Schokolade, Berge und Banken. Die Eidgenossen haben sich Köpfe heiß
gedacht, um sich selbst eine neue Identität zu geben. Den Versuch einer
Bestandsaufnahme breitet die Landesausstellung namens "Expo.02" aus, die
seit Mittwoch ihre Tore geöffnet hält. Als einziges Land der Welt leistet
sich die Schweiz immer wieder mal eine Landesausstellung - um sich selbst
stolz zu zeigen und die eigene Befindlichkeit auszuloten. Und diese
Tradition ist schon Programm genug. "Die Expo ist eine nationale
Ausstellung", sagt Nelly Wenger, Präsidentin der Expo-Generaldirektion:
"Die Expo ruft die Erfahrung vieler Formen des Patriotismus in einem
mobilen und weltoffenen Land hervor."
Weder ein Schützen- noch ein Landesturnfest ist die
Expo.02, sondern sie versetzt das Alpenland bis Mitte Oktober in einen
wohlgeordneten Ausnahmezustand. Mehrere Millionen Personen werden in die
Region des Bieler-, Murten- sowie Neuenburgersees reisen und die fünf
Ausstellungsplattformen der Expo.02 erkunden. Die vier festen Plattformen
in der Drei-Seen-Region, an der Sprachgrenze zwischen der Deutsch- und
Westschweiz, liegen an Seeufern und im Wasser. Sie heißen "Arteplages"
(ein Wortspiel aus "Kunst" und "Strand"), und sie sind insgesamt so groß
wie 70 Fußballfelder.
Diese Arteplages haben Themen wie "Macht & Freiheit",
"Augenblick & Ewigkeit", "Natur & Künstlichkeit" sowie "Ich &
das Universum". "Die Schweiz leistet sich ihre Landesausstellung, weil sie
nie einen Ernstfall zu bewältigen hatte", erläutert Martin Heller,
künstlerischer Expo-Leiter: "Die Expo ist die groß angelegte Simulation
eines Ernstfalles." So dominiert Multimedia die vielfältige Fülle der 37
Ausstellungsprojekte, die teilweise erkennbar die Handschrift der
Sponsoren aus der Wirtschaft tragen. Die Projekte mit Namen wie
"Heimatfabrik", "Garten Eden" oder "Blinde Kuh" sollen die Eidgenossen
mindestens unterhalten und höchstens zum Nachdenken anregen.
Aber die Identität des viersprachigen Landes mit den
vielen Charakteren läßt sich nicht an einer Ausstellung festmachen - und
gerade deswegen widerspiegelt die Expo letztlich die Befindlichkeit des
Landes: Jeder nimmt, was er braucht - und jeder findet etwas für sich. Die
Expo gilt als die größte Projektionsfläche der Schweiz. Ein Gefühl der
kollektiven Begeisterung vermittelt die Landesausstellung in den nächsten
Wochen den Eidgenossen sehr wohl.
Das Unmögliche schafft eine riesige Wolkenmaschine. Auf
der Arteplage in Yverdon (Thema: "Ich & das Universum") steht des
Wunder: 31.400 Hochdruck-Wasserdüsen produzieren mit Seewasser einen
künstlichen Nebel und hüllen alles ein. In der hundert Meter langen,
sechzig Meter breiten und zwanzig Meter hohen Zaubermaschine kann man
herumspazieren. Die Expo-Macher sprechen von einem "Anti-Spektakel" und
parodieren damit die Expo-Ausstellungen: Während in den immer perfekteren
High-Tech-Welten "eine Illusion der Wirklich durch eine Überreizung der
Sinne entsteht, setzt die Wolke auf Reduktion", steht im Konzept.
Natürlich funktioniert die verspielte Wolkenmaschine nach
anfänglichen Schwierigkeiten, die in der Öffentlichkeit nur bitterbösen
Spott hervorriefen, mittlerweile so perfekt wie eine Schweizer Uhr.
In hartem Kontrast dazu steht das zweite Wahrzeichen der
Expo: In einem Monolith aus rostigem Stahl im Murtensee ist das Panorama
über die berühmte Schlacht von Murten im 15. Jahrhundert zu sehen. Das aus
dem 19. Jahrhundert stammende, mit 111 Metern Länge größte Rundbild der
Welt wurde restauriert. Das digitale Bildtheater "Panorama Schweiz Version
2.1" holt im Monolith die Vergangenheit ins 21. Jahrhundert. Der Monolith
mit der Dimension eines zwölfstöckigen Wohnhauses stammt vom französischen
Stararchitekten Jean Nouvel. Diesem Stahlwürfel schreiben die Schweizer
Medien bereits mythische Kräfte für die Identität des Alpenlandes zu.
Die Expo.02 hat eine typisch schweizerische
Leidensgeschichte hinter sich. Am Anfang stand ein großer Wurf, dann kam
politische Erregung auf über die künstlerischen Ideen, Konzepte und das
Sponsoring der Wirtschaft. Es folgten endlose Überarbeitungen, das
Parlament bewilligte zähneknirschend immer neue Millionenkredite - und
letztlich waren alle einigermaßen zufriedengestellt.
Das ist im Land der Kompromisse ein Idealfall: Niemand
ist richtig glücklich, aber jeder kann mit der Expo leben.
Die Schweiz hat sich eine moderne, poetisch verspielte
Landesausstellung geschaffen - obwohl die Eidgenossen Großveranstaltungen
nicht mögen und beim Anstellen in einer Schlange schnell nervös werden.
Diesmal müssen sie sich lang anstellen.
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Wien