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Doku-Zentrum: Schiele schmachtet nach Mädchen

25.04.2011 | 18:06 | BARBARA PETSCH (Die Presse)

Im Leopold-Museum können sich Forscher und Fans seit Anfang April in das kurze und bewegte Leben des Malers Egon Schiele persönlich und auch online vertiefen: teils erhellend, teils berührend, teils skurril.

Dies Fräulein ist von blondem Haar/Es hat ein braunes Augenpaar/Doch längst vergessen ist die Zeit/Mit vielem Neid und Streitigkeit...“ Der 16-jährige Egon Schiele versucht seine neue Flamme Margarete Partonek von der Unwichtigkeit früherer Verhältnisse zu überzeugen. Er erklärt sich dabei weit weniger sophisticated als Schnitzler, dürfte aber eine ähnliche Mentalität wie dieser gehabt haben: Hübsche Frauen säumten seinen Weg, nicht nur in der Kunst.

 

Experimentelle Poetik

Schieles Naturmystik wiederum scheint von der Romantik gleichermaßen inspiriert wie von der Moderne: Er lauscht „den klagenden Mücken/den groben Bauernschritten/den fern hallenden Glocken/den Regattenbäumen“ und schlingt für seine Zeit kühn Worte ineinander: „Der orangegraugrüne Grasacker deckt den rollrundschwarzglänzenden Atlasglotz mit dem karminbraunen dicken Kopf...“ (1910). Hier erkennt man schon die oft bizarren Farbkompositionen des Künstlers. Auch wie er seine Porträts entwickelt hat, ist nachzulesen: „Das Mädchen kam, ich fand ihr Gesicht, ihr Unbewusstes, ihre Arbeiterhände, alles liebte ich an ihr... jetzt ist sie fort, jetzt begegne ich ihrem Körper“, schreibt er, ebenfalls 1910.

Seit Anfang April gibt es im Leopold-Museum ein Dokumentationszentrum, das sowohl online (Zugang gratis) als auch persönlich (jeden Donnerstag 13–18 Uhr) sowie auf Anfrage zu besichtigen ist. Sandra Tretter, Kunsthistorikerin und Datenbankexpertin hat bisher 2450 Datensätze erfasst. Als Nächstes kommen die rund 60 bekannten Schiele-Fotos und 350 Gemälde – nur ein Drittel befindet sich in öffentlich zugänglichen Museen und Sammlungen – dran.

Das Dokumentationszentrum ist mit anderen Museen und Einrichtungen vernetzt, die sich mit Schiele beschäftigen, von der Albertina über das Ferdinandeum in Innsbruck bis zur Neuen Galerie in New York. Auch die Provenienzforschung ist im neuen Dokumentationszentrum untergebracht. Der Freunde-Verein des Leopold-Museums schreibt heuer im Herbst erstmals ein Schiele-Stipendium aus, das im ersten Jahr mit 15.000Euro dotiert sein soll. Eine Jury wählt aus eingereichten Projekten, die maximale Förderung pro Einreichung beträgt 7500Euro.

Briefe und Gedichte Schieles von 1910 bis 1912 sind in einem vom Museum und dem Prestel-Verlag gemeinsam herausgegebenen Buch nachzulesen. Ein Wermutstropfen: Schiele schrieb in Blockbuchstaben, auf der Schreibmaschine, aber meistens in Kurrentschrift. Von einigen Dokumenten gibt es Transkriptionen. Besonders lebhaft und freundschaftlich sind seine Korrespondenzen mit einem seiner frühen Sammler: Carl Reininghaus (1857–1929) war Großindustrieller, Mitinhaber der gleichnamigen Brauerei, er sammelte auch Klimt und andere österreichische Moderne.

Seinen Onkel Leopold Czihaczek, der Einfachheit halber O. C. genannt, bombardierte der junge Künstler mit aus heutiger Sicht prophetischem, damals wohl eher großmäulig wirkendem Selbstlob: „Ich werde so weit kommen, dass man erschrecken wird, vor der Größe eines jeden meiner ,lebendigen‘ Werke“ oder: „Meine Bilder müssen in tempelartige Gebäude gestellt werden.“ Czihaczek hatte die Vormundschaft übernommen, nachdem Schieles Vater an Syphilis bzw. fortgeschrittener Paralyse gestorben war, eine schreckliche Erfahrung für den 15-Jährigen.

Schieles Ausgangsbasis, so berühmt zu werden, wie er wurde, war keineswegs günstig. Eine mit prägenden Bildern und Dokumenten gezeichnete Biografie an der Wand des Doku-Zentrums zeichnet sein kurzes, bewegtes Leben (1890–1918). Vom Gymnasium in Klosterneuburg ging er vorzeitig ab und wurde mit 16 Jahren an der Wiener Akademie der bildenden Künste aufgenommen.

 

Sehnsucht nach Ferne und Meer

Sein dortiger Lehrer Christian Griepenkerl (1839–1912) hatte eine völlig andere Kunstauffassung als Schiele, der bald seine eigene „Neue-Kunst-Gruppe“ gründete. Griepenkerl gab seinem Schüler kräftige Worte zum Abschied mit: „Der Teufel hat in meine Klasse gekackt. Sagen Sie niemandem, dass Sie bei mir waren.“

Trost bringt die Begegnung mit Klimt: „Ich bin durch Klimt gegangen, heute glaube ich, ich bin der ganz andere“, notiert Schiele. Er träumte von Reisen: nach Paris, Berlin, San Francisco. Er kam bloß bis Neulengbach und Krumau. Die Bürger der Habsburgermonarchie konnten schwer reisen, die Moderne fristete in Wien ein Schattendasein. Nach dem I. Weltkrieg wollte sich Schiele wenigstens in Ragusa (Dubrovnik) niederlassen.

Am 31. Oktober 1918 starb er an der Spanischen Grippe, wenige Tage nach seiner Frau. Warum wurde er nicht wie viele andere vergessen? Weil es Gedenkausstellungen gab (1928, 1948), Publikationen, begeisterte Sammler. Auch der Entwicklung von Schieles Nachruhm kann man im Leopold-Museum folgen.


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