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Kalt ist es. Mondkalt. Ein schmaler Steg aus Stahlblech zwingt den
Schritt in Richtung Ausstellung. Dumpf klackern die Absätze die spiegelnde
Fläche entlang in den ersten Stock der Neuen Galerie in Graz. Das
metallene Gängelband gibt Zeit, mit der man nicht gerechnet hat. Die
Erwartungen an eine Ausstellung über Masochismus in der Kunst werden
überprüft: Peitsche, Lack und Leder, Demütigung, strenge Kammer,
Pornografie und Perversion und die Angst vor einer persönlicher
Involvierung. Doch die Lust bleibt, wie der Titel sagt, ein Phantom. Was
der Kurator Peter Weibel hier zusammengetragen hat, ist kein verruchtes
Gruselkabinett, sondern eine enzyklopädische Bestandsaufnahme der Kunst
der letzten hundert Jahre, die im weitesten Sinne vom Masochismus
inspirieren wurde. Alles wurde daran gelegt, eben gerade keine Emotion
aufkommen zu lassen, Distanz zu schaffen.
Die Beleuchtung ist fahl wie im Leichenschauhaus. Der
Parkettboden ist mit Blech ausgelegt, das fast bis zu den Wänden reicht,
aber eben nur fast. So schlittert man auf einem immer gleichen glatten
Sockel entlang, bewegt sich auf kühlen Inseln, die in Sicherheit wiegen
und eine Kluft reißen zwischen dem eigenen Körper und den Abbildern. Und
diese könnten brutal unter die Haut gehen. Doch die für den Betrachter
frustrierende Masse der Tausend Exponate und 150 Künstler lässt
gleichgültig. Sie haben keine Chance mehr zu verletzen, die Provokation
verpufft in anonymer Dichte.
Andererseits verleitete der Ehrgeiz zur Vollständigkeit
auch zu einer gewissen Beliebigkeit. Qualität hängt zwischen Schund, der
thematische Faden verläuft sich manchmal ins Nebulose. Nacktheit oder das
Tragen von Pelz wie bei Franz von Stucks "Die Sünde" muss nicht unbedingt
gleich mit Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) in Verbindung stehen, dem
im Rahmen des Programms der europäischen Kulturhauptstadt Graz mit dieser
Ausstellung und dem Rahmenprogramm ein Schwerpunkt gewidmet wurde.
Immerhin lebte der international angesehene Schriftsteller mit
Unterbrechungen von 1854 bis 1881 in Graz, lehrte Geschichte an der
Universität und schrieb hier den größten Teil seiner "Venus im Pelz", in
der er seine Neigung, Befriedigung durch Leid und Erniedrigung zu
erlangen, formulierte. Ein Grazer Zeitgenosse Sacher-Masochs war es, der
ihn dann in das literarisch degradierende Eck der sexuellen Perversionen
brachte. Doch durch Richard von Krafft-Ebings Standardwerk "Psychopathia
sexualis" (ab 1890) ist der Masochismus gemeinsam mit dem Sadismus noch
heute der wohl populärste Begriff der Sexualpsychologie. Der historische
Hintergrund wird in "Phantom der Lust" nicht nur als ein eigener Teil in
der Ausstellung aufbereitet, sondern erhält mit dem voluminösen
zweibändigen Katalog-Werk so etwas wie eine späte Rehabilitierung
Sacher-Masochs. Die Neuauflage der "Venus im Pelz" (Verlag Belleville) mit
Illustrationen von Günter Brus bringt die Subtilität der literarischen
Vorlage wieder ins Bewusstsein, die man in der zeitgenössischen Kunst zum
Thema suchen muss.
Fetischismus, Verkleidungen, das demütigende Spiel
zwischen Herrin und Sklave - all das bietet sich natürlich zur
Effekthascherei an. Doch die einschlägige Szene einfach abzubilden oder
nachzustellen, Besessenheiten und Perversionen an die Öffentlichkeit zu
zerren, reicht bei weitem nicht, um Sacher-Masoch künstlerisch gerecht zu
werden. Alles zu zeigen heißt auch, alles zu offenbaren. Ist es nicht
gerade die Unerreichbarkeit des Objekts der Begierde, eine ungemeine
Eleganz, die das Grausame der "Venus" ausmacht? Der psychologische Terror
nicht ein viel schmerzhafterer als der körperliche? Diese emotionelle
Züchtigung zu vermitteln, ist heute wohl die eigentliche Kunst. Helmut
Newton, dem ein ganzer Raum gewidmet ist, schafft diese Faszination, die
eben auch eine streng ästhetische ist. Tracey Moffatts schwarzweiße
Fotogravur-Serie "Laudanum" raubt in ihrer leidenschaftlichen Melancholie
den Atem. Die Beispiele der zeitgenössischen Kunstproduktion, die sich
nicht auf das reine Zurschaustellen beschränken, lassen sich zwischen all
den Fesselungen, den Verstrickungen, Verkettungen, Durchlöcherungen,
Penetrierungen an zwei Händen abzählen. Auch die Installation von Irene
Andessner im benachbarten Dom im Berg schafft keine neue Dimension zu
Sacher-Masoch. Ihre Verwandlung in die Ehefrau und "Venus im Pelz" Wanda
bleibt eine Wiederholung von bereits Gesehenem oder Gelesenem. Fast
gelangweilt spielt sie ihre Rolle als Domina, die Szenen werden
überdimensional an die Wände projiziert. Eine Inszenierung, die
Erwartungen vielleicht nicht enttäuscht, sie aber in jedem Fall auch
bedient. Genau das, was Weibel nicht wollte - und so blieb es allein der
Kunst überlassen, dem Anspruch gerecht zu werden, was sich im Endeffekt
als die wahre Grausamkeit herausstellte.
Bis 24. August. Di.-So. 10-18h, Do. 10-20h
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