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24.11.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kunsthalle: Zerbrochen, repariert
VON ALMUTH SPIEGLER
Ausstellung. Die große späte Bourgeois.

Der beste Text über Louise Bour geois, diese wunderbarste große alte Dame der Bildhauerei, würde allein aus ihren eigenen Zitaten bestehen. "Meine Kindheit hat nie ihre Magie verloren, sie hat nie ihr Geheimnis verloren, und sie hat nie ihr Drama verloren." Oder: "Ich zerbreche Dinge, weil ich Angst habe, und verbringe meine Zeit damit, sie zu reparieren." Oder: "Mein Werk beunruhigt den Betrachter, aber niemand will gestört werden." Oder: "Die einzige Verantwortung liegt darin, vollkommen wahrhaft zu seinem Selbst zu sein." Oder: "Mein Glück war es, dass ich erst so spät berühmt wurde, dass mich die Berühmtheit nicht zerstören konnte." Herrlich.

Schweigsam war sie nie, die heute 94-jährige Künstlerin. Und auch ihre Kunst ist es nicht. Sie berührt direkt. Hat eine unverkennbare Form gefunden. Verwebt Kugeln, Spinnen, Hügel, Körperteile, abstrakte Raster und Schrift zu einem zärtlich lauernden Traumnetz, in das man sich fallen lassen oder indem man sich verfangen kann, je nachdem - um in seiner Kindheit wieder aufzuwachen. In dieser Kindheit mit all ihren prägenden Ängsten und Geheimnissen.

Aber trotz all dieser Psychologie ist für Bourgeois "die Form" das Wichtigste überhaupt, wie sie sagt. Schließlich sollte es egal sein, ob sie in ihren Zeichnungen, Marmorskulpturen, Stoffobjekten, in den von ihr einst pionierhaft verwendeten Materialien wie Latex ihre eigene Biografie verarbeitet. Ob es ihre sanftmütige, zierliche Mutter ist, die sie positiv gerade mit der Metapher der Spinne besetzt, ob es um ihren dominanten Vater geht oder um den verschwundenen Bach vor dem Haus ihrer Jugend, den sie in unser aller Erinnerung wieder einleitet. Das alles funktioniert bei Bourgeois. Auch ohne Erklärungen. Man wird auf eine Reise zurückgeschickt und begleitet - nur mit dem Abholen ist das so eine Sache.

"Aller - Retour", hin und zurück, heißt so auch die auf Zeichnungen konzentrierte Ausstellung von Louise Bourgeois im Erdgeschoß der Wiener Kunsthalle. In der musealen Reihe monografischer Ausstellungen von "Schlüsselfiguren der Moderne" nach Yayoi Kusama, Marcel Broodthaers und Eva Hesse widmet man sich jetzt hier mit 150 Exponaten dem (noch nicht abgeschlossenen) Spätwerk der 1911 in Frankreich geborenen und in New York lebenden Künstlerin. Dazu holte man sich mit Peter Weiermair einen Bourgeois-Intimus, der 1989 schon ihre erste europäische Retrospektive in Frankfurt hängte und stellte.

Thematisch gegliedert führt nun die Wiener Ausstellung vorbei an amorph quellenden rosa Hügellandschaften aus Wasserfarben (2004), an den zu Spiralen und Netzen vernähten Stoffzeichnungen der letzten Jahre, an einer mächtigen Spinnen-Skulptur, an bestickten Polsterbezügen, an tagebuchartigen Blattsammlungen - bis hin zu einem chronologisch rückwärts laufenden Kreislauf aus Zeichnungen, der mit einem Selbstporträt von 1938 endet. Hier findet man sie alle bereits seit langem verankert, die Motive, die Bourgeois noch heute beschäftigen. Ein ungemein konsequentes, in sich geschlossenes Werk, das nicht zuletzt in seiner innovativen Material- und Medienvielfalt beeindruckt und das weder vor zu viel Lieblichkeit noch vor schwieriger Abstraktion zurückschreckt. Die Kunsthalle bietet einen feinen Einblick. Für mehr wird man 2007 wohl zur großen Retrospektive in die Tate nach London reisen müssen.

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