Spätestens seit es auch in Mitteleuropa
Nachfrage nach indischen Computerexperten gibt, muss nun auch im
deutschsprachigen Raum das Bild vom unterprivilegierten Subkontinent
revidiert werden. Denn Indiens Metropolen wurden von einem vehementen
Globalisierungsschub erfasst. Parallel zu den alten lokalen Strukturen ist
ein postmodernes, globalisiertes und urbanes Indien entstanden.
Die Entwicklungen der letzten Dekade haben die indische Gesellschaft
tiefgreifend verändert. Und die neuen Ströme des Kapitals und seiner
kulturellen Apparate werden von den indischen Künstlerinnen und Künstlern
widersprüchlich verarbeitet.
Die Ausstellung "Kapital & Karma - Zeitgenössische Kunst aus
Indien" in der Kunsthalle Wien ist die bisher größte derartige
Präsentation im deutschsprachigen Raum. Anlässlich der Eröffnung der Schau
sprach Gernot Zimmermann für kultur.ORF.at mit den Gastkuratoren Angelika
Fitz und Michael Wörgötter.
kultur.ORF.at: Sie haben beide die Ausstellung über neue
zeitgenössische Kunst aus Indien in der Wiener Kunsthalle kuratiert. Das
ist doch eine gewisse Sisyphos-Arbeit, weil wir sehr wenig darüber wissen.
Wie man in der Ausstellung sieht, ist die Tradition nach wie vor ein
wichtiger Aspekt. Ist das Spannende an der indischen Gegenwarts-Kunst die
Reibung?
Angelika Fitz: Das Spannende ist die Reibung zwischen lokalen
und globalisierten Kontexten. Wobei die globalisierten Kontexte in Indien
noch sehr neu sind. Seit zehn Jahren, oder eigentlich massiv erst seit
fünf Jahren hat die Globalisierung in Indien - sehr konzentriert auf den
urbanen Raum - stattgefunden. Das ist so, seit es in Indien
wirtschaftliche Liberalisierung, internationale Fernsehsender, Internet
und Print-Medien gibt, die sich von den Formaten her internationalisiert
haben.
kultur.ORF.at: Wie ist das Verhältnis der indischen Künstler zum
Weltmarkt?
Michael Wörgötter: Auffallend ist, dass die indischen Künstler
extrem informiert sind. Sie wissen genau Bescheid über einzelne deutsche
Maler, die nicht einmal mir bekannt sind. Natürlich haben sie das Problem,
sich dazwischen zu orten, damit sie nicht als folkloristisch-exotisiert
vermarktet werden. Zugleich wollen sie aber auch ihren eigenen Hintergrund
nicht verleugnen. Für mich ist das Bestechende dieses Doppelwissen, das in
diesen Arbeiten mitunter auftaucht. Und das mitunter zu sehr ironischen
Resultaten führt.
kultur.ORF.at: Wie sieht es mit indischen Künstlerinnen aus?
Gibt es da herausragende Persönlichkeiten?
Michael Wörgötter: Es gibt eine sehr interessante Künstlerin,
die eine Video-Arbeit vorstellt, in der sie sich nackt, dick, also wenn
man will: unansehnlich, darstellt (Anm.: Sonia Khurana). Diese Arbeit ist
- wenn man Indien kennt - für das Land enorm provokativ. Diese Künstlerin
erklärte auch in einem Interview, wie es mit der Kunst von Frauen in
Indien bestellt ist. Und warum sie so stark sind, wenn man z.B. an die
Filme-Macherinnen wie Dita Metha oder Mira Nair denkt. Die sind ja bereits
bis in die USA bekannt. Sie haben einfach viel zu sagen.
Angelika Fitz: Was auch sehr interessant im Zusammenhang mit der
Globalisierung ist, gerade an den Bollywood-Filmen merkt man das sehr
deutlich: Da hat sich das Bild der Frau sehr verändert. Das wird von der
einen Fraktion der Feministinnen sehr stark kritisiert, denn die Frau wird
jetzt zur Konsumentin gemacht, und daher gibt es sehr viel
Product-Placement und Catwalk in diesen Filmen. Andererseits ist genau in
diesen stark erotisch aufgeladenen Szenen die indische Frau jetzt
plötzlich als sexuelles Objekt präsent, und zwar in einem
Massenmedium.
