DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Thomas Bernhards viele Gesichter

02.02.2011 | 18:20 | NORBERT MAYER (Die Presse)

Fotograf Sepp Dreissinger würdigt den Dichter Thomas Bernhard mit der Ausstellung „Thomas Bernhard. Das führt alles zu nix“ in der Galerie Westlicht, mit einem Dokumentarfilm und einem reich bebilderten Buch.

Man kann es Aura nennen: der junge Thomas Bernhard im Anzug mit Krawatte 1963 im Salzburger Café Bazar, vor ihm liegt die Erstausgabe seines ersten Romans „Frost“. Augen, Mund und Kinn spiegeln gleichermaßen Selbstbewusstsein, Stolz, Skepsis. Fein komponiert ist diese Aufnahme von Johann Barth, so wie auch das kokette Bild aus Bernhards Hof in Obernathal; kritisch betrachtet sich Bernhard im Spiegel. Ein Scherz? Eine tiefe Reflexion? Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? In der Wiener Galerie Westlicht sind diese Mikrodramen in einer liebevollen Schau von 4. Februar bis 8. Mai zu sehen, Schwarz-Weiß-Vergrößerungen auf Baryt-Papier, die eine starke Intensität vermitteln.

„Thomas Bernhard. Das führt alles zu nix“ heißt diese von Sepp Dreissinger initiierte Ausstellung. Der Musiker aus Feldkirch (*1946), der sich mit 27 Jahren der Fotografie zuwandte, war sozusagen Bernhards Leibfotograf, seit er ihn in den Siebzigerjahren auf seinem Bauernhof in Obernathal/Ohlsdorf besucht hatte. Es entstand eine respektvolle Beziehung. Bis wenige Monate vor dem Tod des Autors 1989 kam es zu Dutzenden Begegnungen. Bei langen Gesprächen entstandene Fotografien zeichnen ein facettenreiches Bild des großen Übertreibungskünstlers der österreichischen Literatur. Sie sind oft natürlich und voller Intimität.

 

„Was reden die Leute – 58 Begegnungen“

Die Schau wird von Aufnahmen Dreissingers dominiert, er ergänzt sie durch ein Dutzend früherer Fotos von Barth, deren Negative er erworben hat, sowie durch eine Wand mit 40 Theaterbildern diverser Fotografen. Dreissinger macht sich zu Bernhards 80. Geburtstag erneut verdient um ihn. Sein eben erschienenes, opulent bebildertes Buch „Was reden die Leute“ (Verlag Müry Salzmann, Salzburg) bringt 58 Begegnungen verschiedenster Zeitgenossen mit Bernhard, die das Image des Menschenfeindes korrigieren. Er wird auch als charmanter Unterhalter präsentiert. Die über Jahre geführten Gespräche gibt es auch auf Film. Nun ist daraus in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Heike Schäfer ein Dokument von gut drei Stunden Länge im Entstehen. Eine 43-minütige Kurzfassung davon („Und, also, aber: Reden über Thomas Bernhard“) wird auch in der Ausstellung gezeigt.

Diese Schau ist eine interessante Melange aus bereits klassischen Motiven, wie etwa Bernhard in seinem letzten Lebensjahr auf einer Bank am Graben oder in dem von ihm häufig frequentierten Café Bräunerhof in Wien, aber vor allem die Fotos von Barth aus den Sechzigerjahren sind noch nicht so bekannt. Der 2009 verstorbene Fotograf war ein Kollege Bernhards bei den „Salzburger Nachrichten“, wo sie vor allem Filmkritiken schrieben. Später entstanden auch Fotos auf Bernhards Vierkanthof nahe Gmunden – der Schriftsteller in bäuerlicher Architektur.

 

Peymann, Dene, Voss

Auch Dreissinger beginnt seine Fotostrecke mit Aufnahmen von Landschaften und von Bernhards drei Häusern, mit Bildern des zuweilen beinahe lachenden oder zumindest schmunzelnden Dichters. Eine Vitrine zeigt Briefe und persönliche Sachen des Dichters, es folgt das Theater, große Premieren an der Burg; Direktor Claus Peymann, Zunge zeigend, Bernhard in einer Loge, Gert Voss, Kirsten Dene, Marianne Hoppe, Bernhard Minetti in Aktion. Großformatig dokumentieren im Zentrum der Ausstellung die späten Achtzigerjahre den bereits von schwerer Krankheit gezeichneten Dichter in der Wiener Innenstadt. Schließlich findet sich noch ein Foto vom Friedhof in Grinzing, wo er im Grab seines „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek beerdigt wurde.

Ein scheuer Mensch sei er gewesen, ein nobler, sagen viele der Leute, die über Thomas Bernhard reden, ein begnadeter Erzähler und Komödiant. Das kann man auch beim Betrachten dieser Bilder empfinden.


© DiePresse.com