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Suchen, was alle suchen – sich selbst

15.05.2008 | 18:25 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

In der Ausstellung „overlapping voices“ machen sich israelische und palästinensische Künstler auf verschiedenen Wegen auf die Suche nach Identitäten.

Selten wurde die Idee einer Ausstellung bereits im Vorfeld gründlicher vermittelt, selten mit behutsameren Samthandschuhen zur öffentlichen Beschau gereicht wie „overlapping voices“ im Essl Museum, wo Künstler mit israelischen und palästinensischen Hintergrund gemeinsam ausstellen. Denn das passiert nicht oft, eigentlich fast nie. Weder im Ausland noch in Israel selbst. Ein Grund dafür ist der Boykott derartiger Aktivitäten von palästinensischen Intellektuellen, um nur ja keinen Anschein von Normalität, geschweige denn Kooperation aufkommen zu lassen.

In Klosterneuburg scheint es jetzt ohne gröbere Verstimmungen oder Absagen gelungen zu sein, ein solches heikles Projekt des respektvollen und autonomen Nebeneinanders nicht nur zu einem, sondern sogar zu einem besonderen Ergebnis zu bringen. Woran die vier zugezogenen hausexternen Kuratoren – zwei Wiener (Karin Schneider, Friedemann Derschmidt) und zwei in Israel lebende Künstler (Tal Adler, Amal Murkus) wesentlich beitrugen. Es ist gerade ihre betont subjektive, sich bewusst nicht durch eine oberflächliche Ausgewogenheit von Herkunft und Ideologien rechtfertigende Auswahl, die diese Schau so fragil, so berührend und dadurch so interessant macht. Es gibt hier keine Kunst, die heftig proklamiert oder provoziert, sondern sich, wenn schon extrem, dann extrem bedacht, sanft mit der Gesellschaft befasst, in und aus der sie entstanden ist.

Im Endeffekt wurde „overlapping voices“ so zu allem anderen als einer trendigen Überblicksschau, wie sie im Essl Museum etwa zu zeitgenössischer Kunst aus China, Leipzig oder dem Balkan zu sehen war. Sie wurde aber auch nicht zu einer spezifischen kritischen Ausstellung über den Nahostkonflikt. Sondern zu einer über die Suche nach Identität – von Frauen, Männern, Jugendlichen, von Minderheiten, Heimatlosen, Entwurzelten. Natürlich kommen die Geschichten, für die die 22 Künstler auf unterschiedlichste Weise um Formen ringen, in erster Linie aus ihrem spezifisch geografischen Umfeld, beziehen sich etwa auf die kritische Situation der Beduinen im Negev, arabisches Machotum oder israelische Soldaten, die sich nach ihrem indischen New-Age-Trip eine eigene Kultur schaffen. Aber ein Eck weiter könnte es auch um Österreichs Sinti und Roma, Kärntner Slowenen, Gastarbeiter etc. gehen.

Masha Zusman geht es in ihrer – übrigens äußerst dekorativen – Malerei um ihr mädchenhaftes Selbstbild inmitten eines exotischen Paradieses, in dem aber sehr wohl auch Raubtiere lauern. Gemalt hat die mit 18 Jahren aus Russland nach Israel übersiedelte Künstlerin die märchenhafte Kulisse auf Holzplatten von Übersiedelungskisten. Raed Bawayah hat palästinensische Polizisten in altmodischen, an den distanziert aufs Fremde gerichteten Blick irgendwelcher Kolonialherren erinnernden Schwarzweißaufnahmen porträtiert. Yoav Weiss reserviert für den Sammler bereits jetzt, in ironischer Anlehnung an den Kult um die Berliner Mauer, ein Stück „Separation Wall“. Und Anisa Ashkar schreibt sich seit Jahren täglich in Arabisch ein Wort, einen Satz ins Gesicht.


Verbotene intime Momente

Die größte Entdeckung aber ist die jüngste Künstlerin der Schau, die 1987 in den USA geborene, in Israel aufgewachsene Jumana Manna, ihrem Verständnis nach Palästinenserin. Ihr für die Ausstellung entstandenes „Utopia-Projekt“ wird „Die Presse“ – wie die anderen vier dieser Spezial-Projekte – einzeln vorstellen. Zwei Fotoserien und ein Video zeigen aber zusätzlich Mannas mutigen Ansatz zu tun, was sie nicht tun sollte: Etwa als Autofahrerin arabische Männer auf der Straße ansprechen und ihre Posen fotografieren, wie sie sich mal schüchtern, mal drohend zu ihrem Autofenster beugen. Oder sie destabilisiert das Bild des arabischen Machotums durch Fotos, die junge Männer intim und verletzlich auf Betten liegend zeigen. Oder sie lässt sich von ihrer Mutter säugen, mit 20. Auf der Suche nach dem, was alle suchen. Geborgenheit im Eigenen und Fremden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)


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