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26.03.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung: Gesichtsbad mit Stars und Nobodys
Das Wiener Museum moderner Kunst kramte aus seiner Sammlung eine enzyklopädisch-verspielte Porträt-Ausstellung zusammen.

Shocking! Als Womanizer Heinrich VIII. von England seiner neuen Braut Anna von Kleve gegenüberstand, war er entsetzt. So gar nicht wollte die Angetraute dem Bildnis gleichen, mit dem sein Hofmaler Hans Holbein d. J. ihm die Unglückliche schmackhaft gemacht hatte. Der König ließ die Ehe annullieren, der große Renaissance-Porträtist starb 1543 verarmt in London. Die Diskrepanz zwischen Abbild und Original hätte 300 Jahre später nicht einmal mehr als fürstlicher Scheidungsgrund herhalten können. Am 19. August 1839 gab die Akademie der Wissenschaften in Paris bekannt, dass Daguerre die Bilder der Camera obscura fixieren konnte: Die Fotografie war erfunden. Und die Malerei um ihre dokumentarische Funktion erleichtert. Weg frei also für die Moderne.

An diesem markanten Punkt setzt das Museum moderner Kunst mit "Porträts" ein. Fast 200 Gemälde, Fotos, Objekte, Installationen führen auf drei Geschoßen durch die Entwicklung des Menschen-Abbilds, beginnend mit einem noch relativ traditionellen Fräulein von Ferdinand Hodler, um 1890, zeitlich schließend 1998 mit der Selbstbespiegelung eines eindeutig freizügigeren Fräuleins, Elke Krystufek. Doch nicht chronologisch führt Kurator Wolfgang Drechsler durch die jüngere Kunstgeschichte, sondern er reiht thematisch 13 Kapitel aneinander. Unter "Idole" etwa lässt Warhol Mick Jaggers Unterlippe zur Ikone schwellen, nebenan verpackt Nam June Paik Marilyns Nachrufe als Dia-Schau zum Welterinnerungserbe. Nur Liz Taylor lässt das kalt, sie darf als Glamour-Püppchen von Saskia de Boer ihre Künstlichkeit in einer künstlichen Welt verdoppeln.

Vieles wie Immendorffs Seitenblicke-Auflauf im neun Meter langen "Musée d'Art Moderne" kennt man, vieles hat man vergessen - und einiges wie Edward Larsons George-Washington-Quilt und Edward Steichens Fotogravuren von Richard Strauss, Brancusi, Isadora Duncan hat man noch nie gesehen. Aber auch dem "Mann der Straße" wurden seine 15 Minuten Ruhm eingeräumt: Braco Dimitrijevic plakatierte Bürger von Sarajevo staatstragend an Fassaden. Erwin Wurm gab 1000 Personen nur je fünf Sekunden Video-Präsenz. Eine eigene Koje wurde der Grande Dame der Befindlichkeitsmalerei, Maria Lassnig, gewidmet - fast eine Mini-Retrospektive von ihren informellen Anfängen 1951 bis zum Selbstporträt 1982. Übrigens das jüngste Lassnig-Werk des Mumok: Die Lücke zur Gegenwart klafft auch bei renommierter heimischer Kunst.

Das Museum laboriert an seinen zusammengestoppelten Beständen. Drechsler, Leiter der Sammlung, kennt ihre Verzweigungen, Sackgassen, Winkeln seit Jahrzehnten. Ihm machte die Arbeit an dieser aus dem hauseigenen Fundus schöpfenden Spar-Ausstellung enormen Spaß - und das merkt man auch, genau wie den didaktischen Anspruch: Da führen etwa fünf Bronzen lehrmeisterhaft vom lieblichen Kindskopf Medardo Rossos hin zur Auflösung der Form bei Duchamp-Villon, Beaudin. Alles in Beipackzetteln ausführlichst beschrieben und im Katalog ein weiteres Mal serviert, ist diese Schau Traum jedes Kunstgeschichte-Studenten im ersten Abschnitt. Und mit Namen wie Bacon, Warhol, Picasso auch Quoten-Traum für die Besucherstatistik. Inmitten des schillernden Bildersturms erinnert man sich da höchstens mit (Nacken-)
Schmerzen noch an die im Mumok sonst so gern angestrengten Vitrinen-Ausstellungen.

Bis 27. Juni. Di.-So. 10-18h. Do. 10-21h.

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