diepresse.com
zurück | drucken
21.05.2002 - Ausstellung
Expo.02: Nicht nur rostiger Stahl im Murtensee
Ab und zu spendieren sich die Schweizer eine Expo. Das hebt ihr Selbstbewußtsein - und diesmal ist sie sogar recht originell. Allerdings: ein teurer Spaß.
Von unserem Korrespondenten THOMAS GERBER (BERN)


Schokolade, Berge und Banken. Die Eidgenossen haben sich Köpfe heiß gedacht, um sich selbst eine neue Identität zu geben. Den Versuch einer Bestandsaufnahme breitet die Landesausstellung namens "Expo.02" aus, die seit Mittwoch ihre Tore geöffnet hält. Als einziges Land der Welt leistet sich die Schweiz immer wieder mal eine Landesausstellung - um sich selbst stolz zu zeigen und die eigene Befindlichkeit auszuloten. Und diese Tradition ist schon Programm genug. "Die Expo ist eine nationale Ausstellung", sagt Nelly Wenger, Präsidentin der Expo-Generaldirektion: "Die Expo ruft die Erfahrung vieler Formen des Patriotismus in einem mobilen und weltoffenen Land hervor."

Weder ein Schützen- noch ein Landesturnfest ist die Expo.02, sondern sie versetzt das Alpenland bis Mitte Oktober in einen wohlgeordneten Ausnahmezustand. Mehrere Millionen Personen werden in die Region des Bieler-, Murten- sowie Neuenburgersees reisen und die fünf Ausstellungsplattformen der Expo.02 erkunden. Die vier festen Plattformen in der Drei-Seen-Region, an der Sprachgrenze zwischen der Deutsch- und Westschweiz, liegen an Seeufern und im Wasser. Sie heißen "Arteplages" (ein Wortspiel aus "Kunst" und "Strand"), und sie sind insgesamt so groß wie 70 Fußballfelder.

Diese Arteplages haben Themen wie "Macht & Freiheit", "Augenblick & Ewigkeit", "Natur & Künstlichkeit" sowie "Ich & das Universum". "Die Schweiz leistet sich ihre Landesausstellung, weil sie nie einen Ernstfall zu bewältigen hatte", erläutert Martin Heller, künstlerischer Expo-Leiter: "Die Expo ist die groß angelegte Simulation eines Ernstfalles." So dominiert Multimedia die vielfältige Fülle der 37 Ausstellungsprojekte, die teilweise erkennbar die Handschrift der Sponsoren aus der Wirtschaft tragen. Die Projekte mit Namen wie "Heimatfabrik", "Garten Eden" oder "Blinde Kuh" sollen die Eidgenossen mindestens unterhalten und höchstens zum Nachdenken anregen.

Aber die Identität des viersprachigen Landes mit den vielen Charakteren läßt sich nicht an einer Ausstellung festmachen - und gerade deswegen widerspiegelt die Expo letztlich die Befindlichkeit des Landes: Jeder nimmt, was er braucht - und jeder findet etwas für sich. Die Expo gilt als die größte Projektionsfläche der Schweiz. Ein Gefühl der kollektiven Begeisterung vermittelt die Landesausstellung in den nächsten Wochen den Eidgenossen sehr wohl.

Das Unmögliche schafft eine riesige Wolkenmaschine. Auf der Arteplage in Yverdon (Thema: "Ich & das Universum") steht des Wunder: 31.400 Hochdruck-Wasserdüsen produzieren mit Seewasser einen künstlichen Nebel und hüllen alles ein. In der hundert Meter langen, sechzig Meter breiten und zwanzig Meter hohen Zaubermaschine kann man herumspazieren. Die Expo-Macher sprechen von einem "Anti-Spektakel" und parodieren damit die Expo-Ausstellungen: Während in den immer perfekteren High-Tech-Welten "eine Illusion der Wirklich durch eine Überreizung der Sinne entsteht, setzt die Wolke auf Reduktion", steht im Konzept.

Natürlich funktioniert die verspielte Wolkenmaschine nach anfänglichen Schwierigkeiten, die in der Öffentlichkeit nur bitterbösen Spott hervorriefen, mittlerweile so perfekt wie eine Schweizer Uhr.

In hartem Kontrast dazu steht das zweite Wahrzeichen der Expo: In einem Monolith aus rostigem Stahl im Murtensee ist das Panorama über die berühmte Schlacht von Murten im 15. Jahrhundert zu sehen. Das aus dem 19. Jahrhundert stammende, mit 111 Metern Länge größte Rundbild der Welt wurde restauriert. Das digitale Bildtheater "Panorama Schweiz Version 2.1" holt im Monolith die Vergangenheit ins 21. Jahrhundert. Der Monolith mit der Dimension eines zwölfstöckigen Wohnhauses stammt vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel. Diesem Stahlwürfel schreiben die Schweizer Medien bereits mythische Kräfte für die Identität des Alpenlandes zu.

Die Expo.02 hat eine typisch schweizerische Leidensgeschichte hinter sich. Am Anfang stand ein großer Wurf, dann kam politische Erregung auf über die künstlerischen Ideen, Konzepte und das Sponsoring der Wirtschaft. Es folgten endlose Überarbeitungen, das Parlament bewilligte zähneknirschend immer neue Millionenkredite - und letztlich waren alle einigermaßen zufriedengestellt.

Das ist im Land der Kompromisse ein Idealfall: Niemand ist richtig glücklich, aber jeder kann mit der Expo leben.

Die Schweiz hat sich eine moderne, poetisch verspielte Landesausstellung geschaffen - obwohl die Eidgenossen Großveranstaltungen nicht mögen und beim Anstellen in einer Schlange schnell nervös werden. Diesmal müssen sie sich lang anstellen.



© Die Presse | Wien