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Hauptausgabe vom 27.02.2003 - Seite 006
FILME/FOTOS: Andreas Horvath im Moviemento

Die zerstörte Idylle

VON MARKUS VORAUER

Der 35-jährige Salzburger Fotograf und Dokumentarfilmer Andreas Horvath ist Gast im Linzer Moviemento: Mit der Fotoausstellung "Jakutien" im Foyer, mit der Vorstellung seiner Filme "The Silence of Green" und "Poroerotus" am 28. Februar (siehe Info-Kasten), und mit der Präsentation seines Fotobuches zur Ausstellung (28. 2., 20.30 Uhr).

OÖN: Die Filme "Poroerotus" und "The Silence of Green" behandeln die Beziehung zwischen Mensch, Tier und Landschaft. Was fasziniert Sie an diesem Zusammenwirken so?

Horvath: Diese Sicht entspricht wahrscheinlich meinem Versuch, die Welt generell zu begreifen. Bei meiner Arbeit bewege ich mich gern an "Schnittstellen", dort, wo verschiedene Welten zusammenkommen. Ich glaube nicht, dass sich Zusammenhänge am besten über einen Protagonisten erklären lassen. Im Dokumentarfilm sieht man oft eine - vielleicht vom Spielfilm übernommene - starke Abhängigkeit von zentralen Gestalten, die den Betrachter führen. Indem er eine solche vorschiebt, nimmt sich der Filmemacher scheinbar selbst zurück, und es entsteht die Illusion, dass wir Menschen das Leben nach dramaturgisch geordneten Prinzipien erfahren. Das glaube ich nicht.

OÖN: Beide sind sehr radikale Dokumentarfilme. Verfolgen Sie die Dokumentarfilmszene in Österreich, die gerade in letzter Zeit durch die Arbeiten von Geyrhalter und Seidl für Furore sorgte?

Horvath: Nikolaus Geyrhalter hat mir nach der Vorführung von "The Silence of Green" gesagt, er hätte den Musikteil am Schluss rausgelassen. Ich habe geantwortet, der Musikteil müsse bleiben. Mich interessiert das Metaphysische, das Geheimnisvolle am Film - und an der Welt. Ich habe immer das Gefühl, dass das Medium Film als Kunstform missbraucht wird, wenn ich eine penible, reine Dokumentation der Vorgänge sehe. Aus diesem Grund schätze ich übrigens gerade Ulrich Seidls Dokumentationen sehr. Sie funktionieren auf mehreren Ebenen.

OÖN: Wie geht es Ihnen beim Drehen. Hilft der Blick durch das Objektiv zur emotionalen Distanzierung?

Horvath: In dieser Hinsicht unterscheiden sich die zwei Filme für mich wesentlich: Wenn man akzeptiert, dass der Mensch sich seit jeher von Tieren ernährt, können die Szenen aus "Poroerotus" nicht wirklich schockieren. Das alles gehört zur komplexen Beziehung zwischen Mensch und Tier und sieht auf einem oberösterreichischen Bauernhof nicht viel anders aus. Es war nie unser Anliegen, Rentierzüchter zu denunzieren. "The Silence of Green" hingegen ist aggressiver angelegt. Dieser Film ist wie ein wütender Aufschrei. Ein Protest gegen das Vorgehen einer respektlosen Regierung. In diesem Film habe ich mich emotional stärker eingebracht.

The Silence of Green

Den Hintergrund bildet die Maul- und Klauenseuche im Jahr 2001 in England. Horvath konzentriert sich auf Yorkshire, wo Millionen Tiere abgeschlachtet wurden, obwohl wahrscheinlich nur ein Viertel davon infiziert waren. Der Film wird auf der Tonebene von den Kommentaren der betroffenen Bauern begleitet, während sich die Kamera immer wieder neue Wege sucht. Zur elegischen Musik von Samuel Barber taucht die Kamera in die Gemälde des Landschaftsmalers John Constable ein, während sie in anderen Einstellungen Bilder von den Abschlachtungen, von den Greifarmen der Bagger, die Tonnen von Kadavern in Container kippen, wiedergibt. Der Zuschauer wird Zeuge einer Tötungsmaschinerie, als würde ein Reporter aus einem Bürgerkriegsgebiet berichten. Zwischen den Bildern und Tönen formt sich ein Porträt europäischer Agrarpolitik, die ohne Rücksicht auf finanzielle Verluste, aber vor allem ohne jegliche Wertschätzung des Lebens, ihren Weg durchsetzt.

Freitag, 28. 2., 21 Uhr

Poroerotus

Ein idyllisches Bild: Rentiere, die in einem Wald ihre Freiheit genießen. Bald schon setzt hektisches Herumhetzen ein. Die Tiere werden eingefangen und in Pferche getrieben. Sie werden gezählt und markiert, ein Ritual, das in Finnland Poroerotus (Rentierselektion) genannt wird. Andreas Horvath und Clemens Haider haben mit flexibler Handkamera und extremem Weitwinkelobjektiv einen Film in Form einer dreisätzigen Symphonie (Musik: Jean Sibelius) gedreht. In Bildern, die teilweise an die Grenze des Erträglichen gehen, gelingt es, einen Einblick in die Beziehung zwischen Mensch und Tier, zwischen Leben und Tod zu vermitteln. Die Lakonie der Schlachter, die Panik der Opfer - die Assoziationen könnten nicht eindeutiger sein (45 min).


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