Salzburger Nachrichten am 24. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Kreativ aus der Bewegung

Im Wien Museum Karlsplatz wird heute Abend eine Sonderausstellung eröffnet mit dem Titel "Kinetismus - Wien entdeckt die Avantgarde".

Ernst P. StroblWIEN (SN). "Wien um 1900", damit will Wolfgang Kos, der Direktor des Wien Museums Karlsplatz, nichts mehr zu tun haben, mit diesem Hype um Klimt und Schiele und die anderen. "Wien um 1920" heißt die bis 1. Oktober geöffnete Ausstellung zwar nicht, mit der das Museum nun lockt, dennoch will Kos damit ein Kapitel der österreichischen Kunstgeschichte ans Licht tragen, welches als "wichtigster Beitrag Österreichs zur internationalen Avantgarde" zu betrachten sei, wie es Kuratorin Monika Platzer nennt. Der "Kinetismus", benannt nach dem griechischen Wort kinesis für Bewegung, ist ein ganz eigenständiger avantgardistischer Ansatz, der erst vor wenigen Jahren aus dem hintersten Winkel geholt wurde und vor einer umfassenden Aufarbeitung steht.

Es wird wohl recht hoch gegriffen sein, wenn Monika Platzer ein jüngst aufgefundenes, neun Meter langes Fries von Erika Giovanna Klien namens "Gang durch die Stadt" als außerordentlich genug einstuft, dem berühmten Beethoven-Fries von Klimt den Rang abzulaufen. Eine Entdeckung ist das orange-blaue Band mit architektonischen Versatzstücken, Buchstaben und Symbolen aber sicherlich.

Was ist also diese Kunstform "Kinetismus", die das Museum präsentiert und zu der ein umfangreicher Katalog erschien mit dem Zeug zum "Standardwerk"? Spiritus rector dieser Kunstform ist der Wiener Maler und Kunstpädagoge Franz Cižek (1865-1946), der in der Fichtegasse in der Kunstgewerbeschule wirkte. Der frühere Historienmaler und Hofporträtist hatte sich immer mehr der Kinder- und Jugenderziehung zugewandt. Die Ausstellung dokumentiert Einflüsse und Grundlagen in mehreren Kapiteln. Expressionismus und Kubismus, die Emanzipation des Ornaments und Kubismus fanden im Schaffen der Jugendkunst Eingang. Angehalten von Cižek, aus dem Empfinden zu schöpfen und das schöpferische Gestalten anstatt des bloßen Abbildens zu üben, waren die vorwiegend jungen Damen eifrig zugange, Form und Inhalt neu zu entdecken und die Bewegung zu Kunst zu machen. Dass vor allem Mädchen aus gutem Haus in der Schule Eingang fanden, steht in Zusammenhang mit der Staatlichen Akademie, die erst ab 1920 Frauen zuließ, andererseits mit den Studiengebühren. Bald kristallisierten sich bei Cižek drei "Stars" heraus, neben der erwähnten Erika Giovanna Klien noch My/Marianne Ullmann und Elisabeth Karlinsky. Die heute berühmteste, Erika Giovanna Klien, unterrichtete übrigens drei Jahre lang an der Elizabeth-Duncan-Schule in Kleßheim, ehe sie in die USA auswanderte.

Nahezu alle anderen Künstlerinnen und Künstler aus der Cižek-Klasse gerieten in Vergessenheit. Namen wie Martha Diem, Elfriede Döll, Martha Dux, Lore Feichtinger, Mimi Kind, Franziska Kantor oder Marie Nirenstein verschwanden gänzlich aus der Geschichte. Als der Nachlass von Cižek, der verarmt in Wien 1946 starb, dem Jugendamt übergeben wurde, verschwand die Sammlung. Sie wurde erst 1974 vom Künstler Bernhard Leitner in einer Volksschule wiederentdeckt.

Fast 90 Prozent der rund 400 Exponate stammen aus dem Bestand des Wien Museums als Inhaberin des künstlerischen Nachlasses. Von Klassenfotos über Ornamentstudien, Gefühls- und Bewegungsstudien, Skulpturen und Malerei - ein Rundgang lohnt sich.Information: www.wienmuseum.at