Albertina: Brassai - Fotograf des nächtlichen Lebens in Paris
Bilder wie Traumszenen
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Er war eigentlich ein Journalist aus dem Osten der
österreichisch-ungarischen Monarchie: Gyula Halász aus Brasso (heute
Rumänien), der sich nach einem Besuch der Akademien von Budapest und
Berlin (wo er mit Moholy-Nagy, Kandinsky und Kokoschka verkehrte) ab 1924
in Paris "Brassaï" (der aus Brasso) nannte. Nachdem er Texte für
mehrere Zeitschriften verfasst hatte, begann er zu fotografieren - seinem
Bohème-Leben gemäß war es das nächtliche Paris, das er dokumentierte -
nicht die heroisch romantische Dunkelheit, durchbrochen von wenigen
Lichtern, sondern schon eher Straßenszenen im Sinne der Expressionisten:
Menschen in Cafés, Liebespaare und Prostituierte, Gauner und andere
Nachtschwärmer wie die Künstler. Vor allem über seine Arbeit für die
Zeitschrift "Minotaure" lernte er viele kennen: Henry Miller, Jacques
Prévert, Anaïs Nin, Dora Maar und Picasso, für den er ab 1932
alle bildhauerischen Schöpfungen fotografierte. Nichts erschien
Brassaï surrealer als die Wirklichkeit, doch der Gruppe um André
Breton, mit der ihn die Vorliebe für die Art brut verband, für Graffiti,
nächtliche Traumszenen und Collagen wollte er nie zugerechnet werden. Doch
er war nicht nur mit Schriftstellern wie Sartre, Beauvoir, Colette,
Queneau und sogar Thomas Mann bekannt oder befreundet, er schrieb auch
selbst. Seine Fotografien wollte er immer mit Legenden verbinden und die
Anregungen von Bild und Text waren für ihn umkehrbar. Weiters schrieb er
Kommentare zu Kunstwerken, die im Gegensatz zu jenen der Wissenschaftler
sogar bei Picasso gut ankamen; außerdem widmete er sich dem Werk Marcel
Prousts in Bezug zur Fotografie. Er hielt über diese genaue Analyse
von Textaufbau und fotografischer Momentaufnahme auch Vorträge und ab 1949
kamen Fotos von Graffiti und seine "Transmutationen" (Ritz-Zeichnungen in
das fotografische Rohmaterial auf Glasplatten) als Illustrationen dazu.
Diese Glasklischeedrucke mit kubistisch verfremdeten weiblichen Akten
waren natürlich durch Picasso inspiriert worden; erst später entdeckte
Brassaï ähnliche Vorarbeiten von den Malern der Schule von
Barbizon bzw. von Corot und Delacroix. Auch dabei ging es dem mehrfach
Begabten aber um den Beweis der Fotografie als eine Kunstform, die sein
Freund Picasso anzweifelte. Paris bei Nacht und bei Tag, die Passanten,
Arbeiter, Bettler unter frühen Reklamewänden - viele Viertel existieren
heute längst nicht mehr und machen diese künstlerischen Manifeste auch zur
einzigartigen Dokumentation einer untergegangenen Epoche. Doch er wandelte
steinerne Fundstücken aus Bächen und von Meeresstränden mit chirurgischem
Besteck in kleine Skulpturen um und baute zeitgemäß Reliefcollagen (u. a.
aus Papieren). Im Erfassen des Lebens verglich er sich als
"Bildschöpfer" mit Malern wie Rembrandt, Goya, Daumier, Toulouse-Lautrec,
aber auch Degas und sogar Hokusai und bezeichnete in Vorausahnung
Fotografie und Film als die wesentlichen Künste des 20. Jahrhunderts.
Seine Frau Gilberte regte ihn zu vielen Reisen an: Spanien, Italien,
Marokko, die Türkei. Er fotografierte jahrzehntelang für die Zeitschrift
Harper's Bazar und traf in den USA auf Ansel Adams und später auf Edward
Steichen, der ihn als Kurator 1951 erstmals mit anderen im New Yorker MoMa
in eine Fotoschau integrierte. In Amerika hat er daran mitgewirkt, dass
die Fotografie lange vor Europa als eine Kunst verstanden wurde und wird;
vor seinem Tod überhäufte man ihn mit Preisen und Einladungen. Die Schau
in der Albertina (bis 21. September) ist eine Übernahme vom Centre
Pompidou, das auch den Nachlass verwaltet, und bringt die zirka 250
Exponate in acht thematischen Teilaspekten, die vor Ort von Monika Faber
erstellt wurden. Der umfangreiche Katalog (in Deutsch im Verlag
Brandstätter erschienen) gibt weitere Einblicke in Werk und Leben des wohl
bekanntesten Fotografen, der in der Epoche der späten klassischen Moderne
in Paris lebte.
Erschienen am: 08.09.2003 |
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Resümee und Ausblick der
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