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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Kunstpreise 
23. Juni 2006
22:06 MESZ
Adele, Äpfel und Birnen
Ein "teuerstes Kunstwerk" gibt es nicht

Superlative sind herrlich, und der Kunstmarkt kann seinen Hang dazu nicht verhehlen. Im bisweilen eintönigen Auktionatorenalltag sind Weltrekorde eine willkommene Abwechslung. Und wer möchte für sein Erfolgsportfolio nicht an jenem Deal beteiligt sein, der das teuerste Kunstwerk aller Zeiten auf den Weg gebracht hat? Veröffentlichte Rekordpreise locken die Einbringer von Kunstwerken, also weitere Anwärter auf den Thron der Superlative.

Auktionshäuser sind - und das ist angesichts der Punzierung "teuerstes Kunstwerk" von Relevanz - die einzigen Teilnehmer des weltweiten Kunstmarktes, die ihre Zahlen kontinuierlich auch veröffentlichen. Insofern sind die aktuell aufgrund des 135 Millionen Dollar "Adele"-Deals angestellten Kalkulationen reine Äpfel-mit-Birnen-Vergleiche.

Transparenz

Eine achtbare Liste der teuersten Kunstwerke gibt es nicht, dazu fehlt dem Kunstmarkt die notwendige Transparenz, müssten sämtliche Museen ihre Archive öffnen und sich für ihre Verschwiegenheit berühmte Kunsthändler in die Karten schauen lassen. Zur Vergleichbarkeit sollte der Vatikan die Sixtinische Kapelle samt Michelangelo Buonarrotis Altargemälden auf den Markt schmeißen, und der Louvre dann noch Leonardos Mona Lisa - dem von E. Randol Schoenberg lancierten Vergleichswerk - versteigern lassen.

Aber selbst dann blieben die öffentlich erzielten Beträge nur Momentaufnahmen. Wer weiß schon, ob für Van Goghs Portrait du Docteur Gachet heute noch 82,5 Millionen Dollar (1990 Christie's) bezahlt würden? Ob ein Gegenspieler Ronald Lauders nicht das Doppelte gezückt hätte? Wieder zur Freude Schoenbergs, des Vertreters der Erbengemeinschaft, dem 40 Prozent des Klimt'schen Restitutionspostens zustehen sollen.

Gemeinsamkeit des freien Marktes

Um ehrlich zu sein, hat uns der Kunstmarkt ein spektakuläres Ereignis vorenthalten. Denn das wirklich Außergewöhnliche an solchen Preisen ist ihr Zustandekommen - in vollbesetzten Auktionssälen mit zahlreichen Telefonbietern oder auch nur zwei besonders hartnäckigen Interessenten. Wie etwa am Abend des 5. Mai 2004 in New York, als bei Sotheby's Pablo Picassos Garcon à la pipe zum Aufruf gelangte. Das 1905 und damit in der legendären rosa Periode entstandene Werk stammte aus der Sammlung John Hay Whitneys, der das Gemälde 1950 beim Züricher Händler Walter Feilchenfeldt für "nur" 30.000 Dollar erworben hatte.

Den für das Werk angesetzten Schätzwert hatten die Experten bei rund 70 Millionen beziffert und damit schon mit einem Rekord geliebäugelt. Davor lag die Höchstmarke für eine Arbeit Picassos bei etwas mehr als 42 Millionen Dollar (Les noces de Pierrette, Binoche et Godeau, Paris). Erst bei 104 Millionen Dollar bzw. umgerechnet 85 Millionen Euro erteilte Auktionator Tobias Meyr den Zuschlag. Klimts Adele kann Picassos Jungen gar nicht den Rang abgelaufen haben, weil ihnen die Gemeinsamkeit des freien Marktes fehlt.

Der nun in anonymem Besitz befindliche Junge hat sich den Titel erarbeitet. Für die Industriellenfrau erfolgte die Preisfindung am Verhandlungstisch abseits der Öffentlichkeit. Die Ikone der österreichischen Moderne fiel einem flotten Prestigekauf zum Opfer. Angesichts des Betrages für Ronald S. Lauders "Neue Galerie" aber nicht weniger medien- und werbewirksam. (Olga Kronsteiner/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.6.2006)


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