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20.11.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung Bregenz: Abtauchen in die Oberwelt
VON ALMUTH SPIEGLER
Hans Schabus, Österreichs Vertreter bei der Biennale Venedig 2005, hat ein "Rendezvousproblem" - im Kunsthaus Bregenz.

Alles begann, wie könnte es anders sein - in Wien, im Atelier von Hans Schabus. Von hier aus tastete, las, grub sich der Künstler ein Jahr lang unablässig vor Richtung Westen, wo es in weiter Ferne seegrün schimmernd auf ihn wartete: Peter Zumthors strenges, glasverkleidetes Bregenzer Kunsthaus. Dieser wundersame Ort, der seine eisklare Architektur immer wieder so freigiebig der Kunst ausliefert. Olafur Eliasson verzauberte die vier leeren Stockwerke einst in ein mythisches Naturschauspiel, Santiago Sierra testete den funktionalen Bau heuer mit 300 Tonnen Beton auf seine Tragfähigkeit, Jenny Holzer ließ im Sommer ihre politischen Leuchtschriften rastlos durch die Säle rasen.

Und was tut Hans Schabus? Er pirschte sich an, mehrmals. Mit dem Zug durch den Arlbergtunnel und mit seinem selbstgezimmerten Boot "Forlorn", mit dem er bereits das Wiener Kanalsystem bereiste, über den Bregenzer See. Während in seinem Wiener Atelier eine Modelleisenbahn unermüdlich ihre Runden drehte, wie ein Video zeigt, umkreiste ihr Zugführer hunderte Kilometer entfernt das Kunsthaus, sowohl an seinen Grundfesten, im glitschigen Kollektorgang, in dem sich das Grundwasser sammelt, wie auch hoch oben, auf dem schmalen Steg zwischen gläserner Haut und seinem Beton-Skelett. Er sprach mit den Haustechnikern, wühlte sich in die technischen Eingeweide und staubigen Blinddärme des Hauses, bis er das Herz gefunden hat - und somit auch den einzig richtigen Eingang: den Lastenaufzug. Umgeleitet vom Haupteingang betritt man nun von der Gebäudeseite das andeutungsreiche, verschachtelte System von Schabus' Ortsaneignung. Wir dürfen mit auf diese krude Reise durch dichte Schichten aus Erdreich, Literatur und Geschichte mit dem reizvollen, fast koketten Titel: "Das Rendezvousproblem".

Und fast hätte man sich beim Eintreten schon selbst verpasst. Denn zeitgleich trifft man auch zwei Stockwerke tiefer im Kunsthaus ein. Achtung, Persönlichkeitsspaltung! Hier unten, in einer Abstellkammer, liegt ein fiktiver Kopfbahnhof, hier endet ein Tunnel (ja, Dürrenmatt!), den Schabus im Kopf um 52 Kilometer vom Arlberg bis unters Kunsthaus verlängert hat. Mit dem Aushub hat er auch gleich die Konkurrenz ausgeschaltet und ihn auf den Bahnhof Bregenz geleert - alles nachzudenken im Katalog-Tagebuch-Storyboard, das wesentlicher Teil der Ausstellung ist. Mit dieser unterirdischen Gedankenspielerei hat der in Wien lebende Kärntner das Ländle schlicht unterlaufen - und erinnert somit auch an ein anderes "Rendezvous", das gestern, Freitag, auf den Tag genau, 121 Jahre her ist: Am 19. November 1883 wurde der Arlbergtunnel durchbrochen, diese symbolträchtige geografische Scheidewand zwischen Vorarlberg und Restösterreich.

Endstation Kunsthaus also, bitte alles aussteigen, aufsteigen in das Erdgeschoß - und eintreffen in einem Untergangsszenario. Hier hat Schabus unverfroren das 1999 mühsam abgehaltene Hochwasser in die vier Wände hereingeholt. In regelmäßigen Abständen lässt er das Grundwasser über Schläuche aus den Kollektorgängen heraufpumpen, Sandsäcke sichern die Mauern, als ob nichts nach draußen rinnen dürfte. Sehr surreal. Einen Stock höher entdeckt man ein anderes, tragikomisches Rendezvousproblem: Wie Herdentiere haben sich hier 22 Segel-, Motor- und Ruderboote zusammengerottet und blicken sehnsüchtig Richtung Bregenzer See - dazwischen nur, blickdicht, die Betonwand des Kunsthauses. Sie konnten zueinander nicht kommen . . . der Künstler war viel zu fies.

Doch gleich rattert es wieder und die Eisenbahn trägt uns fort, immer weiter im Kreis. Vier Projektionen füllen die Wände und zeigen die Bahnstrecke von Wien bis zum Arlbergtunnel - das geheime Ziel im Untergrund, das kennen wir. Vom Keller führt uns die Kamera hinauf aufs Dach des Kunsthauses, wo sich ein Panoramablick als friedlicher Showdown aller Gedankenwindungen und -wirrungen ausbreitet.

Geschafft. Nicht ganz. Es geht noch weiter hinaus, eigentlich in die Unendlichkeit - und fast denkt man an Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, wo das Ende einen neuen Anfang bedeutet und man sich unvermittelt selbst trifft - in einem lichten Raum, so weiß und leer, dass man sich einfach nicht mehr verfehlen kann. Einen (fast) vollkommenen "White Cube" hat sich Schabus hier zur Krönung gegönnt, eingebaut in den Raum, mit Respektsabstand zu Zumthors Architektur, aufgebockt auf leere Arlberg-Getränkekisten, gezimmert aus fragilem Karton. "White Out" nennt man den völligen Orientierungsverlust in konturloser Schneelandschaft, auf den hier noch ganz nebenbei angespielt werden soll. So schlimm ist es dann auch wieder nicht, hier im obersten Geschoß, wo wir sicher über allem Aufgehäuften und Hervorgekramten, über Hans Schabus' poetisch-pathetischer Welt zwischen Realität und Fiktion thronen. Verwirrt, aber dankbar. Und neugierig auf die Reise, auf die er uns zur Biennale Venedig 2005 entführen wird.

Bis 16. 1., Di.-So. 10-18 h, Do. 10-21 h.

INTERNET 

www.kunsthaus-bregenz.at

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