Würmchen am Diwan
![]() |
| |||||||||||
diesen Falter bestellen |
Seit 1971 verfügt Wien über eine dem Begründer der Psychoanalyse
Sigmund Freud gewidmete Pilgerstätte. In den Räumen seiner Ordination
und Privatwohnung in der Berggasse 19 ist das originale Wartezimmer zu
sehen, einige der Erstausgaben Freuds und Stücke aus dessen
Antikensammlung. Wonach die Besucher aber stets zuerst fragen, ist
jenes Möbelstück, mit dem die Psychoanalyse gemeinhin assoziiert wird:
die Couch. Der Meister selbst pflegte sie übrigens noch Diwan oder
Ruhebett zu nennen.
Freud nahm seine Couch 1938 bei seiner Flucht vor der
nationalsozialistischen Verfolgung nach England mit, wo sie das
Herzstück des Freud-Museums bildet, das in seinem Londoner Wohnhaus
untergebracht ist. Es ist ein schlichtes, weißes Stoffsofa mit einer
kopfseitigen Lehne, das dem Therapeuten 1890 von einer dankbaren
Patientin geschenkt worden war. Freud ließ es mit einem türkischen
Teppich überziehen, als hygienischen Schutz, aber auch, um so ein
vertrautes Stück bürgerlicher Wohnkultur zu schaffen, das auf die
Patienten beruhigend wirkt.
In einer Malerwohnung sind es Pinsel und Palette, die zu Reliquien des
toten Künstlers werden, in Schriftstellerhäusern die Schreibutensilien.
Wie aber lässt sich eine therapeutische Situation in ein Bild fassen,
deren Erfolg darauf beruht, dass sich zwischen zwei Menschen, dem
Analytiker und dem Analysanden, eine emotionale Beziehung entwickelt?
Möglicherweise war es eben die von zahlreichen Filmen popularisierte
Couch, die der Psychoanalyse einen Marktvorteil gegenüber anderen
Therapieformen verschaffte. Freud selbst besaß zwar von Anfang seiner
ärztlichen Tätigkeit an ein solches Möbelstück, maß diesem aber
zunächst keine allzu große Bedeutung bei, stand es doch in der Epoche
des Mittagschlafs in jedem besseren Arbeitsraum. Otto Wagner etwa hatte
eine Couch für die höheren Angestellten der Postsparkasse entworfen.
Die Frage „Hast du eine oder hast du keine?“ wurde erst in der ersten
Generation der Freud-Schüler zur Glaubensfrage.
Am Anfang seiner Behandlungstätigkeit erprobte Freud verschiedene
Settings; er unterhielt sich mit Patienten beim Spaziergang, tauschte
mit ihnen Briefe aus. Einem Nervenarzt standen damals diverse
Kurmethoden zur Verfügung: Massagen, Wasser- und Elektrobehandlungen
oder die Hypnose. Von der Hypnosetherapie übernahm Freud die Couch und
ging allmählich dazu über, hinter dem Kranken Platz zu nehmen und
dadurch direkten Augenkontakt zu vermeiden. „Ich vertrage es nicht,
acht Stunden täglich (oder länger) von anderen angestarrt zu werden“,
lautete seine etwas flapsige Begründung. Außerdem wollte er verhindern,
durch seine Miene Einfluss auf die Gedanken des Patienten zu nehmen. Er
ließ seine Patienten eine dem Sitzen angenäherte Position einnehmen,
ähnlich der eines Lesers auf einem Diwan. Das Vortasten des Arztes zu
„eingeklemmten Affekten“ oder „eingezwängten Gedanken“ rückt das Möbel
aber aus der Sphäre des Wohlergehens in den Bereich der klinischen
Behandlung. Man kam schließlich nicht zum Vergnügen in die Berggasse.
