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05.12.2003 - Kultur&Medien / Ausstellung
Liechtenstein: Cowboys, Kubismus, Comics
Andy Warhol, das war der aschblonde, promi-geile Partytiger mit seiner „Factory“. Und Roy Lichtenstein? Über ihn als Person weiß man meist wenig. Anlässlich der Lichtenstein-Ausstellung in Wien: eine biografische Annäherung.

Der mit den Comic-Bildern, genau der war Roy Lichtenstein. Hat sein ganzes Leben lang nur Comic-Bilder gemalt und war wahrscheinlich auch auf den Partys, auf denen man Andy Wahrhol antraf. Vermutet man, stimmt aber nicht. Lichtenstein war viel mehr als nur der „Sweet Dreams Baby“-Comic-Artist und lebte auch ziemlich anders als die Pop-Ikone Andy Warhol.

Während dieser im dreckigen Soho-Viertel von Pittsburgh geboren wurde, erblickte Roy Fox Lichtenstein 1923 gleich an der Stätte seines späteren (besser gesagt: späten) Triumphes das Licht der Welt: in Manhattan. In seinem Elternhaus dürften die Musen nicht zu Hause gewesen sein, der Vater war Immobilienmakler, über die Mutter sagt man nur, dass sie ein „sensitiver Mensch“ gewesen sei – doch das lässt sich wohl über viele Mütter sagen. Und wie kam Little Roy dann ausgerechnet zur Kunst? „Das ist schwer zu eruieren“, meint Jack Cowart, Direktor der Roy Lichtenstein Foundation und intimer Kenner sowohl des Werkes als auch der Person, im Interview. „Tatsache ist, dass er sich schon sehr früh für Kunst interessierte, Jazz mochte und die kreative Atmosphäre in Manhattan sehr genoss: die vielen Museen, die Clubs und so weiter. Und Lichtenstein war ein Forschertyp.“ Außerdem soll er als Bub von den Comics „Flash Gordon“ und „Mandrake the Magician“ begeistert gewesen sein, was bekanntlich nicht ganz ohne Spätfolgen war.

Als Jugendlicher besuchte er Aquarell- und Malereiklassen, nach der High School war er bereits davon besessen, Maler zu werden.  Zum Glück hatte er 0815-Eltern, die ihn dazu überredeten, an einer regulären Kunstschule zu studieren, um später auch unterrichten zu können. „Das Besondere an der  School of Fine Arts an der Ohio State University war, dass dort sehr viel Wert auf Wahrnehmung – etwa von statischen oder dynamischen Bildern – gelegt wurde. Die theoretische Ausbildung war fundamental, es wurde nicht nur gemalt wie auf anderen Schulen“, so Jack Cowart. Was insofern von Bedeutung ist, als Lichtenstein in seinem späteren Werk stets die Wahrnehmung von Dingen und Kunstwerken reflektierte.

Amerikanische Motive. Nur schwer vorstellbar ist es, dass der Kunstabsolvent in den 40er- und 50er-Jahren in seiner Malerei versucht, den damals nicht gerade neuen Kubismus mit amerikanischen Motiven zu kombinieren. „Er erzählte mir, dass er von Picasso und Braque besessen war“, so Cowart. Es entstehen Bilder mit Cowboys und Motiven aus der amerikanischen Geschichte, die aber beim Publikum kaum Resonanz fanden – wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass in diesen Jahren die wilden abstrakten Expressionisten wie Jackson Pollock oder Willem de Kooning gefeiert wurden und Gegenständliches vermutlich ziemlich altmodisch wirkte.  Lichtenstein musste sich finanziell über Wasser halten, arbeitete als Lehrer, Designer und Dekorateur oder ließ sich von seiner Frau Isabel Wilson die Rechnungen bezahlen.   Ob er damals, als über 30-Jähriger, noch daran glaubte, jemals ganz groß rauszukommen? „Er produzierte schon früh eine Menge ernsthafter Kunst, und das jahrelang. Das deutet schon darauf hin, dass er sich berufen fühlte. Klar wusste er, dass er nicht der neue Picasso oder Pollock werden würde. Aber er wartete auf das nächste ,big thing’ in der Malerei – auch wenn noch niemand wusste, was dies überhaupt sein würde“, meint Jack Cowart.