Früher wurde der erotische Part immer von westlichen Schauspielerinnen
dargestellt. Und nun plötzlich im Zuge der Konsumplatzierung dürfen
Inderinnen sexy sein. Es gibt da auch viele Feministinnen in Indien, die
sagen: das ist eigentlich emanzipatorisch, auch wenn es um Konsum geht,
denn es hat eine positive Rückwirkung.
kultur.ORF.at: Sie haben die Bollywood-Filme angesprochen, von
denen wir wenigstens etwas wissen, wie von der neuen indischen Rapmusik.
Aber es gibt ja auch ein interessantes Begleitprogramm zur
Ausstellung.
Michael Wörgötter: Da im deutschsprachigen Raum das Wissen über
Indien relativ gering ist, ist das Symposion eigentlich unumgänglich.
Angelika Fitz: In diesem Symposion geht es ganz stark darum,
dass in den Cultural-Studies in Indien Forschungsergebnisse entstanden
sind, die weit über das Feld dieser Studien hinausgehen, was ihre Relevanz
betrifft. Wir gehen von der Hypothese aus, dass diese Forschungen wirklich
relevant werden, vor allem für ein künftiges erweitertes Europa.
kultur.ORF.at: Wo sind denn die Veränderungen der letzten Jahre
besonders spürbar?
Angelika Fitz: Wer Indien kennt und vielleicht bereits vor zehn
oder 20 Jahren bereist hat, dem ist inzwischen viel entgangen. Denn in den
letzten zehn Jahren spürt man einen enormen Wandel. Es ist die stärkere
Technisierung und das Aufkommen einer neuen Mittelschicht durch die
Computer-Industrie, die es vorher nicht gegeben hat. Da wächst offenbar
eine Schicht heran, die an Kunst interessiert ist und vielleicht auch
Kunst kauft. Man könnte sagen, auch diese Ausstellung ist ein Spiegel
dieses Wandels. Und das macht sie vielleicht so interessant.
kultur.ORF.at: Wer sich am Subtilsten mit dieser
Geschichtsumschreibung der Hindu-Fundamentalisten befasst, ist Anandajit
Ray, der sehr schöne Radierungen in der Ausstellung präsentiert.
Angelika Fitz: Bei Ray geht es vor allem darum, dass er sich dem
widersetzt, dass die Hindu-Fundamentalisten plötzlich das Wesen der
indischen Nation auf ein rein hinduistisches reduzieren wollen.
Nationalistisch sind fast alle Fraktionen in Indien, das ist ein
postkoloniales Phänomen. Die Frage ist, sind wir pluralistisch,
multi-ethnisch, multi-religiös nationalistisch oder lassen wir das
festschreiben? Ray verwendet in seiner Malerei bewusst immer griechische,
muslimische, hinduistische, persische und jüdische Symbole.
kultur.ORF.at: Es gibt auch ein Video, wo mit der Heiligen Kuh
gearbeitet wird.
Michael Wörgötter: Das Video von Subodh Gupta zeigt einen Mann,
der sich duscht - und zwar über 8 Minuten lang. Nur wird er nicht
sauberer, sondern immer schmutziger und verlässt letztlich, ganz mit
Kuhmist bedeckt, die Dusche. Er geht auf den Gang hinaus und betritt den
Lift. Die Lifttür geht zu und der Loop beginnt von Neuem.
kultur.ORF.at: Es ist eine sehr singuläre Ausstellung. Gibt es
bereits Interesse und Anfragen von andern Häusern?
Angelika Fitz: Das wird hoffentlich noch kommen. Aber auch die
indischen Künstler, die übrigens sehr begeistert sind, sagen, dass es
bisher weder in noch außerhalb Indiens eine derart umfassende
zeitgenössische Schau gegeben hat.