Artikel aus profil Nr. 06/2003
"Wozu überhaupt noch?"

Elke Krystufek, Wiener Künstlerin mit Weltgeltung, über Nacktheit, Death Metal und Kabelfernsehen, über das Grauen als Antrieb und das Spiel mit der Idee des Rückzugs.
profil: Wo immer über Sie geschrieben wird, taucht unweigerlich der Begriff der Provokation auf. Sehen Sie das auch als Einengung Ihrer Arbeit?
Krystufek: Es stimmt, es gibt diese Sichtweise auf meine Arbeit, aber ich glaube, ich lebe in einer anderen Art der Kultur: in einer Kultur, die ich mir selbst geschaffen habe. Für mich ist Provokation kein Thema.

profil: Sie haben sehr jung begonnen und blicken nun, mit 32, bereits auf gute zehn Jahre sehr erfolgreicher Arbeit im internationalen Kunstbetrieb zurück. Zeit für ein vorläufiges Resümee?
Krystufek: Jung Künstlerin zu sein ist eine ziemlich harte Erfahrung. Aber das ist für alle so, die das erleben. Die letzten Jahre waren dann doch eher eine gute Zeit, auch wenn das nicht unbedingt mit dem Kunstbetrieb zu tun hat.

profil: Verändert sich mit dem Wissen, als "Star" zu gelten, nicht auch die Arbeit selbst?
Krystufek: Ich glaube, man kann überhaupt erst dann richtig arbeiten. Aber es ist auch enttäuschend festzustellen, wie wenig Reaktion man bisweilen bekommt. Der eigene Arbeitseinsatz und die Reaktionen darauf haben nicht unbedingt miteinander zu tun. Mit der Zeit bemerkt man, wie wenig das zusammengeht.

profil: Die große Ausstellung, die Sie gerade fertig stellen, trägt den Titel "Nackt & mobil". Das Spiel mit dem Spektakel, für das Sie ja berühmt sind, scheint darin wieder anzuklingen.
Krystufek: In dem Titel steckt die Idee eines Widerspruchs: Wenn man nackt ist, kann man sich ja zum Beispiel in der Öffentlichkeit eher nicht bewegen. Es ist vorgekommen, dass sich Leute an der Grenze, um nicht abgeschoben zu werden, ausgezogen haben. Der Titel bezieht sich auf alle Formen der Nacktheit, auch auf solche, die nicht mit Sex zu tun haben, etwa die beim Arzt oder bei polizeilichen Kontrollen. Nacktheit hat ja sehr verschiedene soziale Funktionen. Und das Seltsame ist auch, dass die Nacktheit, wenn man sich lange damit befasst, auch zu einer Art Uniform wird. Der Künstler Maurizio Cattelan hat mir einmal gestanden, dass er – weil er nur meine Arbeiten kannte – es verstörend und ungewohnt finde, mich angezogen zu sehen.

profil: Das Prinzip der Collage ist eine Basis Ihres Werks.
Krystufek: In letzter Zeit befasse ich mich zunehmend mit theoretischen Texten, mit cultural studies. Slavoj ŠZiŠzek kommt bei mir gegenwärtig oft vor, weil er großartige Dinge schreibt. Der Djihad, sagt er etwa, sei immer auch ein McDjihad. Mir gefällt es einfach, die Richtung umzudrehen: Während in der Theorie meist die Kunst hergenommen wird, um Texte herzustellen, nehme ich mir Zitate aus solchen Texten, um sie für meine Kunst zu verwenden.

profil: Humor spielt eine zentrale Rolle in Ihrer Arbeit. Wird er zu oft übersehen?
Krystufek: Vielleicht. Der Witz meiner Arbeiten ist relativ kompliziert, speziell bei manchen meiner Collagen; er ist nicht immer gleich zugänglich.

profil: Sehen Sie Ihr Werk denn als ironisch? Der Begriff der Ironie ist ja vielerorts verpönt: als der einfachste Weg, sich von allem zu distanzieren, nicht angreifbar zu sein.
Krystufek: Ich glaube, wenn man Kunst macht, ist man automatisch sehr distanziert. Es ist eine Form der Distanzierung.

