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28.04.2003 - Ausstellung
Die Grausamkeit der Masse
"Phantom der Lust" in der Neuen Galerie in Graz: Eine distanzierte Bestandsaufnahme des Masochismus in der Kunst. Eine epochale Ausstellung, die enttäuschen muss.
VON ALMUTH SPIEGLER


Kalt ist es. Mondkalt. Ein schmaler Steg aus Stahlblech zwingt den Schritt in Richtung Ausstellung. Dumpf klackern die Absätze die spiegelnde Fläche entlang in den ersten Stock der Neuen Galerie in Graz. Das metallene Gängelband gibt Zeit, mit der man nicht gerechnet hat. Die Erwartungen an eine Ausstellung über Masochismus in der Kunst werden überprüft: Peitsche, Lack und Leder, Demütigung, strenge Kammer, Pornografie und Perversion und die Angst vor einer persönlicher Involvierung. Doch die Lust bleibt, wie der Titel sagt, ein Phantom. Was der Kurator Peter Weibel hier zusammengetragen hat, ist kein verruchtes Gruselkabinett, sondern eine enzyklopädische Bestandsaufnahme der Kunst der letzten hundert Jahre, die im weitesten Sinne vom Masochismus inspirieren wurde. Alles wurde daran gelegt, eben gerade keine Emotion aufkommen zu lassen, Distanz zu schaffen.

Die Beleuchtung ist fahl wie im Leichenschauhaus. Der Parkettboden ist mit Blech ausgelegt, das fast bis zu den Wänden reicht, aber eben nur fast. So schlittert man auf einem immer gleichen glatten Sockel entlang, bewegt sich auf kühlen Inseln, die in Sicherheit wiegen und eine Kluft reißen zwischen dem eigenen Körper und den Abbildern. Und diese könnten brutal unter die Haut gehen. Doch die für den Betrachter frustrierende Masse der Tausend Exponate und 150 Künstler lässt gleichgültig. Sie haben keine Chance mehr zu verletzen, die Provokation verpufft in anonymer Dichte.

Andererseits verleitete der Ehrgeiz zur Vollständigkeit auch zu einer gewissen Beliebigkeit. Qualität hängt zwischen Schund, der thematische Faden verläuft sich manchmal ins Nebulose. Nacktheit oder das Tragen von Pelz wie bei Franz von Stucks "Die Sünde" muss nicht unbedingt gleich mit Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) in Verbindung stehen, dem im Rahmen des Programms der europäischen Kulturhauptstadt Graz mit dieser Ausstellung und dem Rahmenprogramm ein Schwerpunkt gewidmet wurde. Immerhin lebte der international angesehene Schriftsteller mit Unterbrechungen von 1854 bis 1881 in Graz, lehrte Geschichte an der Universität und schrieb hier den größten Teil seiner "Venus im Pelz", in der er seine Neigung, Befriedigung durch Leid und Erniedrigung zu erlangen, formulierte. Ein Grazer Zeitgenosse Sacher-Masochs war es, der ihn dann in das literarisch degradierende Eck der sexuellen Perversionen brachte. Doch durch Richard von Krafft-Ebings Standardwerk "Psychopathia sexualis" (ab 1890) ist der Masochismus gemeinsam mit dem Sadismus noch heute der wohl populärste Begriff der Sexualpsychologie. Der historische Hintergrund wird in "Phantom der Lust" nicht nur als ein eigener Teil in der Ausstellung aufbereitet, sondern erhält mit dem voluminösen zweibändigen Katalog-Werk so etwas wie eine späte Rehabilitierung Sacher-Masochs. Die Neuauflage der "Venus im Pelz" (Verlag Belleville) mit Illustrationen von Günter Brus bringt die Subtilität der literarischen Vorlage wieder ins Bewusstsein, die man in der zeitgenössischen Kunst zum Thema suchen muss.

Fetischismus, Verkleidungen, das demütigende Spiel zwischen Herrin und Sklave - all das bietet sich natürlich zur Effekthascherei an. Doch die einschlägige Szene einfach abzubilden oder nachzustellen, Besessenheiten und Perversionen an die Öffentlichkeit zu zerren, reicht bei weitem nicht, um Sacher-Masoch künstlerisch gerecht zu werden. Alles zu zeigen heißt auch, alles zu offenbaren. Ist es nicht gerade die Unerreichbarkeit des Objekts der Begierde, eine ungemeine Eleganz, die das Grausame der "Venus" ausmacht? Der psychologische Terror nicht ein viel schmerzhafterer als der körperliche? Diese emotionelle Züchtigung zu vermitteln, ist heute wohl die eigentliche Kunst. Helmut Newton, dem ein ganzer Raum gewidmet ist, schafft diese Faszination, die eben auch eine streng ästhetische ist. Tracey Moffatts schwarzweiße Fotogravur-Serie "Laudanum" raubt in ihrer leidenschaftlichen Melancholie den Atem. Die Beispiele der zeitgenössischen Kunstproduktion, die sich nicht auf das reine Zurschaustellen beschränken, lassen sich zwischen all den Fesselungen, den Verstrickungen, Verkettungen, Durchlöcherungen, Penetrierungen an zwei Händen abzählen. Auch die Installation von Irene Andessner im benachbarten Dom im Berg schafft keine neue Dimension zu Sacher-Masoch. Ihre Verwandlung in die Ehefrau und "Venus im Pelz" Wanda bleibt eine Wiederholung von bereits Gesehenem oder Gelesenem. Fast gelangweilt spielt sie ihre Rolle als Domina, die Szenen werden überdimensional an die Wände projiziert. Eine Inszenierung, die Erwartungen vielleicht nicht enttäuscht, sie aber in jedem Fall auch bedient. Genau das, was Weibel nicht wollte - und so blieb es allein der Kunst überlassen, dem Anspruch gerecht zu werden, was sich im Endeffekt als die wahre Grausamkeit herausstellte.

Bis 24. August. Di.-So. 10-18h, Do. 10-20h



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