Salzburger Nachrichten am 19. April 2006 - Bereich: Kultur
Aufrauen und aus dem Alltagstrott herauskommen

Theater im Bahnhof: Neue Orte, neue Einflüsse und mit "Sue Ellen - live" ein neues Stück, das auch eine Band ist

MARTIN BEHRGRAZ (SN). Zehn Jahre Lendplatz sind genug, seit kurzem hat das Grazer Theater im Bahnhof (TiB) im Arbeiter- und Ausländerbezirk Gries neue Räumlichkeiten bezogen. Ein klassischer Theaterraum ist dies nicht, vielmehr eine kreative Homebase, deren Ergebnisse in Zukunft an unterschiedlichen Orten zu sehen sein werden. "Wir wollen nicht eine berechenbare Mittelbühne mit mehr Sitzplätzen werden, sondern ausschwärmen in den urbanen Raum und so die Gefahr der Routine reduzieren", sagt Helmut Köpping, der künstlerische Leiter im TiB.

Das seit 1989 bestehende, ursprünglich tatsächlich im Hauptbahnhof-Gelände situierte Theater, hat in der Vergangenheit mit dem Flair, ein radikales Volkstheater zu sein, österreichweit Erfolge verzeichnet. Nach der minimalistischen Bürgerchoreografie "Nicht einmal Hundescheiße" im "steirischen herbst" oder der polarisierenden Version von Elfriede Jelineks "Burgtheater" konnte der Auftakt zu einer monatlich geplanten "Gala"-Reihe kürzlich aber nicht überzeugen. "Wir sind gerade dabei, Produktionsweisen anders zu denken, neue Einflüsse, wie etwa den Film, einfließen zu lassen", berichtet Köpping, der kürzlich auf der "Diagonale 06" sein Debüt als Spielfilm-Regisseur ("Kotsch") gab.

Um das Risiko der Erstarrung sowie die Lust, vorrangig bewährte Pfade zu betreten, zu verringern, gelte es, Impulse von außen aufzunehmen. Was auch im Text&Musik-Projekt "Sue Ellen - live" geschieht. Der Untertitel: "Ich bin neu im politischen Handeln." Helmut Köpping: "Es geht um eine aus vier Frauen bestehende Band, die aus dem Alltagstrott herauskommen und Engagement leben will." Einmal etwas politisch verändern, einmal ein erfülltes Leben ohne Kompromiss leben zu können. Einmal wie Patti Smith sein!

"Sue Ellen" lautet der Name der nach Jahren wieder neu gegründeten Band, deren Mitglieder in weißen Anzügen und Schnurrbärten (warum nur, warum?) posieren und die in den vergangenen Wochen und Monaten von Profimusikern gecoacht wurden. "Wir wissen, wir können nie eine Band sein, aber wir können in das Phänomen Rock&Pop hineinschnuppern und so die Oberfläche für das Theater größer machen", sagt Köpping.

Premiere für das mit Musiknummern bereicherte Stück ist heute, Mittwoch, im Grazer "Bang", einem Lokal, das weiland "Cafe Pi" hieß und Schauplatz eines legendären "Nirvana"-Konzerts war. Der Neubeginn des Frauenquartetts passt gut zur programmatischen TiB-Frischzellenkur, zum "Aufrauen", wie es Köpping formuliert. Zitat aus dem Pressetext: "Es reicht nicht mehr, nur den defekten Fön anzuschreien."