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Schönheit im Einfachen |
In letzter Zeit ist es um die einst international umschwärmte finnische Architektur wieder stiller geworden. Der Grund scheint in ihrer extrem pragmatischen Grundhaltung zu liegen. |
Bitterarm war Finnland in der frühen
Nachkriegszeit, denn erst 1952 endeten die Reparationslieferungen an die
Siegermacht Sowjetunion, deren Umfang im Wert von rund 600 Millionen
Dollar für das kleine und mit Flüchtlingen überfüllte Land eine riesige
Belastung bedeutet hatte. Architektur-Mekka 1952 war zugleich das Jahr, in dem Finnland den Grundstein zu seinem
Wiederaufstieg als eine der führenden Architekturnationen legte - damals
begann die Planung von Tapiola, der "Stadt im Wald" westlich von Helsinki.
Bereits nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts bewunderte man in
ganz Europa die neuen finnischen Leistungen im Wohnbau, jene modernen, zum
Teil vorgefertigten Häuser, die mit sparsamen Mitteln errichtet waren und
dennoch eine außerordentliche Wohnqualität besaßen. Zusätzlich angeregt
durch Alvar Aaltos Nachkriegswerk, durch seine Bauten der "roten Periode"
wie etwa das Rathaus von Säynätsalo, wurde Finnland zu einem Wallfahrtsort
für Architekten. Pragmatische Grundhaltung Schon bei Aalto, der international verehrten Leitfigur der finnischen
Architekturmoderne, vermisste man die Bereitschaft, sein Werk theoretisch
zu begründen. Die Scheu vor großen Worten, vor programmatischen
Erklärungen ihrer Arbeit, lässt sich bis heute bei finnischen Architekten
feststellen, selbst bei der jüngeren Generation. Vielmehr betonen sie fast
ausnahmslos den "praktischen Zugang" zu einer Aufgabe. Schwere Nationalromantik Bei jeder Betrachtung der finnischen Architektur sollte man sich
vergegenwärtigen, dass sie insgesamt sehr jung ist: Gebäude aus dem 18.
Jahrhundert sind schon sehr selten, über neunzig Prozent der Substanz
wurden nach 1920 errichtet. Der Ursprung der authentischen finnischen
Baukultur liegt jedoch in den Jahren um 1900. Damals begann das kulturelle Aufbegehren der Finnen gegen die Russen,
die das Land am Beginn des 19. Jahrhunderts den Schweden entrissen hatten
und nun russifizieren wollten. In der Architektur kam dieser Widerstand
als häufig monumental gesteigerte Nationalromantik zum Ausdruck. Erste Wende Doch unter dem Einfluss der kontinentaleuropäischen "Art Nouveau"
entwickelte sich die Nationalromantik schon bald zum spezifischen
Helsinki-Jugendstil. Es ist eine sympathisch schlichte, nur dezent
dekorierte Architektur, deren Spannung aus dem Kontrast von Granitsockel
und großflächigen Putzfassaden besteht. Mit diesen Gebäuden wurde die
Leitmelodie der modernen finnischen Architektur angeschlagen, die sich -
im Ganzen gesehen - als "Schönheit im Einfachen" charakterisieren
lässt. Nachdem Finnland im Dezember 1917 die Unabhängigkeit erreicht hatte,
setzte sich zunächst der nordische Neoklassizismus durch, dem auch der
junge Alvar Aalto verpflichtet war. Ein großartiges Beispiel für diese
Richtung ist in Helsinki das Zentrum des bürgerlichen Stadtteils Töölö,
das durch seine urbane Großzügigkeit und bauliche Geschlossenheit
besticht. Weiße Moderne Zur entscheidenden Zäsur kam es am Ende der zwanziger Jahre: Aalto, der
zur funktionalen Architektur übergegangen war, schuf mit dem Verlagshaus
in Turku den ersten wirklich modernen Bau in ganz Skandinavien, und im
folgenden Jahrzehnt wurde die "weiße Moderne" zu einem Symbol des jungen
finnischen Staates, für den das neue Bauen - neben Industrie,
Wissenschaft, Volksbildung und Sport - ein wichtiger Träger des nationalen
Aufbaus war. Aus dieser Zeit rührt die bis heute weltweite Geltung der
finnischen Architektur. Schattenseite der Prosperität Finnland ist heute ein reiches Land, besonders die Region Helsinki, die
im Wohlstandsindex der Europäischen Union zusammen mit London, Paris,
Mailand und Süddeutschland einen Spitzenplatz einnimmt. Doch zu den
Schattenseiten der finnischen Prosperität gehört, dass zuviel zu schnell
gebaut wird. Öffentliche Planer und private Bauherren sollten deshalb den
Satz ernst nehmen, den der australische Architekt Glenn Murcott auf dem
Aalto-Symposium 2000 geäußert hat: "More time is better architecture." Und man sollte noch häufiger jene Architekten beauftragen, die selbst
unter kommerziellen Zwängen und politischen Auflagen beeindruckende
Leistungen zuwege bringen. In Finnland gibt es keine eigentliche
"Neomoderne", weil die Tradition von Funktionalität, Dauerhaftigkeit und
menschlichem Maßstab alle baukulturellen Krisen überstanden hat. Diese
architektonische Haltung zu verteidigen, sollte man sich auch im Wohlstand
leisten können. Nachlese Im Rahmen der Länderschauen im Wiener Ringturm präsentierte die Wiener
Städtische Anfang vergangenen Jahres Architektur
aus Finnland. Den Originalbeitrag dieses Essays von Wolfgang Jean Stock finden Sie in der jüngsten Ausgabe von architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift. | ||
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