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30.10.2001 - