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30. März 2009
18:05 MESZ

ZUR PERSON:
Megan Lewis (36), aufgewachsen in Neuseeland, arbeitet als Fotografin in Perth, Australien. Mit ihren Fotos indigener Australier gewann sie 2005 den Walkley Award. Die Ausstellung "Conver_sations with the Mob" ist in der Galerie Westlicht (1070 Wien, Westbahnstraße 40) bis 31. Mai zu sehen. Das gleichnamige Buch erschien bei der University of Western Australia Press.

 

Fotografin  Megan Lewis.


Die Galerie Westlicht zeigt Arbeiten der Fotografin Megan Lewis, die sich dem Alltag der Indigenen Australiens widmet. Foto aus "Conversations with the Mob".


Wie ein langsamer Genozid
Monatelang lebte die Fotografin Megan Lewis bei australischen Ureinwohnern - Michael Freund erzählt sie, was sie dabei erlebt hat

Standard: Vor sieben Jahren haben Sie Ihren sicheren Job als Fotografin bei der Tageszeitung "The Australian" aufgegeben, um mit dem Volk der Martu in der nordwestaustralischen Wüste zu leben.

Lewis: Ich hatte seit meinem ersten Besuch 2000 eine Beziehung zu ihnen entwickelt. Um sie besser kennenzulernen, musste ich immer zwei Tage lang von Perth aus hinfahren. Langsam begannen sie, mir zu vertrauen. Ich wollte ein Buch über sie machen - das ging nur durch Aufgabe der Brotarbeit. Ich brauchte mehrere Tage, bis ich meinem Bauchgefühl folgte und alle Sicherheiten aufgab. Meine Kollegen fragten mich, ob ich verrückt wäre und wann ich endlich wieder in die wirkliche Welt zurückkehren würde, und ich sagte: "Was ist die wirkliche Welt?"

Standard: Was blieb von dieser langen Erfahrung?

Lewis: Man kann hier nicht leben wie in der Wüste und umgekehrt. Könnten wir einen Mittelweg gehen, wären wir alle glücklicher. Das Schwierigste war, mich wieder an genaue Zeiten zu gewöhnen. Beim Mob draußen herrscht ein ganz anderes Zeitgefühl. Sie kommen zu einem Termin, wenn es "sich richtig anfühlt". Sie funktionieren nach Gefühl, wir nach Intellekt. Ich habe gelernt, geduldig zu sein. Man glaubt, die Fahrt wird drei Stunden lang dauern, doch dann beschließt der Mob, zwischendurch auf Jagd zu gehen, und man kommt erst in drei Tagen an. You go with the flow.

Standard: Sie sprechen von "Mob". In unseren Ohren klingt das nach Zusammenrottung oder Mafia.

Lewis: Nein, nein (lacht), sie nennen sich selbst so, und in Australien ist das bekannt.

Standard: Waren Sie zwischendurch immer wieder in der Stadt?

Lewis: Ja, ich habe Aufträge angenommen, damit ich mir die Monate in der Wüste leisten konnte. Ich habe mir das ganze Projekt selbst finanziert.

Standard: Was hat Sie auf die Erfahrung der Wüste vorbereitet?

Lewis: Ich bin in Neuseeland in der Natur aufgewachsen. Ich war viel im Busch, unter Tieren, allein. Alles dort ist sehr anders, doch ich habe früh den natürlichen Rhythmus der Dinge gesehen.

Standard: Sie schreiben in ihrem Fotobuch über das Phänomen der Dreamtime: eine spirituelle, magische Ebene, die den indigenen Australiern eigen und wichtig ist. Haben Sie selbst diese Ebene gespürt?

Lewis: Ich wusste schon als Zwanzigjährige, dass ich eine eigenartige Fähigkeit hatte, Dinge zu finden. Diese Energiearbeit half mir bei den Martu, ich entwickelte heilende Kräfte. Es war eine überwältigende Erfahrung, als ich in meinen Händen und als Wellen in meinem ganzen Körper fühlte, wo ein Toter lag, den wir in der Wüste suchten.

Standard: Das kann man sich kaum vorstellen, wenn man mit dieser Kultur nicht vertraut ist.

Lewis: Letztlich sehe ich da keine großen Unterschiede zwischen Kulturen in der ganzen Welt. An der Oberfläche mögen sie sehr unterschiedlich sein, doch darunter gibt es eine spirituelle Ebene, auf der alle Menschen gleich sind. Wir sehen uns als Teil einer bestimmten Kultur. Doch auf der emotionalen Ebene ist das anders: Wir bedienen uns alle ähnlicher Energiequellen. Auch wer aus dem vergleichsweise kalten Europa kommt, kann erfahren, was die Aborigines in der Wüste erfahren.

Standard: Ihr Buch kam zu einem Zeitpunkt heraus, als sich die offizielle Politik gegenüber den indigenen Völkern zu ändern begann.

Lewis: Kurz vor der Präsentation gab es das berühmte "Sorry" der Regierung. Es kamen mehr als 500 Leute, Mob und Whitefellas, etliche hatten Tränen in den Augen. Conversations with the Mob wurde zum Buch der Woche gewählt. Die Auswirkungen der neuen Politik sind ganz unterschiedlich, je nachdem, wo man hinschaut. Wie immer ist es auch dort in der Sandy Desert wichtig, dass Änderungen nicht von oben verordnet werden, sondern auf dem Boden stattfinden.

Standard: Was heißt auf dem Boden?

Lewis: Das heißt gemeinsam mit den Menschen, die wirklich mit den Martu arbeiten und leben und verstehen, was für sie wichtig ist. Die meisten haben keine Ahnung vom Leben dort. Das Schlimmste ist, die Indigenen einfach mit Geld zu überschütten. Social Welfare wirkt dort wie ein langsamer Genozid. Die Bergbauunternehmen zahlen ihnen riesige Summen für Schürfrechte: Das ist schneller Genozid.

Standard: Was sind Alternativen?

Lewis: Ich glaube, dass Gesundheit sehr wichtig ist, die Essgewohnheiten. Ich habe ein Programm aufgebaut und darauf geachtet, dass die Kinder nicht dauernd Zucker, Fett, gebleichtes Mehl essen. Der Effekt war nach wenigen Wochen zu sehen. Doch es ist ein langfristiges Projekt von 20 Jahren und mehr.

Standard: Gibt es Grund für Optimismus?

Lewis: Der Mob, das sind ganz außergewöhnliche Leute. Sie mögen völlig in die Enge getrieben sein, und plötzlich finden sie Wege hinaus. Sie überleben unter widrigsten Umständen. Ihr Hauptproblem ist, dass sie diese Fähigkeit vielleicht verloren haben. Nicht jeder kann sie wiederfinden. (Michael Freund, DER STANDARD/ Printausgabe, 31.3.2009)

 

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