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Würmchen am Diwan

Eine Ausstellung des Freud-Museums widmet sich dem populärsten Requisit der Psychoanalyse.
 
Falter 18/2006 vom 3.5.2006
Ressort Kultur > Die Couch
Autor Matthias Dusini

Infobox Der Freud der Frauen

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Sigmund Freud Museum Wien

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Seit 1971 verfügt Wien über eine dem Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud gewidmete Pilgerstätte. In den Räumen seiner Ordination und Privatwohnung in der Berggasse 19 ist das originale Wartezimmer zu sehen, einige der Erstausgaben Freuds und Stücke aus dessen Antikensammlung. Wonach die Besucher aber stets zuerst fragen, ist jenes Möbelstück, mit dem die Psychoanalyse gemeinhin assoziiert wird: die Couch. Der Meister selbst pflegte sie übrigens noch Diwan oder Ruhebett zu nennen.
Freud nahm seine Couch 1938 bei seiner Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach England mit, wo sie das Herzstück des Freud-Museums bildet, das in seinem Londoner Wohnhaus untergebracht ist. Es ist ein schlichtes, weißes Stoffsofa mit einer kopfseitigen Lehne, das dem Therapeuten 1890 von einer dankbaren Patientin geschenkt worden war. Freud ließ es mit einem türkischen Teppich überziehen, als hygienischen Schutz, aber auch, um so ein vertrautes Stück bürgerlicher Wohnkultur zu schaffen, das auf die Patienten beruhigend wirkt.
In einer Malerwohnung sind es Pinsel und Palette, die zu Reliquien des toten Künstlers werden, in Schriftstellerhäusern die Schreibutensilien. Wie aber lässt sich eine therapeutische Situation in ein Bild fassen, deren Erfolg darauf beruht, dass sich zwischen zwei Menschen, dem Analytiker und dem Analysanden, eine emotionale Beziehung entwickelt? Möglicherweise war es eben die von zahlreichen Filmen popularisierte Couch, die der Psychoanalyse einen Marktvorteil gegenüber anderen Therapieformen verschaffte. Freud selbst besaß zwar von Anfang seiner ärztlichen Tätigkeit an ein solches Möbelstück, maß diesem aber zunächst keine allzu große Bedeutung bei, stand es doch in der Epoche des Mittagschlafs in jedem besseren Arbeitsraum. Otto Wagner etwa hatte eine Couch für die höheren Angestellten der Postsparkasse entworfen. Die Frage „Hast du eine oder hast du keine?“ wurde erst in der ersten Generation der Freud-Schüler zur Glaubensfrage.
Am Anfang seiner Behandlungstätigkeit erprobte Freud verschiedene Settings; er unterhielt sich mit Patienten beim Spaziergang, tauschte mit ihnen Briefe aus. Einem Nervenarzt standen damals diverse Kurmethoden zur Verfügung: Massagen, Wasser- und Elektrobehandlungen oder die Hypnose. Von der Hypnosetherapie übernahm Freud die Couch und ging allmählich dazu über, hinter dem Kranken Platz zu nehmen und dadurch direkten Augenkontakt zu vermeiden. „Ich vertrage es nicht, acht Stunden täglich (oder länger) von anderen angestarrt zu werden“, lautete seine etwas flapsige Begründung. Außerdem wollte er verhindern, durch seine Miene Einfluss auf die Gedanken des Patienten zu nehmen. Er ließ seine Patienten eine dem Sitzen angenäherte Position einnehmen, ähnlich der eines Lesers auf einem Diwan. Das Vortasten des Arztes zu „eingeklemmten Affekten“ oder „eingezwängten Gedanken“ rückt das Möbel aber aus der Sphäre des Wohlergehens in den Bereich der klinischen Behandlung. Man kam schließlich nicht zum Vergnügen in die Berggasse.
