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26.04.2003 - Ausstellung
Jetzt leuchten die Köpfe in Krems
Die bunten Köpfe von Jawlensky gehören wie Franz Marcs blaue Pferde in die bekannte Ikonografie des deutschen Expressionismus. In Krems leuchten sie besonders schön.
VON HANS HAIDER


E
ine Versammlung von 120 Bildern, fast alle in leuchtenden Farben und mit Scheinwerfern punktgenau zur optimalen Wirkung gebracht: Alexej von Jawlensky, 1864 in Russland geboren, 1896 nach Bayern übersiedelt, 1941 in Wiesbaden gestorben, ist für diesen Sommer in die Kunsthalle Krems eingezogen. Ein deutscher Expressionist - und doch auf vielen eigenen und sonderbaren Wegen unterwegs.

Ein OEuvre von 3000 Bildern hat er hinterlassen. Am begehrtesten bei Sammlern und in Museen: die unverwechselbaren bunten Köpfe der Jahre 1910/12. Damals stand der Spross einer verarmten Offiziersfamilie mit Kandinsky, Kubin, Franz Marc, August Macke, Paul Klee und Emil Nolde in Verbindung. Wie viele dieser Pioniere der Moderne wurde auch Jawlensky von den Nazis als "entartet" verfolgt - und nahm doch 1934 die deutsche Staatsbürgerschaft an.

In diesen seinen späten, von Krankheit überschatteten Jahren regredierte seine Kunst in beinahe kindlich-bunte Biedermeierei. Zuvor aber hatte er sein eigenes so kräftiges wie erfolgreiches Serien-Markenzeichen, den bunten Kopf, in vielen Schritten weiter mutiert hin zum mystischen, religiösen Zeichen.

Jede der Perioden ist nun in Krems reichlich dokumentiert in der ersten großen Jawlensky-Schau, die je in Österreich eröffnet wurde. Die Museumswelt ist vorsichtig geworden, seit serienweise Fälschungen bekannt wurden.

Für das Kremser Plakat und die Kataloghülle wurde eine besonders farbkräftige Variante seiner "Infantin" von 1912 gewählt. Kind oder Herrscherin? Deutsche oder Russin? Puppenkopf oder Liebespfand? Das Modell ist übrigens bekannt. Es war nicht seine Frau.

Kräftiges Gelb, Rot, Blau als Hintergrund an den Wänden der zweigeschossigen Ausstellungshalle: Ein Risiko, doch Jawlenskys Bilder bestehen davor wie Leuchtdias vor dem Dunkel. Die Chronologie beginnt mit einigen frühen, noch in Russland geschaffenen Porträts. Landschaften um die Jahrhundertwende zeigen Einflüsse der vielen Frankreich-Reisen. Doch bald ist die École de Paris verlassen und ein eigenes Kolorit gefunden - mit Linien, die den Aufeinanderprall der starken Farben dämpfen. Am nuancenreichsten mischt Jawlensky die Blau-Palette. Der Erste Weltkrieg vertreibt die Familie Jawlensky in die Schweiz. Eine Zäsur auch in der Kunst: Sie wird privater und seriell-experimenteller, auch die Bildtitel entmaterialisieren sich. "Herbstklang", "Duft und Frische". Und plötzlich 1919, da war der Maler auch privat in Nöten, taucht das "Heilandsgesicht" auf in vielen Varianten. Rätselvoll und schön als "Lächeln".

Immer mehr reduziert Jawlensky den menschlichen Kopf auf Linien, Flächen, er nennt 1918 ein Bild "Abstrakter Kopf": Diese Urform kippt später zurück zu Gesten ("Schmerz") und Pathos ("Prophet") - und nach vorne zu Meditationsbildern, in denen sich das menschliche Antlitz in Farbmuster auflöst.

Bilder von vielen Leihgebern hat der Kurator Tayfun Belgin zusammengeholt - darunter eines aus einer Rockefeller-Kollektioin, 16 aus Pasadena, zwei aus der Österreichischen Galerie und dreißig aus dem Museum am Ostwall in Dortmund, wo der promovierte Kunsthistoriker noch als Ausstellungsleiter tätig ist. Er sitzt im Expertenteam, das die Echtheit von Jawlensky-Bildern kontrolliert. Im kommenden Herbst übernimmt er die Kunsthalle Krems als Direktor, weil nun Carl Aigner, der sie zum Erfolg geführt hat, zur Gänze vom neuen NÖ Landesmuseum in St. Pölten okkupiert ist. Belgin (als Kind aus der Türkei nach Deutschland gekommen) hat für Krems bereits 2001 Klassische Moderne ("Von Macke bis Picasso") und 2002 ein Russen-Potpourri rund um Meister Ilja Repin zusammengestellt. Für 2004 bereitet er mit Leihgaben aus dem Russischen Museum St. Petersburg eine Schau mit dem Titel "Liebe, Tod, Leidenschaft" vor.

Bis 21. September, täglich 10 bis 18 Uhr, der Katalog kostet 23 Euro.



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