profil: Das Kunstwerk schützt. Es schließt sich wie eine Hülle um den, der es herstellt.
Krystufek: Ja, es geht nur um Distanz. Und je authentischer man selbst ist, umso weniger Kunst braucht man.

profil: Der Widerspruch zwischen radikaler "Privatheit" und größtmöglicher Ungreifbarkeit gehört zu den beliebtesten Klischees im Schreiben über Sie.
Krystufek: Mich selbst hat diese Frage nie wirklich beschäftigt. Mich haben Inhalte interessiert, aber nie der Konflikt zwischen Privatem und Öffentlichem.

profil: Dennoch hat sich gerade das als der meistbeschriebene Aspekt Ihrer Arbeit durchgesetzt.
Krystufek: Das hat vor Jahren jemand geschrieben, seither wird es unaufhörlich zitiert. Das ist ein Hauptgrund für mein gegenwärtiges Interesse an der Theorie. Ich will die Kontexte ein wenig öffnen. Es ist schon entsetzlich, wenn in dieser Art zehn Jahre lang abgeschrieben wird.

profil: Sie haben auf die Frage nach Ihrem kreativen Antrieb einmal geantwortet: das Grauen. Gilt das noch?
Krystufek: Das Grauen herrscht heute in mir vielleicht etwas weniger vor. Dennoch: Je länger man sich mit der Kunst auseinander setzt, umso mehr fragt man sich, wozu überhaupt noch?

profil: Die Selbstzweifel haben nicht nachgelassen?
Krystufek: Ich habe beispielsweise seit dem Sommer nicht mehr gemalt. Und ich hab bemerkt, dass es mir nicht wirklich abgeht, dass man sich gut auch mit anderen Dingen beschäftigen kann; Mode und Design interessieren mich derzeit mehr als die Malerei. Vielleicht auch, weil die Kunst immer weniger ästhetisch wird.

profil: Das heißt: immer theoretischer?
Krystufek: Sie wird immer theoretischer, entwickelt sich wieder mehr in Richtung Konzeptkunst. Die inhaltlich spannenden Ausstellungen sehen einander formal immer ähnlicher. Die Sinnlichkeit wird in der Kunst merklich reduziert, das konnte man auch auf der letzten documenta ganz gut sehen. Es geht einfach immer weniger um Schönheit.

profil: Das Schöne ist doch kaum zu definieren.
Krystufek: Schon, aber es geht mir auch darum, das Gefühl zu kriegen, es mit Kunst zu tun zu haben, bei der jemand ästhetisch nachgedacht hat.

profil: Daher auch das Interesse für Mode und Design?
Krystufek: Ja, ich finde es spannend, sich einmal nur mit Schönheit auseinander zu setzen. Was mich an der Mode vor allem fasziniert, ist ihre Unmittelbarkeit. In Paris etwa habe ich stärkere Reaktionen auf meine Kleidung als auf meine Arbeit gekriegt. Der Körper ist der unmittelbarste Ort, sich auszudrücken. Hier kann man Botschaften relativ einfach transportieren.

profil: Das Konzept, als Künstlerin auch im Alltag etwas von dem darzustellen, was einen in seiner Arbeit bewegt, ist kein ganz neues.
Krystufek: Bei mir geht das aber mittlerweile stark auseinander. Ich habe mich sozusagen von mir selbst entfernt. Ich lebe in meinem Alltag ein Leben mit ganz anderer Optik und anderen Interessen. Ich schätze auch die Möglichkeit, mich durch eine Stadt bewegen zu können, ohne etwas Bestimmtes zu tun zu haben und ohne jemand Bestimmter zu sein. Irgendwas zu sein. Ich finde es befreiend, meine beiden Existenzen auseinander zu halten.

profil: Ihrer Arbeit liegt auch ein Spiel mit Tabus zugrunde, mit sexuellen und moralischen Grenzen. Ist das Tabu für Sie überhaupt eine Kategorie?
Krystufek: Nein, ich habe immer eher mit Dingen gearbeitet, die mir begegnet sind. Später habe ich dann begonnen, bewusst auch zu steuern, was mir begegnet.

