Salzburger Nachrichten am 12. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Der Frust überlebt auch viel Alkohol Noch vor der offiziellen
Eröffnung der Wiener Festwochen dreht sich der Reigen der Veranstaltungen.
"Faces" von John Cassavetes hatte am Mittwoch Premiere. ERNST P. STROBL
ERNST P. STROBL WIEN (SN). Wie oft hat man schon an langweiligen
Theaterabenden ein Bett herbeigesehnt? Die Wiener Festwochen sorgen
diesbezüglich für ein Entgegenkommen der speziellen Art. Das Gastspiel des
Deutschen Schauspielhauses Hamburg bot am Mittwoch - also kurz vor der
offiziellen Eröffnung heute Freitag - banges Staunen. Nach Abgeben der
Schuhe im Eintausch gegen Ringelsocken zog man eine Nummer und suchte in
der Halle G im Museumsquartier nach dem passenden Aufenthalt. Den
Zuschauern waren breite Betten zugewiesen, die Bettgenossen konnte man
nicht aussuchen. Zur mallorcamäßig überbuchten Hotelsituation fehlte nur
die TV-Fernbedienung, aber Wegzappen war nicht geplant. Für zweieinhalb
(lange) Stunden war man - wenn auch in bequemer Haltung - dem "Programm"
ausgeliefert, das Oberflächenspiegelungen von tiefstem Alltagsfrust
anbot. Ivo van Hove setzte "Faces" nach dem Film von John Cassavetes in Szene,
ebenfalls fast filmisch mit Schnitt und Parallelszenen. Als Spielfläche
dienten die Gänge zwischen den Betten und "Inseln" mit Barhockern,
unvermeidlichem Serviertisch und Alkoholvorrat. Diesem wurde reichlich
zugesprochen. Zwar waren Betten für die Darsteller frei gehalten worden,
dennoch nützten sie mitunter schon belegte Stätten. John Cassavetes hat elf Personen, die man entweder unsympathisch oder
sehr unsympathisch finden kann, in mehr oder weniger lose Verbindung
gebracht, die neben ihrer Lüsternheit noch etwas gemeinsam haben: eine
formidable Krise, die aus einer Situation resultiert, die aber jeder
"ordentliche Mensch" anzustreben scheint. Man hat alles, Mann/Frau, Haus,
Auto, Kinder, Erfolg im Beruf. Und? Die Männer gehen fremd oder ersäufen
ihren Kummer an der Bar bis zur Schlägerei. Die Damen entwickeln unter
Alkoholeinfluss ein aufkochendes Triebleben. Da ist etwa Richard (Samuel Weiss), der auf der nächtlichen Flucht vor
seiner Frau Maria (Katja Danowski) sein Glück beim Callgirl Jeannie
(Monique Schwitter) sucht und doch wieder zurückfindet. Maria wiederum
landet in den Armen des Frauenlieblings Chet (Kai Schumann), der sie auch
noch vor dem Suizid retten muss. Am Ende geht alles seinen gewohnten Gang,
gelöst ist gar nichts. Schöner Frust. Die elf Darsteller steigerten sich durchwegs überzeugend in die
jeweiligen Ausbrüche, ob betrunkene "Desparate Housewifes" oder
aufgeblasene Chefetagenmachos. Die reale Nähe zum Publikum überwand nicht
die kühle Distanz, welche durch die Banalität des jämmerlichen Gesülzes
aufrechterhalten blieb. Beeindruckend, aber hohl. Am Donnerstag war die erste Opernpremiere der Wiener Festwochen - "Dido
und Aeneas", inszeniert von Deborah Warner. Dem folgt heute, Freitag, das
Eröffnungskonzert auf dem Rathausplatz. |