solange ich
will.
Wie entstand in deinem aktuellen Projekt „Konnexion 2“ die Verbindung von Simone Weil mit der Wiener Jesuitenkirche?
Seit einem Jahr beschäftige ich mich mit der
Jesuitenkirche und musste schon drei oder vier Projekte verschmeißen,
weil die in dem Raum nicht durchführbar waren. Es war ein mühsamer
Prozess, denn es ist ja ganz schwierig mit der Montage. Man muss das
eigene Denken mit den Möglichkeiten verknüpfen, die der Raum noch offen
hält. Der Raum in der Jesuitenkirche ist voll bis obenhin. Meine Idee
war es, einen Parallelraum oder ein Parallelkonzept zu diesem barocken
Raum zu schaffen, eine Struktur, die mit dem Leben und der Distanz zu
tun hat und auch mit einem Widerstand, mit einem Kontrapunkt. Ich hatte
dann den zündenden Einfall von diesen vier Worten, die ich schon immer
in der Nähe von mir habe, dieses „Biegen, Brechen, Kippen, Gleiten“.
Die vier Wörter nahm ich als Zentrum meiner Lebenserfahrung hinein und
spann diese Wörter in einem offenen Winkel in das Gewölbe dieser
Kirche. Dann kam es mir wirklich so vor, als ob ich die Schwerkraft
auflöse, und das Wort „Schwerkraft“ legte meine Erinnerung offen an
Simone Weils erstes Werk „Schwerkraft und Gnade“. Von diesem Konnex zum
Denken einer anderen Person ließ ich dann nicht mehr ab, Weils
Hartnäckigkeit und Widerständigkeit in ihrer Zeit und auch gegen sich
selbst bannte mich. Wenn schon „Schwerkraft und Gnade“ die zwei Pole
sind, zu denen ich mich vorgearbeitet habe, die mir von meiner Arbeit
aufgedrängt wurden, dann nehme ich die auch und setze die als
flankierende Worte dazu. Ab da bin ich sofort in den Dachstuhl der
Kirche gegangen und schaute mir die Löcher in dem Gewölbe an, durch die
diese Hängung vollzogen wird. Dieser Dachstuhl mit den seitlich offenen
Löchern, die quasi gerade auf das Konzept gewartet haben, bedeutete die
einzige Möglichkeit einer Hängung. Alles andere in dieser Kirche lässt
keine Verspannung zu, weil es keine Kraft zulässt. Schon voriges Jahr
machte ich dort eine Arbeit mit Teilen des Nachlasses der Künstlerin
Rita Furrer, weil eine Absprache noch vor ihrem Tod erfolgte, dass sie
ihre schwarzen Figuren gerne in dem Raum ausstellen würde. Sie ist
leider zu früh gestorben.