18.10.2002 23:33
Wut zur Gestaltung
Von der
Ästhetik der Informationstechnologie bis zum Design von Kanaldeckeln: die
Formensprache des Karim Rashid
Von der Ästhetik der Informationstechnologie bis zum Design von
Kanaldeckeln reicht die Formensprache des Karim Rashid, der ab 25. Oktober auch
an einer Ausstellung des steirischen herbstes teilnimmt.
Schwarze Sakkos und schwarze Rollis, anthrazitfarbene Anzüge und
betongraue Hemden. Graue Gesichter sowieso. Vielleicht ein kleiner, rattenhafter
Yuppie-Zopf im Genick, eckige Brille nicht ausgeschlossen. Wer sich in letzter
Zeit mit Vertretern und Kommissären der Designszene traf, wer fleißig deren
Messen und Vernissagen besuchte, dort nüchterne Möbel mit hohem Gebrauchs-IQ
umzingelte, der konnte eines wohl kaum übersehen: nämlich die Präsenz einer
Mode, die Sales-Manager, Kreativdirektoren, Designer in der Regel im kollektiven
Dress antreten ließ - in einem uniformen Outfit mit dem gewissen Flair von
Leichengräber-Intellektualität.
Betrachten wir hingegen Herrn Rashid,
einen Mann, dessen Name von den oben georteten Design-Krähen heute nicht eben
selten in den Mund genommen wird. Schließlich befindet sich auch die mit
Experimenten eher vorsichtig gewordene Möbelbranche auf steter Entdeckungsreise.
Sucht, tüftelt, forscht nach besseren Materialien. Investiert in die ultimative
Eckverbindung sowie in andere Errungenschaften eines scheinbar stagnierenden
Gegenwartsdesigns. Und hungert dabei nach Gegenfüßlern. Nach Leuten, die auch
ohne Bauhaus und Memphis und Retro-Zeigefinger im Gepäck ihren Design-Weg suchen
- und finden.
Karim Rashid - Mr. Geheimtipp
Herr Rashid
darf als Exemplar letzterer Kategorie bezeichnet werden, und entsprechend
planmäßig verlief auch seine Karriere. Irgendetwas fiel auf an seinen Entwürfen,
die von New York aus zunächst lediglich die virtuellen Räume des Internets
möblierten. Damals war er Mr. Geheimtipp, einer, der die Balance zwischen
Underdog und Etabliertem besonders lang in der Schwebe zu halten verstand. Doch
auf den Absturz wartet man auch heute, nach dem erfolgten Durchbruch, vergebens
- Karim Rashid versagte sich das übliche Los der Geheimtipp-Menschen. Er galt
als hip - und gilt heute als noch hipper. Eine Supernova mit guter Kondition,
möchte man meinen. Einer, der entweder um zwei Jahrzehnte zu spät kommt oder
viel zu früh. Oder einfach aus ziemlich weiter Ferne. Letzteres stimmt im Falle
des gebürtigen Ägypters in der Tat und klingt ansonsten wie billige
amerikanische Propaganda: Karim, das Immigrantenkind, wird in Amerika reich.
Halleluja! Und größere Wunder sollten noch geschehen: Denn Karim, das
Immigrantenkind, wird so etwas wie ein Popstar.
Ob ihm dies auch auf
musikalischer Ebene gelingt, wird sich erst noch herausstellen. Immerhin
veröffentlichte Karim Rashid erst vor kurzem seinen ersten Track fürs
Plattenlabel Mole Listening Pearls. Sicher sein kann man sich aber im
angestammten Metier Design: Karim poppt, als flösse purer Kaugummi durch seine
Adern, vielleicht als Erster seit Philippe Starck, der mittlerweile ja den Mick
Jagger des Möbeldesigns abgibt. Doch das sind Reminiszenzen an die
Achtzigerjahre, während Rashid als geschichtsloser Interpret der Postpostmoderne
auftritt - und dabei eine große Lücke im internationalen Design füllen hilft. An
geeignetem Rüstzeug fehlt es ihm jedenfalls nicht. Folgendes wäre nämlich zu
vermelden: Erstens, und am wichtigsten, null Scheu vor weißen Lackschuhen mit
orangefarbenen Socken. Zweitens die Tatsache, dass die Surfergemeinde fest
hinter ihm steht und damit auch auf seine Teppiche, Möbel und
Accessoires.
Lautstark, grell und bunt ...
