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ine Versammlung von 120 Bildern, fast alle in leuchtenden Farben
und mit Scheinwerfern punktgenau zur optimalen Wirkung gebracht: Alexej
von Jawlensky, 1864 in Russland geboren, 1896 nach Bayern übersiedelt,
1941 in Wiesbaden gestorben, ist für diesen Sommer in die Kunsthalle Krems
eingezogen. Ein deutscher Expressionist - und doch auf vielen eigenen und
sonderbaren Wegen unterwegs.
Ein OEuvre von 3000 Bildern hat er hinterlassen. Am
begehrtesten bei Sammlern und in Museen: die unverwechselbaren bunten
Köpfe der Jahre 1910/12. Damals stand der Spross einer verarmten
Offiziersfamilie mit Kandinsky, Kubin, Franz Marc, August Macke, Paul Klee
und Emil Nolde in Verbindung. Wie viele dieser Pioniere der Moderne wurde
auch Jawlensky von den Nazis als "entartet" verfolgt - und nahm doch 1934
die deutsche Staatsbürgerschaft an.
In diesen seinen späten, von Krankheit überschatteten
Jahren regredierte seine Kunst in beinahe kindlich-bunte Biedermeierei.
Zuvor aber hatte er sein eigenes so kräftiges wie erfolgreiches
Serien-Markenzeichen, den bunten Kopf, in vielen Schritten weiter mutiert
hin zum mystischen, religiösen Zeichen.
Jede der Perioden ist nun in Krems reichlich dokumentiert
in der ersten großen Jawlensky-Schau, die je in Österreich eröffnet wurde.
Die Museumswelt ist vorsichtig geworden, seit serienweise Fälschungen
bekannt wurden.
Für das Kremser Plakat und die Kataloghülle wurde eine
besonders farbkräftige Variante seiner "Infantin" von 1912 gewählt. Kind
oder Herrscherin? Deutsche oder Russin? Puppenkopf oder Liebespfand? Das
Modell ist übrigens bekannt. Es war nicht seine Frau.
Kräftiges Gelb, Rot, Blau als Hintergrund an den Wänden
der zweigeschossigen Ausstellungshalle: Ein Risiko, doch Jawlenskys Bilder
bestehen davor wie Leuchtdias vor dem Dunkel. Die Chronologie beginnt mit
einigen frühen, noch in Russland geschaffenen Porträts. Landschaften um
die Jahrhundertwende zeigen Einflüsse der vielen Frankreich-Reisen. Doch
bald ist die École de Paris verlassen und ein eigenes Kolorit gefunden -
mit Linien, die den Aufeinanderprall der starken Farben dämpfen. Am
nuancenreichsten mischt Jawlensky die Blau-Palette. Der Erste Weltkrieg
vertreibt die Familie Jawlensky in die Schweiz. Eine Zäsur auch in der
Kunst: Sie wird privater und seriell-experimenteller, auch die Bildtitel
entmaterialisieren sich. "Herbstklang", "Duft und Frische". Und plötzlich
1919, da war der Maler auch privat in Nöten, taucht das "Heilandsgesicht"
auf in vielen Varianten. Rätselvoll und schön als "Lächeln".
Immer mehr reduziert Jawlensky den menschlichen Kopf auf
Linien, Flächen, er nennt 1918 ein Bild "Abstrakter Kopf": Diese Urform
kippt später zurück zu Gesten ("Schmerz") und Pathos ("Prophet") - und
nach vorne zu Meditationsbildern, in denen sich das menschliche Antlitz in
Farbmuster auflöst.
Bilder von vielen Leihgebern hat der Kurator Tayfun
Belgin zusammengeholt - darunter eines aus einer Rockefeller-Kollektioin,
16 aus Pasadena, zwei aus der Österreichischen Galerie und dreißig aus dem
Museum am Ostwall in Dortmund, wo der promovierte Kunsthistoriker noch als
Ausstellungsleiter tätig ist. Er sitzt im Expertenteam, das die Echtheit
von Jawlensky-Bildern kontrolliert. Im kommenden Herbst übernimmt er die
Kunsthalle Krems als Direktor, weil nun Carl Aigner, der sie zum Erfolg
geführt hat, zur Gänze vom neuen NÖ Landesmuseum in St. Pölten
okkupiert ist. Belgin (als Kind aus der Türkei nach Deutschland gekommen)
hat für Krems bereits 2001 Klassische Moderne ("Von Macke bis Picasso")
und 2002 ein Russen-Potpourri rund um Meister Ilja Repin zusammengestellt.
Für 2004 bereitet er mit Leihgaben aus dem Russischen Museum
St. Petersburg eine Schau mit dem Titel "Liebe, Tod, Leidenschaft"
vor.
Bis 21. September, täglich 10 bis 18 Uhr, der
Katalog kostet 23 Euro.
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