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Ausstellung: Raubkunst, zutiefst persönlich

02.12.2008 | 18:36 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Das MAK führt anhand von Geschichten einzelner restituierter Kunstwerke ins Dickicht des Schicksals.

Wie von Geisterhand betrieben rollt der Wagen durchs nächtliche Wien. Lautlos, vorbei an Niederflurstraßenbahnen und Citylights. Der Oldtimer scheint wie gefangen in einer Zeitschleife, irgendwo zwischen Pompes Funèbres und „Dritter Mann“. 40 Minuten dauert der Film vom Schweizer Künstler Christian Philipp Müller. Er zeigt die späte, einsame Heimfahrt des 1938 von der SA beschlagnahmten Fiat 522C, Baujahr 1932, der Familie Moritz und Rosa Glückselig. Er landete für die letzten Jahrzehnte im Technischen Museum, das den Wagen heuer restituierte – und gleich wieder ankaufte.

Müllers Film ist eine der eindrücklichsten der 14 Arbeiten, die zeitgenössische Künstler für die Ausstellung „Recollecting. Raub und Restitution“ im MAK erdachten. Anhand der Geschichten bereits restituierter Gemälde, Kunstobjekte, Möbel und ganzer Sammlungen wie der Bibliothek Oskar Ladners oder dem Archiv des Technikhistorikers Hugo Theodor Horwitz zeigt Kuratorin Alexandra Reininghaus die Breite dieser Enteignungen, deren Eingriffe ins Alltägliche der Betroffenen heute nur mehr selten bewusst werden – treten sie doch meist hinter skandalisierte, weil mit viel Geld verbundene Schauprozesse zurück. Doch Klimts „Goldene Adele“ war ihren Besitzern wohl nicht mehr oder weniger lieb als Siegfried Fuchs, 1946 in Schanghai verstorben, die Knöpfe seiner Kuriositätensammlung. Als sphärische Projektion lässt Michaela Melián Lichtbilder dieser Knöpfe, die heute im MAK auf rechtmäßige Erben warten, über die Wände streichen.

 

Cranach-Madonna: Verbrannt? Verkauft!

Beginnt man einmal eines der Dutzenden aus kargen Archivkästen zusammengeschraubten Vitrinen-Elemente der Ausstellung zu umkreisen, entdeckt das hier präsentierte Original, liest seine Dokumentation, die Landkarte seiner Reise, das Schicksal seiner Besitzer – man verliert sich. Lucas Cranachs „Madonna mit Kind in einer Landschaft“ etwa – nach mehr als 50 Jahren ist das Gemälde wieder in Wien. 1940 wurde es – wie die ganze Altmeistersammlung der Familie Gomperz – von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Es kam in den Besitz Baldur von Schirachs, nach dem Krieg gab dessen Frau an, es sei verbrannt. Tatsächlich war es in die USA verkauft worden. 2000 wurde es restituiert.

Zermürbende Bürokratie, entindividualisierender Zahlendschungel – neben Carola Dertnig greift auch Arnold Dreyblatt diese Raub und Restitution wie Blei anhaftenden Eigenschaften auf: Er lässt in seiner Projektion die nüchternen Losbeschreibungen des Auktionskatalogs einer enteigneten Villa herunterrattern – fraisefarbene Flanelldecke, japanisches Rollbild, sieben Servietten, Bett im Barockstil. Entsetzlich hart. Langsamkeit ist eine weitere schlechte Eigenschaft des Prozedere: Sie zehrt in Arye Wachsmuths und Restitutionsforscherin Sophie Lillies künstlerischem Beitrag an den Nerven. Neben der Fahrt des Fiat 522C ist es die inhaltlich und ästhetisch stärkste, mit Abstand jedenfalls tragischste zeitgenössische Arbeit.

In Zeitlupe ziehen die Fotos der Rückseiten der Bilder vorbei, die Sophie Lillie am Vorabend der Mauerbach-Auktion im MAK 1996 fotografieren ließ. Aus purer Eingebung heraus. Weil ihr die Stempel und Inventarnummern irgendwie wesentlich erschienen. Dann schritt schon Christie's zur Auktion, um zugunsten eines Entschädigungsfonds das Beste zu erzielen. Mit den verschlüsselten Zeichen der Provenienz, heute wichtige Indizien der Restitutionsforschung, konnte man damals noch nicht umgehen, erzählt Lillie. Diese zeitbedingte Unwissenheit, hier wird sie einem lähmend bewusst gemacht.

Bewusst sollte einem auch sein, dass diese MAK-Ausstellung nicht der Versuch einer historischen Aufarbeitung des Themas ist, wie es im Jüdischen Museum Berlin versucht wurde. In Wien stehen eine persönliche Auswahl der Kuratorin, ein persönlicher Zugang der eingeladenen Künstler und die Erzählung persönlicher Schicksale im Vordergrund. Trotzdem kann die Schau den Geist der Gesamtproblematik vermitteln: Nie glaubt man fertig zu werden mit dem Lesen aller hier angebotenen Texte. Ähnlich unbewältigbar scheint für den Einzelnen das Ganze. Keine der Ausstellungsgruppen ist auf einen Blick zu erfassen, wie auch keines der hier aufbereiteten Schicksale. Und die zeitgenössische Kunst sorgt für die Reflexion und Aktualität. Es ist noch nicht vorbei.

Bis 15.2., Di 10–24Uhr, Mi–So 10–18Uhr


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