Salzburger Nachrichten am 11. August 2005 - Bereich: kultur
Europas grenzenlose Seele Seit die EU nach dem
Platzen der Verfassung in der Krise ist, hat die Suche nach der "Seele
Europas" eingesetzt. Doch die ist so schwer zu finden wie eine
Außengrenze.
Hedwig KainbergerSalzburg (SN). "Das Problem Europas ist, dass es sich
immer über seine Grenzen definiert." Denn Grenzen würden immer von den
Großen gemacht. Dieses Zitat Milan Kunderas brachte Emil Brix, Leiter der
kulturpolitischen Sektion im Außenministerium, in der Diskussion über
"Europa im Spiegel von Kunst und Politik" im "Festspiel-Dialog" am
Mittwoch in Salzburg. Allerdings stellt Brix auch fest, dass die Europäische Integration so
lange klaglos funktioniert habe, als die Grenze der EU mit dem Eisernen
Vorhang fix gewesen sei. Seit der Wende in Osteuropa und seit der jüngsten
Erweiterung sei eine deutliche Begrenzung der Union nicht mehr möglich.
"Die Suche nach Außengrenzen bestimmt unsere Unsicherheit", sagte Brix.
Vor allem seit die Abstimmungen über eine EU-Verfassung gescheitert sind,
ist eine Renationalisierung - sich Eingrenzen innerhalb der
Mitgliedsstaaten - zu beobachten. Mit der Suche nach Grenzen kommt der Wunsch, so eine kulturelle
Identität Europas zu definieren oder - in Anlehnung an ein Wort Jacques
Delors' - so etwas wie eine "europäische Seele" zu finden. Allerdings:
Eine solche Seele könne man nicht konstruieren, warnte Thomas Wördehoff,
Chefdramaturg der Ruhrtriennale. Auf der Suche nach einer solchen Seele
müsse man Europas Vielfalt betonen, "die wir nicht harmonisieren möchten",
sagte Hannes Swoboda, seit neun Jahren SP-Abgeordneter im Europäischen
Parlament. Damit ergibt sich eine Parallele: So wie in der Geografie keine Grenzen
Europas zu ziehen sind, so wird für die "europäische Seele" keine
Definition möglich sein. Was können Kunst und Kultur zur Linderung der europäischen Krise
beitragen? Brix sprach von einer "Synchronisation von Emotionen", die
nötig sei, um die politische und wirtschaftliche Integration Europas zu
begleiten. "Je mehr Integration wir machen, desto mehr Emotion brauchen
wir." Kunst und Kultur könnten die Bereitschaft unterstützen, Neues und
Anderes zu akzeptieren. Als Beispiel nannte er die Inszenierung von
"Phaidra" des ungarischen Regisseurs Arpád Schilling, die derzeit bei den
Salzburger Festspielen gezeigt wird (siehe Seite 9). Swoboda erinnerte daran, dass die europäische Integration vor allem ein
politisches Projekt sei, als Überwindung des Faschismus, als Verhinderung
von Krieg und Intoleranz. Doch die politische Dimension sei von
wirtschaftlichen Themen in den Hintergrund gedrängt worden. Wo allerdings
sind in dieser europäischen Einigung Kunst und Kultur? Bei Gründung der EU
nach dem Zweiten Weltkrieg sei Kultur absichtlich ausgeklammert worden,
denn - anders als für Kohle und Stahl - sei darüber keine Einigkeit zu
erzielen gewesen, erläuterte Blix. Auch jetzt sei Kulturpolitik ein
nationales Refugium, auf das kein Kulturminister verzichte. "Kultur wird
als Legitimierung im politischen Machtverhältnis offenbar als wichtig
angesehen." Dass Kultur ein "Restbestand nationaler Macht" sei, "ist ein
Übel", sagte Brix. Swoboda bestätigte, dass Kulturpolitik auf EU-Ebene zu geringe
Bedeutung habe. Bisherige Kulturkommissare hätten "bürokratische
Allgemeinplätze" kaum verlassen. Bisher habe es noch keinen
Kulturkommissar gegeben, der eine "kontroversielle, umstrittene
Persönlichkeit, jemand mit "Leuchtturmfunktion" gewesen sei. Er schätze
die Bemühungen des derzeitigen Kommissars, Ján Figel, doch dessen
Aktionsraum sei begrenzt. Ob die Zusage von Kommissionspräsident Manuel
Barroso, die EU-Kulturförderungen ab 2007 aufzustocken, zu realisieren
sein werde, sei ungewiss, sagte Swoboda.Nächste "Festspiel-Dialoge" sind
am 17. und am 24. August um 11.30 Uhr im Schüttkasten. Info:
www.festspielfreunde.at |