Let’s swing im Sexkulturraum
Secession und Aufregung. Der Schweizer Künstler Christoph Büchel lud recht zielführend einen Swingerclub in die Secession. Pfui gack!
ERNST P. STROBL Wien (SN). Ein paar Japaner staunen, dass sie erst durch schwülrote dunkle Räume gehen müssen, bis sie im Saal mit Klimts berühmtem Beethovenfries landen, einer Fixstation auf der kulturellen Ameisenstraße für Wien-Besucher. Draußen unter dem „Goldhappel“ der Secession hat der Schweizer Künstler Christoph Büchel unmerklich den Schriftzug verändert, „Der Kunst ihre Kunst. Der Freiheit ihre Zeit“ steht jetzt da. Drinnen – erreichbar durch einen „diskreten“ Souterrain-Nebeneingang – hat sich der „Verein der kontaktfreudigen Nachtschwärmer“ eingerichtet für erotische Nahkämpfe jeder gegen jeden oder so.
Scheinheilig behauptet Büchel, dass der „Raum für Sexkultur“ als Anspielung auf den einstigen Aufruhr und die Aufregung um Klimts „pornografischen“ Beethovenzyklus gedacht sei. „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit“ stand damals unter der Kuppel. Was immer nächtens im Swingerclub passiert – dem Vernehmen nach bleiben jetzt die „Stammgäste“ des umgesiedelten privaten Vergnügungscenters eher aus, bei Schaulustigen macht sich Enttäuschung breit –, es könnte ja die Kunst unserer Zeit sein. Weil: Das kann auch nicht jeder, ganz wie bei der Kunst.
Eigentlich ist es bei der vor allem von Gratisblättern und FPÖ-Politikern schreiend angeheizten „Skandal“-Diskussion schade, dass Inhaltliches kaum mehr eine Rolle spielt. Was ist also derzeit in der Secession zu sehen? Nicht viel, denn im Hauptraum haben Nicole Six und Paul Petritsch mit „Atlas“ und der Minimalausstattung von zwei Objekten den Raum zur Skulptur umgedeutet. Eine hintersinnige Installation mit einem Betonguss nach einem Körperabdruck der Künstlerin und einem Posterstapel, der eine spezielle, erklärungsbedürftige Vermessung der Welt spiegelt. Da heißt es nachdenken, im Gegensatz zum „verruchten“ Untergeschoß der Secession. Oder?
Christoph Büchel hat es sich vergleichsweise leicht gemacht bei seinem Ansinnen, eine soziale Situation in einem Kunstraum zu implantieren, die „öffentliche Erregung“ war ohnehin absehbar. Aber so ist er halt, der Christoph Büchel, der „Provokateur“. Es herrscht tagsüber, wenn sich Touristen und andere Besucher durch die Räume mit ihren Skulpturen, Sitzgarnituren, Pornovideo-Ecke oder „strengen Kammer“ zum Beethovenfries vorarbeiten, eine miefige, wenig einladende Atmosphäre. Zahlreiche, markig mit „Krutisch“ signierte Bilder menschlicher Körper hätten wohl sonst nicht den Weg in eine Secessions-Ausstellung gefunden. Eine Sauna ist auch da, aber von einem Secessions-Gebäudemodell besetzt und nicht in Betrieb.
„Betrieb“ soll erst am späten Abend aufkommen, denn der einschlägige Club für einschlägige Körperertüchtigung wurde von Büchel eingeladen, auch im Raum für Sexkunst das zu tun, was man im eigentlichen Quartier in der Kaiserstraße (so, jetzt wissen wir das auch) tut. Es gibt auch eine Konzession dafür, und für Anfänger einen Beipacktext von „Element6“, wie sich der Swingerclub nennt. „Wir bieten Raum für (nicht kommerzielle) erotische Kontakte“, steht da und allerhand, was im Angebot ist, wie Striptease, Bondage, SM, Body Painting und sogar DJs. Die Secession wiederum legt in einer „Richtigstellung“ Wert auf die Tatsache, dass das Projekt als „wirtschaftlich autonome Veranstaltung vom Künstler konzipiert und nicht durch öffentliche Gelder unterstützt“ wird. Die Sponsoren sind honorig und reichen von der (mittlerweile aufgehetzten, aber standhaften) Schweizer Stiftung Prohelvetia bis zur Trumer Privatbrauerei. Die (interaktive?) Ausstellung ist übrigens bis 18. April geöffnet. www.secession.at