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08.11.2002 20:38
Verlierer und Sammler
Beim
diesjährigen "steirischen herbst" sucht die Kunst erneut nach
Frischzellen
Sie stöbert in den Lagern überzeugter Dilettanten,
unfreiwilliger Komiker, dermatologisch Auffälliger und der Obdachlosen des
postkommunistischen Russland.
Doris Krumpl
Graz - Achtung, bitte nicht
betreten, nicht berühren! Vor uns liegt die Kunst, ein "auratisches Feld". So
bezeichnet die Gruppe monochrom ihre zwischen Satiremagazin-Humor und
Neo-Neo-Dadaismus angesiedelten, überarbeiteten Bild- und Textsammlungen,
derzeit ausgestellt im Forum Stadtpark.
Monochrom, Österreichs Vertreter
auf der heurigen Biennale Sao Paulo, sind laut Exegeten würdige Vertreter von
Dilettanten, dem Hauptthema der heurigen "herbst"-Schau. Auf den Dilettanten
berufen sich Künstler in zeitlichen Wellenbewegungen. Wie die Schmarotzer
schmeißen sie alles über den Haufen und dienen als Lückenbüßer und Ideengeber,
wenn den so genannten wie oft zu Unrecht selbst ernannten Professionellen nichts
einfällt. Dilettanten vermögen es, eine gewisse (ironische) Distanz zu sich zu
halten, deshalb bringen sie es nie zum Profitum. Manifeste gehören einfach dazu,
etwa das "Makrelengeigenmanifest".
Die Schau hätte auch "Objet trouvé"
heißen können, wenn man da Timm Ulrichs nimmt, der Fundbüro-Fotos macht oder im
Kopierer vergessene Unterlagen, etwa der Katholischen Frauenbewegung ("Etwas
Flottes in der Kirche Gottes"), veröffentlicht. Leicht verdientes
Künstlergeld.
Buchstäblich an die Haut geht Richard Kriesches Projekt
Dermatologie & Tele-Leib, welches - auch anlässlich der
Dermatologie-Tagung in Graz - die alten, quasi knapp nach der Geburt getrennten
Disziplinen Medizin und bildende Kunst wieder aufs Trefflichste und
Unterhaltsamste vereint. Neben künstlerischen Arztzeichnungen von
Hautkrankheiten aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert stehen vergleichsweise
besonders schöne Muttermal-Shots, die vor Ort an den Besuchern gemacht werden.
Die elektronischen (anonymen) Daten werden von Hautärzten begutachtet, und das
Ergebnis können sich die Teilnehmer binnen einer Stunde abholen.
Haut als
Kunst, gleichzeitig eine Erinnerung an die Ressource Körper. Mittels kompakter
Präsentation im Dom im Berg stellt der Künstler Zusammenhänge zwischen Haut,
Medizin und Kosmologie her, nicht nur mit einem Sternenhimmel aus Muttermalen.
Ganz auf den Boden der Realität und Richtung Generalthema des Festivals
- das Fremde - bringt einen der ukrainische Fotograf Boris Mikhailov. Für den
1939 geborenen Künstler sind die von ihm Ende der 90er dokumentierten
Obdachlosen seiner Heimatstadt Charkow dennoch nicht "das Fremde". Die im
Kulturzentrum bei den Minoriten präsentierte Auswahl der rund 500 Stück
umfassenden Serie Case History charakterisiert das Land am "absoluten
Nullpunkt".
Die Verlierer der postkommunistischen Welt, Kinder wie
Erwachsene, bildet Mikhailov in deren schmutzstarrenden Zufluchtsorten und auf
der Straße ab. Ihre Würde erlangen sie laut Mikhailov in ihrer Nacktheit, wo sie
wieder wie Menschen aussehen. Seinen Bildern, die zuweilen Parallelen zu
christlicher Ikonografie, etwa der Kreuzabnahme, aufweisen, haftet nichts
Versöhnliches an.
Sie wandeln an der Grenze zur Sozialpornografie, doch
sind sie von einem Insider gemacht, nicht von einer New Yorker Kunst-Tussi in
Prada. Mikhailov, ein Freund Kabakovs und in den kommunistischen Jahren die
Bilddogmen klug unterwandernd, haderte damit, seinen Models Geld zu geben, wie
es die neue kapitalistische Ordnung fordert.
Eine harte Geschichte, die
so vieles Mittelmäßige auch abbilden will, hier jedoch groß und ohne
Peinlichkeit. (DER STANDARD; Printausgabe, Sa/So, 9.11.2002)
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