Kultur/Medien | 23.08.01 | www.DiePresse.at
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Die Saga vom Balkon von "Gelatin"

Viel Lärm gibt es derzeit um eine Aktion der österreichischen Künstlergruppe "Gelatin" in New York.

Haben sie oder haben sie nicht? Die österreichische Künstlergruppe "Gelatin", diesjährige Biennalevertreter Österreichs, läßt zur Zeit in New York die Gerüchteküche der Kunst-Szene brodeln. Auslöser für die Aufregung ist ein Projekt, das eineinhalb Jahre zurückliegt, aber erst heuer im Juli durch ein Buch dokumentiert und so einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. In diesem Buch ("The B-Thing") zeigen Photos die Glasfront eines Turms des World Trade Centers (WTC) - eines der berühmtesten, auch bestbewachten Hochhäuser von New York. Irritierend ist in großer Höhe ein kleiner weißer Fleck an der rasterartigen Fassade, den man bei genauer Betrachtung als winzigen Balkon erkennt, auf dem eine Person steht. Und genau um diesen schwindelerregenden Mini-Holzbalkon ranken sich jetzt die Gerüchte: Im März 2000 arbeiteten die vier jungen Künstler in einem Atelier im 91. Stock, also fast 367 Meter über dem Boden (der Wiener Millenniums-Tower ist 202 Meter hoch). "Wir hatten nur den Wunsch, da rauszugehen, auf unseren Privatbalkon", erzählt ein "Gelatin", Tobias Urban, der "Presse". Heimlich schmuggelten sie Baumaterial ins Studio und nahmen im Morgengrauen mit Saugnäpfen ein mannshohes Fenster aus dem Rahmen. An dessen Stelle montierten sie einen kanzelartigen Holzbalkon, gerade mit genug Platz für eine Person.
Um sechs Uhr Früh und unter strengster Geheimhaltung wurde die Aktion durchgeführt, weil sie nicht gemeldet war. Nach nur 20 Minuten wurde die Konstruktion - nach einer genauen Photoprotokollierung - wieder abmontiert. Als Beweis, daß sie wirklich draußen waren, klebten "Gelatin" angeblich einen Kaugummi an die Fassade. Jetzt wittert die "New York Times" einen Skandal: Die Aktion sei an der Grenze zur Kriminalität, da bei einer Fensterentfernung die Straßen darunter abgesperrt werden müßten, wird eine Verantwortliche der ehemaligen Betreibergesellschaft des WTC zitiert.

Und es gab ihn doch . . .
Weiters bestreitet jetzt auch der amerikanische Galerist von "Gelatin", Leo König, daß die Aktion je stattgefunden habe. Das Buch "The B-Thing" solle nur Fragen zur Kunst provozieren. Die teils verschwommenen "Beweisphotos" wurden am Computer generiert. Dieser Theorie widerspricht in der "Times" ein Fachmann für digitale Manipulation: Sie wirken zu echt für ihn. Der Galerist, schreibt die "Times", habe die Aktion von einer gegenüberliegenden Hotel-Suite beobachtet, mit ausgewählten Gästen als Kunst-Event gefeiert und einen Helikopter mit Photographen geschickt. Zeugen sollen das der Zeitung bestätigt haben. Gerüchte und Aufregung sind bekanntlich dem Geschäft nicht abträglich. "Natürlich ist es passiert", meint Tobias Urban. Und: "Wir wollen kein Politikum daraus machen. Es ging uns einfach nur um das Gefühl, da draußen zu stehen und den Sonnenaufgang zu beobachten. Alles andere ist egal." Ob es für die Künstler in New York rechtliche Konsequenzen geben wird, ist unklar. Aber die Kunst-Szene ist um ein Gerücht reicher. Klebt auf der WTC-Fassade in luftiger Höhe ein Kaugummi?sp

© Die Presse | Wien
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