„Benutzt dieses schwachsinnige Möbel überhaupt noch jemand?“ oder: „Ja, ich will unbedingt auf die Couch“ sind Sätze, die Bettina Reiter von Leuten hört, die zum ersten Mal die altmodische Liege mit dem Kopfkissen in ihrer Ordination zu sehen bekommen. Dieses Übertragungsmoment gehört zu den Funktionen des Möbelstücks. In der Bewertung des Möbels spiegelt sich das Verhältnis des Patienten zur Psychoanalyse insgesamt. „Es soll nicht zu hart und nicht zu weich sein“, erläutert Lydia Marinelli, Kuratorin des Freud-Museums, den von ihr erhobenen Konsens der Analytiker über die ideale Couch. „Entspannung ja, aber nicht die totale, sonst kommt der Schlaf.“ Der kontrollierte Kontrollverlust ist es, der dann zu den Assoziationsketten führt, die den Therapeuten in das Unbewusste des Patienten blicken lassen.
„Man weiß nicht, ob man auf ihr sitzen soll oder liegen“, erläutert Marinelli. „Das machte sie für Moralapostel schon immer verdächtig.“ Und prädestinierte sie zum Katalysator sexueller Fantasien in der analytischen Kur. „Der Ehebruch ist eine Kanapeeangelegenheit“, schrieb der Schriftsteller Honoré de Balzac. Und: „Es handelt sich um Möbel des Verderbens, und ich habe sie nie ohne Schaudern sehen können.“ Sich als männlicher Gast auf ihnen niederzulassen galt zu seiner Zeit als unschicklich, konnten die Körper in den weichen Sitzkissen doch allzu leicht aneinander geraten.
Die Ausstellung im Freud-Museum rekonstruiert die diversen Stationen der Ausschweifung: von der barocken Chaiselongue dekadenter Adeliger bis zum bürgerlichen Diwan – das von Freud zum Arbeitsgerät sublimierte Möbel diente stets als freizügige Alternative zur Fadesse des Ehebetts. Durch ihre orientalische Herkunft regte die Ottomane die erotische Imagination an und brachte einige der mit der bürgerlichen Moral kollidierten Couchpotatoes in weiterer Folge auch in die Berggasse.
Durch zahlreiche Umbauten ist die Etage, auf der sich das Freud-Museum befindet, zu einem Labyrinth aus Bibliothek, Museum und Galerie geworden. Zufällig ergab es sich, dass eine Mieterin nach vierzig Jahren aus der Wohnung darüber auszog. Diese hat denselben, etwa 250 Quadratmeter großen Grundriss und beherbergt nun den Hauptteil der Couchausstellung. Der New Yorker Grafikdesigner und Ausstellungsgestalter Abbott Miller beließ die Wohnung in ihrem abgenutzten Zustand. So muss es wohl ausgesehen haben, als die Familie Freud 1938 die Wohnung räumte.

Im finsteren Badezimmer werden jene Zwangsmaßnahmen dargestellt, denen Psychiatriepatienten um 1900 ausgesetzt waren. Einer dieser Folterapparate war die Darwin-Cox’sche Schwingmaschine. Auf ein Holzbett geschnallt, wurde der Kranke bis zur Betäubung im Kreis gedreht. Im Vergleich dazu wirkt das Flätzen auf Freuds Couch wie ein Spaziergang im Garten der Lüste. Freuds Schüler Sándor Ferenczi perfektionierte die Multifunktionalität des Möbels. Im Anschluss an einen Geschlechtsverkehr empfing er ebenda einen Patienten zur Redekur. Jener beschwerte sich dann auch während der Sitzung über „Würmchen am Diwan“. Ferenczi beichtete in einem Brief den Vorfall gleich seinem Lehrer: „Es kam mir der Gedanke, dass es nicht recht ist, dieselbe Lagerstätte für den Erwerb und für die Liebesleistung zu verwenden.“


„Die Couch. Vom Denken im Liegen“: bis 5.11. im Sigmund-Freud-Museum (9., Berggasse 19).
Information: www.freud-museum.at

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