03.09.2001 00:01:00 MEZ
Und ewig basteln die Junggesellen!
Das Setting zwischen Linzer Brucknerhaus, AEC und Offenes Kulturhaus nährt die Hoffnung auf einen "Female Takeover"

Wer die Kunst unserer Zukunft macht und entwickelt, fragt sich die "Ars Electronica". Bevor noch der theoretische Teil begonnen hat, nährt das Setting zwischen Linzer Brucknerhaus, AEC und Offenes Kulturhaus schon jetzt die Hoffnung auf einen "Female Takeover".

von Markus Mittringer


Linz - Das Internet ist - die Bereitschaft, das uneingeschränkt anzuerkennen, wird vorausgesetzt - keine bloße technische Hilfestellung zu kommunikativen Maßnahmen, sondern ein sozialer und damit kultureller Raum. Dessen unendliche Weite hebt endlich den Horizont der Wahrnehmung als Grenze auf, weil der Standort erstens beliebig und zweitens ohne Zeitverlust wählbar ist.

Nachteil: Die Begreifbarkeit des Seienden ist im neuen Kulturkreis nicht länger gegeben. Das tut der Beherrschbarkeit dieser Welt zwar keinen Abbruch, hinterlässt aber Defizite. Solange die Natur des Ingenieurs sich noch vehement ihrer Digitalisierbarkeit widersetzt (auch wenn seine Dechiffrierung voranschreitet), bedarf es wohl stimulierender Apparaturen.

Das Leben mit dem cyberspace schreit nach "Gummiwaren"

Das Leben zwischen den althergebrachten, begrenzten und den neuen, horizontlosen Räumen scheint, analog zum Eheleben, nach einiger Zeit an Reiz zu verlieren. Es schreit nach Hilfsmitteln. Die avancierten "Gummiwaren" gewährleisten dann, dass zwei oder mehrere Navigatoren von beliebigen Standpunkten in der unendlichen Weite aus sich wechselseitig zu letztlich wieder konventionellen Vibrationen verhelfen können. Oder, zweite Variante, der Kick besteht darin, mit einem Etwas zu "kommunizieren", dem man, verliebt in die Komplexität seiner Konstruktion, humane Regungen andichtet.

Dem frönen die meisten der diesjährigen Nominees und würdigenden Anerkennungen zum Prix Ars Electronica. Kenneth Rinaldo fertigt solche Spielautomaten. Seine Roboter sollen der "Autopoiesis", der Selbstschöpfung, fähig sein. Zudem sind sie angeblich musikalisch. Und das geht so: Eine ganze Gruppe mehrgelenkiger Arme hängt so lange ganz ungerührt von der Decke, bis eben ein Mensch den Raum betritt.

Hübsch anzusehen

Dann aber geraten sie in Aufruhr, nähern sich, tun so, als würden sie einen von Kopf bis Fuß anschauen, halten inne, wenden sich wieder ab und in Untergruppen einander zu. Das ist hübsch anzusehen, die "Augen"-Sensoren blinken blau, und in der beschränkten Tonleiter eines Telefons, palavern sie auch vor sich hin. Schöpfer Rinaldo sieht das so: "Sie haben ein eigenes Gruppenbewusstsein, und sie ruhen sich aus, wenn keine Besucher da sind."

Und zeigt uns damit, wieder einmal: "Je menschenähnlicher das Verhalten der Roboter, desto mehr werden die Mitspieler in deren Bann gezogen!" Erkenntnis: Stimmt. Zweite Erkenntnis: Damit der Effekt auch wirklich berührend rüberkommt, greift der Ohio-State-University-Professor zu Mitteln aus dem Haus-und Kunstgebrauch.

So als würde Calder nochmals ein Mobile bauen

Die Ellen und Speichen der Ärmchen bastelt er aus Weinreben und verspannt die mit Blumendraht ganz so, als würde Alexander Calder einmal noch ein Mobile bauen. Beispiel zwei: "Spatial Sounds", Niederlande. Die Versuchsanordnung erinnert an die Zentrifugen Amerikas und der Sowjetunion, die Astro- und Kosmonauten weltraumtauglich schleudern.

Nur dass auf den rotierenden Ausleger kein Proband, sondern ein Lautsprecher geschnallt ist. Und der erkennt dann selbsttätig (vermittels Ultraschallentfernungsmesser), ob ihm wer oder gar mehrere nahe kommen. Dann beginnt er bis zu 100 dB laut zu brummen und mit bis zu 100 km/h zu rotieren. Den erwünschten Besucherwahn, "verfolgt zu werden", hilft ein Stroboscop zu steigern. Erkenntnis: auch sehr lustig. Erkenntnis zwei: Bewegte Massen flößen Respekt ein. Zwei letzte Schaustücke: "brainball" und "brainbar", beide vom Smart Studio aus Schweden. Beide erfordern den Willen der Betrachter/Spieler, die doch recht intime Charakteristik der eigenen Gehirnwellen preiszugeben.

Wer läuft, gewinnt

Flugs ist man also verkabelt, und das Spiel kann beginnen. "Brainball" ist ein Ballspiel. Und weil es etwa bei Fußball so ist, dass eher gewinnt, wer auch läuft, und dabei ein bisschen Adrenalin verschüttet, ist es bei "brainball" zivilisationskritischerweise so, dass gewinnt, wer sich am wenigsten aufregt und drüber hinaus passiv bleibt. Bei der "brainbar" ist es dann so, dass, wer recht erregt ist, Milch serviert bekommt, und nur wessen Gehirnaktivitäten ihn als vertrauenswürdig auszeichnen, etwas Alkoholisches.

Erkenntnis: Das ist genau das, was seit jeher Menschen in die Bars trieb. Nur dass bisher, mit den beschränkten Mitteln des Herz-Ausschüttens, die Barkeeper nie kapiert haben, was man von ihnen will. Erkenntnis zwei: Angst. Hoffnung: Vielleicht hilft der erwartete Female Takeover ja, den Jungs ihre Gesellenstücke auszutreiben, die letztlich ja doch immer nur ihrer Geborgenheit in der Ungestörtheit des Seins als Onan dienen.

Und, Jungs: Bei der Junggesellenmaschine ging es nie um deren tatsächliche Realisierbarkeit. Wenn Ihr so weitermacht, wird weniger der Begriff "Kunst" als der Begriff "Beate Uhse" erweitert!
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9. 2001)


Quelle: © derStandard.at