profil: Das heißt, Sie nehmen das Auffällige oder Schmerzhafte auf und spiegeln es in Richtung Publikum zurück?
Krystufek: In dem Sinne war mir auch die Theorie letzthin am wichtigsten: der Versuch, zu beschreiben und zu verstehen, was passiert – und eine Distanz zu finden über die Sprache. Ich frag mich auch immer, wieso man so viel aufnehmen können sollte. Es reicht ja eigentlich schon, in Hotelzimmern das Kabelfernsehen einzuschalten: Das Spektrum, mit dem man sich da konfrontiert sieht, ist an sich schon enorm.

profil: Die Fernsehbilder liefern etwas ganz Ähnliches wie die Gegenwartskunst, nur völlig ungeordnet.
Krystufek: Bei mir gibt es Ordnung ja auch nur in den Ausstellungen. Der Ort, von dem meine Arbeiten kommen, sieht völlig anders aus. Dort gibt es keine weißen Wände, dort liegt alles übereinander geschichtet. Insofern sind Ausstellungen für mich auch speziell anstrengend, weil es so viel Raum gibt und so viele Objekte, die darin geordnet werden müssen.

profil: Und zu viele weiße Wände?
Krystufek: Die Diskrepanz zu meinem eigentlichen Leben ist eben sehr hoch. Das ist auch eine Form der Anpassung; ich würde die Arbeiten bei mir daheim nie so hinhängen. Aber würde man die Bilder in den Museen einfach so an die Wände lehnen oder in den Raum stellen, so wäre wohl auch das wieder missverständlich, würde als Trash aufgefasst werden. Es ist immens schwierig, mit Kunst umzugehen.

profil: Woraus entsteht Ihre Arbeit? Gibt es Einflüsse, die so konkret sind, dass man sie nennen könnte?
Krystufek: Ich habe unlängst, in den Uffizien, die Porträtmalerei des 14. Jahrhunderts neu entdeckt – und dabei etwas gesehen, das auch bei mir ständig vorkommt: die Ungleichheit der Augen. So was löst dann gleich ein Gefühl der Verbundenheit aus. Grundsätzlich interessiert mich in erster Linie die Jugendkultur, derzeit etwa die Death-Metal- und Gothic-Szene. Die entsprechenden Outfits sind überaus spannend: dieser Hang, sich so stark zu dekorieren, mit Ornamenten auszustatten.

profil: Gehört es denn zu Ihren Utopien, möglichst klare, unmittelbar zugängliche Kunst zu machen?
Krystufek: Die Rezeption meiner Arbeit befriedigt mich nicht. Ich hab sehr oft den Eindruck, missverstanden zu werden, dass man vor allem ästhetische Aspekte stets übersieht. Kaum jemand schreibt über die formalen Seiten, über die Machart der Bilder und Objekte. Ich würde gern mal einen richtig trockenen Text zu meiner Kunst bekommen, eine Analyse über Farbe, Komposition und Material. Stattdessen ist immer nur von Skandal und Provokation die Rede.

profil: Geht es bei Ihnen denn noch um Geld?
Krystufek: Ich habe manchmal die Utopie, finanziell so weit abgesichert zu sein, dass ich mein ganzes Leben lang nicht mehr arbeiten müsste. Ich stelle mir vor, daraus ein ganz anderes Freiheitsgefühl ableiten zu können. Wie es jetzt ist, könnte ich mir wahrscheinlich erlauben, ein paar Jahre nicht zu arbeiten. Und es ist ja auch so, dass man, um überhaupt Kunst produzieren zu können, viel mehr Geld braucht.

profil: Wäre es denn wünschenswert, jahrelang nicht mehr zu arbeiten?
Krystufek: Ich habe im letzten Jahr oft darüber nachgedacht, wie das wäre, wenn ich aufhören würde. Wenn man nun aber Künstlerbiografien liest, stellt man fest, dass nicht einmal ein früher Tod das jeweilige Werk beendet. Man fragt sich, wozu man sich anstrengt und all die Jahre arbeitet, wenn Leute, die früh zugrunde gehen, weiterhin Ausstellungen haben. Man fragt sich auch, welche Rolle man noch spielt. Wenn man ein paar Jahre lang gearbeitet hat, existiert ein Werk auch von selbst weiter. Ich zweifle immer mehr an der Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit.

Interview: Stefan Grissemann; Foto: Manfred Klimek

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