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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
16. April 2008
18:22 MESZ
Bis 10. 5. 
Foto: Lissel
Hommage an die Camera obscura: Edgar Lissels Serie "Räume – Fotografische Dekonstruktionen".

Nachahmung und Spurensuche: "Ansichtssache" im Kunstraum Niederösterreich
Überlegungen zum räumlichen Sehen mit Fotografie: Mit der Ausstellung gibt die Fotografin Jutta Strohmaier ihr Debüt als Kuratorin

Wien – Es ist seltsam, warum der Fotografie eine derart große Abbildungskraft zugeschrieben wird: Dreidimensionalität reduziert sich auf perspektivisch verkürzte Linien auf dem, Papier, weite Panoramen tilgt der Bildausschnitt. Und trotzdem, natürliche und fotografische Wahrnehmung werden als nahezu gleichwertig angesehen.

Was passiert aber, wenn nun mit- hilfe präziser Apparate tatsächlich der menschliche Sehvorgang simuliert wird, fragt Marc Ries. Die Antwort des Medientheoretikers fällt im Katalog zur Ausstellung Ansichts-_sache im Kunstraum Niederösterreich wenig optimistisch aus. Denn der Mensch zweifelt – konfrontiert mit der Räumlichkeit rekonstruierenden Stereofotografie – am eigenen Sehvermögen. Täglich konditioniert durch die engen Ausschnitte der Gebrauchsfotografie, lehnt er, laut Ries, die Nachahmung des natürlichen 160°-Winkels als zu groß und zu weit ab: zu viel Raum.

Staunend begegnet man denn auch dem ersten Bild einer im positiven Sinn unklassischen Fotoausstellung, die verführerische Positionen zusammenträgt: Edgar Lissel hat gleich einen ganzen Wohnraum zur Camera obscura gemacht, indem er die Fensterscheibe bis auf ein kleines Loch für den Lichteinfall verklebte. Das Ergebnis, ein Unikat, bildet in einem Arbeitsgang nicht nur den Außenraum negativ und auf dem Kopf stehend – so wie auf der menschlichen Netzhaut – ab, sondern auch die Gegenstände im Belichtungsraum, die als weiße Blindstellen, wie collagiert, aus dem Motiv herausstechen. Bewegung fordern die Wackelbild-Panoramen von Katarina Matiasek, die sich nur im Vorbeigehen, im Vor und Zurück der Schritte erschließen, sonst bleiben weiße Flecken, wie – freilich aus anderen Gründen – bei Tatiana Lecomte. Sie verweigert sich der Abbildung. Lecomte fotografiert Standorte ehemaliger Konzentrationslager, begibt sich auf fotografische Spurensuche, um das Gefundene jedoch zuzudecken, um dort eine Lücke zu lassen, wo die Erinnerung bereits Leerstellen aufweist.

Perspektivenwechsel führen in gegensätzlichen Positionen Birgit Graschopf, Katharina Gaenssler und Michael Aschauer vor. Während Graschopf die unterschiedlichen Blickwinkel in der Montage regelrecht leugnet und Aschauer quasi aus der stets gleichen Pixelachse einer Videoaufnahme ein einziges Panoramabild des Donauufers zwischen Linz und Budapest zusammensetzt, baut Gaenssler den Kunstraum als vielteiliges, aus unterschiedlichsten Betrachtungsachsen aufgenommenes, Facettenbild nach. In wesentlich abstraktere Raster führt Nina Dick ihre Raumerschließung mittels Videokamera über, ein Medium, das auch Dariusz Kowalski nutzt. Die Standbilder von Web-Wetterkameras montiert er zu Loops und erzielt so eine Rhythmisierung des Raums.

Die bereits angesprochenen Stereofotografien steuert Thomas Freiler zur Ausstellung, dem ersten, famos gelungenen, kuratorischen Projekt der Fotografin Jutta Strohmaier, bei. Freiler, der die Architektur des Haus Jacobsen in Berlin illusioniert, ist zugleich die Verknüpfung zur Fotogalerie, wo bis 30. April ebenfalls räumliche Untersuchungen fokussiert werden. Neben Freiler wissen dort aber die eher konstruktiv und darin allzu konstruiert wirkenden Arbeiten von Hermes Payrhuber und Thomas Hannappel weniger zu überzeugen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.4.2008)


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