Auch das
Industriedesignstudium in Kanada und Schnupperjobs bei Ettore Sottsass und
Rodolfo Bonetto schlugen sich positiv nieder, wie das vorläufige
Zwischenergebnis beweist. Lautstark, grell und bunt sind Rashids Entwürfe. Wie
im Rampenlicht eines Gigs knallen sie auf die Bühne des Designs, während die
dazugehörigen Grafikjobs genauso gut auf der Unterseite von Skateboards oder im
Portfolio eines trendigen Webdesigners auftauchen könnten. Man mag sogar so weit
gehen zu sagen: Karim Rashid ist eine originäre Erfindung der Stadt New York und
die amerikanisch geprägte Popkultur des neuen Jahrtausends seine eigentliche
Heimat und Projektionsfläche. Dahinter verbirgt sich nun so manches: beachtliche
Dynamik ebenso wie das prinzipielle Dilemma der eher oberflächlichen Lesart der
Dinge - besser bekannt als Pop. Nachhaltigkeit ist jedenfalls nicht der erklärte
Fokus des Karim Rashid, so viel steht schon auf den ersten Blick fest. Vielmehr
zählt für ihn der Moment, der Fluss und manchmal auch Strudel der Popkultur,
wohl auch die Flüchtigkeit von Internet und medialer Welt. Virtuos lotet Rashid
als eigentliche Basis seiner Arbeit die Ästhetik der Informationstechnologie
aus, und die Vielfalt seiner Arbeit erinnert dabei tatsächlich ein wenig ans
Surfen im Netz. Scheinbar mühelos springt nämlich auch der Designer zwischen
entfernten Produktgenres hin und her, verwischt dabei mit beachtlichem
Selbstverständnis traditionelle Grenzziehungen. Vom Parfumfläschchen zum Möbel,
vom Informationskiosk zum tragbaren Computer, von der Gestaltung neuer New
Yorker Gullydeckel bis zum Manschettenknopf reicht die Gestaltungswut des Karim
Rashid und legt sich wie Brooklyner Graffiti über das Panorama der
Produktwelt.
... "Sensual minimalism"
"Sensual minimalism"
nennt er seinen Arbeitsstil. Dinge der Alltagskultur in sinnliche und
komfortable Produkte zu verwandeln, vielleicht auch in Fetische des persönlichen
Gebarens. Moderne Materialien wie Plastik, Kunstharz oder Metalllegierungen, die
eigentlich aus der Luftfahrt stammen, spielen dabei eine zentrale Rolle, ebenso
natürlich wie der Computer, so wie es sich für ein Net-Kid eben gehört.
"Papier", sagt Rashid nicht ohne Stolz, "findet sich in meinem Büro keines."
Auch der hauseigene Vertrieb mancher Entwürfe läuft logischerweise über das
Netz. Der ideale Mann für Black & Decker, Sony, Villeroy & Boch und YSL
zu sein setzt ein gewisses Maß an Flexibilität voraus.
Das "Karim
Rashid Tracking"
Sich alle diese Kunden unter den Nagel reißen zu
können erfordert ein hohes Maß an persönlichem Talent, in Rashids Fall wird dies
zum Mix mit individuellem Stil. Denn allzu leicht lässt sich die Handschrift des
mittlerweile bekanntesten New Yorker Designers aus dem Fundus der Produktwelt
herauslesen, daran konnte auch der enorme Output des 41-Jährigen nichts ändern.
Anfängern des "Karim Rashid Tracking" sei in diesem Zusammenhang ein besonderes
Augenmerk auf die Farbe Schweinchenrosa anempfohlen. Pink wie Buggs Bunnies
Ohren ist der präferierte Farbton des New Yorkers, und fast schaffte es Rashid,
der Farbe quasi im Alleingang zu einem Modefrühling zu verhelfen. Mit der
Sitzbank "Momo 100 pink", einer Art miniaturisierter Achterbahn zum
Verschnaufen, setzte er bereits im Jahr 2000 ein erstes kräftiges Signal. Mit
dem auf der diesjährigen Mailänder Möbelmesse präsentierten Lümmelmobiliar
"Superblob" legte er noch ein rosarotes Schäuferl - respektive eine an Vulven
und phallische Wülste anmutende Sitzgelegenheit - nach.
"Sensual
minimalism" also, dem so gesehen auf Dauer wohl nur zweierlei Möglichkeit
bleiben: die stete Steigerung ins künstlerische Gefilde des Hyperdesigns. Oder
zurückkriechen, egal wohin - in Rechnergehäuse und den Schoß der großen Stadt.
(Robert Haidinger/DER STANDARD/rondo/18/10/2002)