Noch wusste es auch Lichtenstein nicht, suchte seinen Stil, produzierte zum einen erste Pop-Art-Arbeiten wie etwa die Lithographie einer 10-Dollar-Note oder Zeichnungen von Donald-Duck-Bildern, wechselte dann aber wieder seinen Stil und versuchte, an die abstrakten Expressionisten anzuschließen. Erfolg hatte er damit keinen. Was aber nichts machte, denn Pollock & Co waren Anfang der 60er-Jahre schon wieder out, die Pop Art begann ihren Siegeszug. Lichtenstein erinnerte sich wieder an seine gegenständlichen Wurzeln, malte „Look Mickey“, sein erstes großes Pop Art-Werk. Und zwar in der „Benday-Dot“-Technik, bei der die Farben (meist Schwarz, Blau oder Rot) durch Reiben und Bürsten durch ein gelochtes Sieb auf das Bild aufgetragen wurden und somit Plakat-Drucktechnik imitiert wurde.

1962 stellt Lichtenstein erstmals beim New Yorker Avantgarde-Galeristen Leo Castelli aus. Andy Warhol, der zur gleichen Zeit ebenfalls Comics malte, gab sich geschlagen und letzteres gleich wieder auf. Der gar nicht glamouröse, stille Lichtenstein hatte, mit fast vierzig Jahren, spät aber doch, sein Territorium erobert. Und er erweiterte es laufend. Nach den Comics kamen Landschaftsbilder hinzu, bald wieder Motive, die zum Abstrakten tendierten, später dann Paraphrasen auf Klassiker der Malerei wie Monet, Picasso – oder Lichtenstein. „Bei allem Erfolg blieb er der Lehrer-Typ. Ohne dass er aber andere führen wollte“, erklärt Jack Cowart. „An der Pop Art schätzte er, dass sie eine lose Bewegung war und keine Vereinigung von Künstlern mit strengem theoretischen Fundament.“

Der Maler respektierte seine Kollegen, mochte auch den schrillen Warhol, obwohl es ihm selbst nie in den Sinn gekommen wäre, sich zu inszenieren oder den Partylöwen zu geben. Auch die Gegnerschaft der Pop Art zu den abstrakten Expressionisten nahm bei Lichtenstein keine rauen Formen an: „Man muss seine Väter töten, das gehört dazu. Aber Lichtenstein hatte große Achtung vor Pollock und den anderen. Was ihn mit ihnen verband, war der Glaube an die Ölmalerei. Er ist stets ein Maler geblieben. Und ich habe von ihm nie etwas Schlechtes über einen anderen Künstler oder eine Kunstrichtung gehört. Er war einfach demokratisch.“

Wie Lichtenstein mit seiner steilen Karriere umging? Jack Cowart: „Im Grunde war er darüber immer erstaunt, oft amüsiert. Und – wow! – der Erfolg erlaubte ihm, ausschließlich das zu tun, was er wollte: malen. Er war sich natürlich bewusst, dass die Pop Art sehr schnell aus der Mode kommen konnte. Deshalb zwang er sich, immer wieder, weiterzugehen und Neues auszuprobieren. Comics hat er ja nur drei Jahre lang gemalt!“ Dass seine Bilder, zum Beispiel die War-Comics, oft politisch interpretiert wurden, störte den Künstler: „Er war zwar ein politischer Mensch und unterstützte finanziell Kam­pagnen, aber er war kein Prediger. Wenn seine Kunst politisch gewesen wäre, hätte sie später keine Bedeutung mehr gehabt.“ Als Person stellte sich Lichtenstein nur ungern in den Vordergrund. Von Zeit zu Zeit ließ er sich zwar auch bei Promi-Parties blicken, um ein bißchen PR für sich zu machen. Und dachte dann vermutlich bei einem Glas Wein in illustrer Runde, wie schön es doch zu Hause ist. Zu Hause, im ruhigen Atelier.

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