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Utopia-Projekt III: Über die Heimkehr

16.05.2008 | 18:34 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Für das Essl Museum bat Jumana Manna Palästinenser, den Psalm 126 zu singen.

Vorsichtig stehen sie auf, Ayman, Fadlabi und sein kleiner Sohn, Naim und Rana. Das gläserne Podest unter ihren Füßen ist glatt und ungewohnt, unter ihm liegt ihre Bekannte, die junge palästinensische Künstlerin Jumana Manna, und filmt hinauf zu ihnen. Erst sieht man nur die Fußsohlen der fünf Palästinenser, die wie Manna zurzeit in Oslo leben. Dann die perspektivisch verkürzten Körper, dann den blauen Himmel darüber. Es scheint, als würden sie fliegen. Aber sie stehen und beginnen zu singen, mit durchwegs leisen, brüchigen Stimmen.

Schließlich singen sie nicht irgendwas. Manna hat sie gebeten, die arabische Übersetzung von „Shir Hama'alot“ anzustimmen, nach Psalm 126 ein „Lied der Heimkehr“. Allerdings nicht für die Palästinenser, sondern ursprünglich für das jüdische Volk im babylonischen Exil. Im Christentum wird der Psalm heute in Richtung Weltfrieden gedeutet. In Israel ist es der Text der inoffiziellen Nationalhymne, des zionistischen Lieds schlechthin: „Als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete, da waren wir alle wie Träumende...“

In einem dunklen Raum, ganz hinten in der neuen Sonderschau „overlapping voices“, in der palästinensische und israelische Künstler gemeinsam ausstellen, ist Mannas Videoinstallation „Song of Ascents“ aufgebaut – das dritte der insgesamt vier für die Ausstellung entstandenen „Utopia“-Projekte, die die „Presse“ einzeln vorstellt. Vier Projektionen zeigen die (mit Kind) fünf Freiwilligen, die sich von Manna zu dem Projekt überreden ließen, denn das musste sie tun. Eine fünfte Projektionsfläche zeigt nur den blauen Himmel, menschenleer. Sie steht stellvertretend für zwei zwar ebenfalls gefilmte Personen, die aber in der Ausstellung nicht zu finden sein wollten, die dem palästinensischen Boykott jeglicher kultureller Zusammenarbeit mit Israelis folgen. Demzufolge würde diese Ausstellung den Anschein einer Normalisierung der Situation geben, was „unter allen Umständen zu vermeiden wäre“.


Boykott ist keine Lösung

Eine Haltung, die Manna zwar absolut akzeptiert. Die Weigerung der beiden Palästinenser gibt ihrer Arbeit im Endeffekt sogar weitere Brisanz, soll darin doch die Schwierigkeit der eigenen Positionsfindung, die Ambivalenz von Identitäten zwischen zwei Kulturen gezeigt werden, die auch die Künstlerin selbst prägt. 1987 als Tochter eines Kunsthistorikers in den USA geboren, wuchs sie in Israel auf, hat die Staatsbürgerschaft, fühlt sich aber dennoch als Palästinenserin, erklärt sie. Der Boykott ist für sie aber keine Lösung. „Besser ist es doch, diese Ausstellung als Plattform zu nutzen für unsere Probleme. Sonst hört man gar nichts von ihnen.“

Die fünf Stimmen verstummen. Vorsichtig setzen sich Mannas Freunde wieder auf die Glasplatte. Warten, bis ihr Chor der Zweifelnden wieder beginnen soll. Ihre Blicke treffen dabei die Kamera unter ihnen, nicht unbedingt traurig, nicht unbedingt fröhlich, aber ernst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2008)


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