Kunst, Politik und Soziales | |
In seinem jüngsten Buch analysiert Okwui Enwezor, der Leiter der
documenta 11, die (Kunst)Geschichte Afrikas.
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Okwui Enwezor, dem künftigen Leiter der documenta 11,
wurde wiederholt vorgeworfen, er interessiere sich mehr für Konzepte,
Politik und Soziales als für die Kunst. Sein jüngstes Ausstellungs- und
Buchprojekt "Das kurze Jahrhundert. Unabhängigkeits- und
Freiheitsbewegungen in Afrika von 1945-1994" macht deutlich, warum dieser
Eindruck entsteht. Denn Enwezor bindet die Entwicklung der afrikanischen
Kunst auch in die politische Entwicklung des Kontinents ein. Die Kunst
steht aber trotzdem im Mittelpunkt der Betrachtungen des neuen
"afrikanischen Sterns" am Kuratoren-Himmel. 50 Jahre afrikanische Geschichte
Ohne Einbindung in die jüngere Geschichte der afrikanischen Staaten
wäre das "Monsterprojekt" auf schwachen Beinen gestanden, so Enwezor. Denn
zuerst müsste die Grundlage für künstlerische Identität und künstlerisches
Selbstbewusstsein geschaffen werden. Voraussetzung dafür seien Befreiung
und Unabhängigkeit Afrikas nach einem dreiviertel Jahrhundert brutaler
Unterdrückung durch die europäischen Kolonialmächte gewesen. Umfangreiche Aufarbeitung Mit der Aufarbeitung in den Bereichen Bildende Kunst, Mode, Grafik,
Fotografie, Architektur, Musik, Literatur und Film beschäftigte sich eine
Gruppe der namhaftesten Afrika-Experten in den letzten drei Jahren. Dazu
zählten der Schriftsteller und Essayist Chinua Achebe, der Ethnologe und Musikwissenschafter
Wolfgang Bender, der nigerianische Kunsthistoriker Chika Okeke sowie Mark
Nash und Lauri Firstenberg. Sie alle gehören auch dem
documenta-Kuratorenteam von Okwui Enwezor an. Dokumente zur Unabhängigkeit Zehntausende Notiz- und Manuskriptseiten wurden von den Autoren
zusammengetragen. Das Buch enthält auch erstmals veröffentlichte
Original-Dokumente zur Geschichte der Unabhängigkeit Afrikas. Bis vor zehn
Jahren wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. Denn die meisten der
politischen Dokumente - z.B. Reden von Freiheitskämpfern - seien bis vor
kurzem unter Verschluss in den Archiven der ehemaligen Kolonialländer
gelegen, erklärt Enwezor. Material-Suche im Westen Wesentliches Material befand sich außerhalb von Afrika. Man habe es
erst in westlichen Institutionen zusammensuchen müssen. Das Zynische daran
ist, "dass wir Zehntausende Dollar bezahlen mussten, damit wir unsere
eigene Geschichte veröffentlichen durften", hält Enwezor fest. Bei der
Idee, ein Archiv über den Kolonialisierungs-Prozess und über die Befreiung
anzulegen, seien Künstler ein wichtiger Faktor. Beispielsweise die
Arbeiten des Malers Tchibumba aus dem Kongo, die dieser als populäre
Geschichtsschreibung seines Landes begreift. Kritische Biografie Afrikas Der Herausgeber nennt das Buch eine "zeitgenössische, kritische
Biografie Afrikas". Es bietet nicht nur Überblickstexte über die
verschiedenen Kunstsparten und die jeweiligen gesellschaftlichen
Entwicklungen, sondern auch Farbtafeln, die weit über eine bloße
Illustration der Theorie hinausgehen. In diesem Sinn ist der Band mehr als
nur ein Kunstkatalog. Denn er stellt eine ausführliche Kunstgeschichte der
afrikanischen Moderne dar, wie sie bisher erstmals vorliegt. Unbekanntes Afrika In Europa und den USA gäbe es noch immer viele Vorurteile gegenüber
afrikanischer Kunst. Meist hinge dies mit dem geringen Wissen der
Ausstellungsmacher und der Besucher zusammen. So gelte die Avantgarde als
rein europäisch-nordamerikanische "Erfindung". Im Fall Afrikas könne sehr
oft nicht zwischen Kunst und Kunsthandwerk unterschieden werden,
verdeutlicht Enwezor die Problematik. Das Interessante an dem Buch ist nicht zuletzt der "afrikanische" Blick
auf die eigene Kunst. Sie wird heute zumeist von einer jungen
Künstlergeneration vertreten, die global arbeitet und sich kosmopolitisch
gibt. Interesse an Kunst Afrikas Mit dem aus Nigeria stammenden Okwui Enwezor ist das Interesse an
afrikanischer Kunst gestiegen. Den derzeitigen Boom hält er nicht nur für
eine vorübergehende Begeisterung der "müden westlichen Kunstszene" für das
Exotische, sondern für den Beginn einer ernsthaften Auseinandersetzung
nicht nur mit Afrika, sondern auch mit Asien und mit Südamerika. Internationale Ausstellung Das Thema wird auch in einer gleichnamigen Ausstellung näher
illustriert, die Okwui Enwezor gemeinmsam mit dem Museum Villa Stuck in München erarbeitet hat. Short
Century wird in diesem Frühjahr im Museum Villa Stuck in München
eröffnet und als zweite Station in Berlin gezeigt. Danach soll sie in den
USA und in Johannesburg zu sehen sein. Tipp:
Die mehrsprachige Ausgabe "The Short Century - Independence and
Liberation Movements in Africa 1945-1994" ist im Prestel Verlag erschienen. ATS 934,- / Euro 65,44, ISBN
3791325027. | ||||||
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