„Benutzt dieses schwachsinnige Möbel überhaupt noch jemand?“ oder: „Ja,
ich will unbedingt auf die Couch“ sind Sätze, die Bettina Reiter von
Leuten hört, die zum ersten Mal die altmodische Liege mit dem
Kopfkissen in ihrer Ordination zu sehen bekommen. Dieses
Übertragungsmoment gehört zu den Funktionen des Möbelstücks. In der
Bewertung des Möbels spiegelt sich das Verhältnis des Patienten zur
Psychoanalyse insgesamt. „Es soll nicht zu hart und nicht zu weich
sein“, erläutert Lydia Marinelli, Kuratorin des Freud-Museums, den von
ihr erhobenen Konsens der Analytiker über die ideale Couch.
„Entspannung ja, aber nicht die totale, sonst kommt der Schlaf.“ Der
kontrollierte Kontrollverlust ist es, der dann zu den
Assoziationsketten führt, die den Therapeuten in das Unbewusste des
Patienten blicken lassen.
„Man weiß nicht, ob man auf ihr sitzen soll oder liegen“, erläutert
Marinelli. „Das machte sie für Moralapostel schon immer verdächtig.“
Und prädestinierte sie zum Katalysator sexueller Fantasien in der
analytischen Kur. „Der Ehebruch ist eine Kanapeeangelegenheit“, schrieb
der Schriftsteller Honoré de Balzac. Und: „Es handelt sich um Möbel des
Verderbens, und ich habe sie nie ohne Schaudern sehen können.“ Sich als
männlicher Gast auf ihnen niederzulassen galt zu seiner Zeit als
unschicklich, konnten die Körper in den weichen Sitzkissen doch allzu
leicht aneinander geraten.
Die Ausstellung im Freud-Museum rekonstruiert die diversen Stationen
der Ausschweifung: von der barocken Chaiselongue dekadenter Adeliger
bis zum bürgerlichen Diwan – das von Freud zum Arbeitsgerät sublimierte
Möbel diente stets als freizügige Alternative zur Fadesse des Ehebetts.
Durch ihre orientalische Herkunft regte die Ottomane die erotische
Imagination an und brachte einige der mit der bürgerlichen Moral
kollidierten Couchpotatoes in weiterer Folge auch in die Berggasse.
Durch zahlreiche Umbauten ist die Etage, auf der sich das Freud-Museum
befindet, zu einem Labyrinth aus Bibliothek, Museum und Galerie
geworden. Zufällig ergab es sich, dass eine Mieterin nach vierzig
Jahren aus der Wohnung darüber auszog. Diese hat denselben, etwa 250
Quadratmeter großen Grundriss und beherbergt nun den Hauptteil der
Couchausstellung. Der New Yorker Grafikdesigner und
Ausstellungsgestalter Abbott Miller beließ die Wohnung in ihrem
abgenutzten Zustand. So muss es wohl ausgesehen haben, als die Familie
Freud 1938 die Wohnung räumte.
Im finsteren Badezimmer werden jene Zwangsmaßnahmen dargestellt, denen
Psychiatriepatienten um 1900 ausgesetzt waren. Einer dieser
Folterapparate war die Darwin-Cox’sche Schwingmaschine. Auf ein
Holzbett geschnallt, wurde der Kranke bis zur Betäubung im Kreis
gedreht. Im Vergleich dazu wirkt das Flätzen auf Freuds Couch wie ein
Spaziergang im Garten der Lüste. Freuds Schüler Sándor Ferenczi
perfektionierte die Multifunktionalität des Möbels. Im Anschluss an
einen Geschlechtsverkehr empfing er ebenda einen Patienten zur Redekur.
Jener beschwerte sich dann auch während der Sitzung über „Würmchen am
Diwan“. Ferenczi beichtete in einem Brief den Vorfall gleich seinem
Lehrer: „Es kam mir der Gedanke, dass es nicht recht ist, dieselbe
Lagerstätte für den Erwerb und für die Liebesleistung zu verwenden.“
„Die Couch. Vom Denken im Liegen“: bis 5.11. im Sigmund-Freud-Museum (9., Berggasse 19).
Information: www.freud-museum.at
nur mit schriftlicher Genehmigung der Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H. gestattet.