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Was hat Andy Warhol mit Otto Muehl zu tun?

11.11.2010 | 18:42 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Der Friedrichshof hat seine Sammlung neu aufgestellt, das Mumok will den Aktionismus in einen internationalen Zusammenhang stellen, zeigt Nitsch neben Rauschenberg, Muehl neben Spoerri und verzettelt sich dabei.

Still ist es geworden um die ehemalige Kommune Friedrichshof. Längst sind alle Skandale durchgestanden, und die Wohnungsgenossenschaft ist in ein entspanntes Wohnmodell mit Werkstätten, Reitstall und Tagungshotel umgewandelt. Schon seit geraumer Zeit gehört dazu auch eine Ausstellung mit Werken des Wiener Aktionismus. Gerade ist dieser Bereich neu eröffnet worden. Architekt Krischanitz hat mit dem Minimalbudget von knapp 200.000 Euro mehr Platz geschaffen, hat behutsam Türen versetzt, eine Glasfront ergänzt, Durchgänge geschaffen, um die Sammlung mit einem Raum für Wechselausstellungen zu ergänzen.

Im eleganten Rahmen werden jetzt die Dokumentationen der heftigen Performances und die ehemals provokanten Bilder von Nitsch, Muehl und Brus museal präsentiert. Für fünf Monate legt sich darüber ein ohrenbetäubender Lärm, der von 14 Monitoren stammt, auf denen Paul McCarthys trashige „Caribbean Pirates“-Performance läuft. Wie so oft in seinem Werk greift er einen populären Mythos auf und verfremdet die Story, hier die Freibeuterei als anarchistisches Modell, das er im unmittelbaren Bezug auf den Irak-Krieg mit der Aggression von Krieg und Besatzung konfrontiert.

 

„Vietnamparty“ und andere Aktionen

In der Nachbarschaft dieses multimedialen Starkünstlers mit den frühen Werken der Aktionisten werden die Ähnlichkeiten, aber mehr noch die Unterschiede unübersehbar. Zwar protestierten die Aktionisten bereits 1966 mit ihrer „Vietnamparty“ gegen den Krieg. Aber bald darauf kreisten ihre Aktionen vornehmlich um sich selbst und um spezielle Körperteile. McCarthy dagegen nimmt immer wieder direkten Bezug auf politische und gesellschaftliche Ereignisse und kritisiert mit seiner kindisch-überspitzten, bunten und lauten Ästhetik jede Form von Gewaltbereitschaft, von Unterdrückung und Machtmissbrauch.

Dass dieses Aufeinandertreffen einer zeitgenössischen Installation mit den gut 40 Jahre früher entstandenen Werken möglich ist, verdankt der Friedrichshof nicht zuletzt dem ehemaligen Direktor des Mumok, Edelbert Köb. Dreimal mussten Arbeiten aus der Kommunen-Sammlung verkauft werden, um den Friedrichshof nicht aufgeben zu müssen. In den 1990er-Jahren erstanden Karl-Heinz Essl und auch Rudolf Leopold kleinere Werkgruppen. Zwischenzeitlich wurde sogar die gesamte Sammlung einem Bundesmuseum angeboten. Erst Köb erkannte dann 2002 die zentrale Bedeutung dieser Kunstrichtung für das Museum Moderner Kunst, setzte einen Schwerpunkt auf den Wiener Aktionismus und kaufte wichtige frühe Arbeiten und Archivmaterial an.

Dank dieser Initiative kann das Mumok seither permanent Werke dieser österreichischen Kunstentwicklung präsentieren. Jetzt geht das Haus einen Schritt weiter und zeigt einen gewagten Rückblick mit Interesse an Kurskorrekturen: In der aktuellen Ausstellung „Direct Art“ wird der Aktionismus nicht als österreichisches Sonderphänomen, sondern im internationalen Kontext gezeigt. Der Ausstellungstitel zitiert einen Begriff, den die Aktionisten 1966 verwendeten, um sich von ähnlichen Kunstformen wie „Happenings“ oder „Aktionen“ abzugrenzen – ihre „Direct Art“ war „direkter“ verbunden mit ihren Körpern, den Dingen, dem Leben.

Im Mumok jetzt sehen wir diese Werke nicht elegant geglättet wie im Friedrichshof, sondern in der Betonung auf ihr avantgardistisches Potenzial. Mit den rund 120, meist aus der eigenen Sammlung stammenden Werken soll bewiesen werden, dass der Aktionismus in den 1960er-Jahren international „am Puls der Zeit war“ – aber hat das jemals jemand bestritten? Mit fünf Ordnungskategorien wie „Ausstieg aus dem Tafelbild“ oder „Materialbilder und Materialobjekte“ werden künstlerische Verwandtschaftsverhältnisse konstruiert. Das klappt, wenn in der Körper-Station großartige Spätwerke des viel zu früh gestorbenen Rudolf Schwarzkogler zu bewundern sind und dazu in überzeugenden formalen und inhaltlichen Analogien Werke von Bruce Nauman, Paul McCarthy und Carolee Schneeman gruppiert sind.

Die übrigen Kategorien sind so allgemein gewählt, dass eigentlich alles hineinpasst: Da treffen Malerei-Experimente wie die Leinwandschnitte von Lucio Fontana oder die radikalen Collagen von Robert Rauschenberg auf Hermann Nitschs katholische Schüttbilder, Otto Muehls „Materialaktion Nr.8, Stillleben“ wird erschreckend nah an den gedeckten Tisch in Daniel Spoerris „Hahns Abendmahl“ gerückt – sind hier die Unterschiede nicht weitaus gravierender als die Ähnlichkeiten?

 

„Mein Körper ist die Absicht“

Ganz abwegig wird es, wenn Otto Muehls ausdrucksneutrale Porträts von Herrschern mit Joseph Beuys' Aktionen für direkte Demokratie verglichen werden. Und kann man Günther Brus' masochistische „Körperanalyse“ in einem Atemzug mit Wolf Vostells „Miss Vietnam“ anschauen? Als Anweisung schreibt Vostell zu seinen Misshandlungen einer Puppe: „Handlung und Objektverhalten unserer Umwelt analysieren“ und daraus „urteilsbildende Impulse bilden“. Passt eine solche intellektuelle Haltung auch zu den opferorientierten Aktionisten-Aktionen? „Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ergebnis“, schrieb Günther Brus einst sehr ehrlich.

Ist der gemeinsame Nenner all dieser hochkarätigen Werke hier nicht nur die Suche nach Radikalität und Traditionsbruch? So gesehen könnte man jede starke Position der aufbruchfreudigen 1960er-Jahre dazustellen, selbst Christo, Andy Warhol oder John Cage – und genau das passiert dann auch ein paar Schritte weiter. Hier spätestens wird es unübersehbar: Nicht neue Bedeutungen werden mit all diesen Kombinationen nahegelegt, keine übersehenen Bezugnahmen oder Subthemen entdeckt oder Bekanntes vertieft. Hier wird die Rezeption des Aktionismus als skandalgeschüttelte Nischenkunst eingetauscht gegen eine weiträumige Verankerung im internationalen Kunstmarkt. Das allerdings entschärft die Radikalität der Aktionisten und verwandelt gerade die im Ausstellungstitel zitierte „Direktheit“ ihrer Werke in eine unter vielen möglichen ästhetischen Ausdrucksformen.
Sammlung Friedrichshof, Paul McCarthy, 30.10. 2010 bis 27.3. 2011
Mumok: Direct Art, 12.11. 2010 – 29.5. 2011


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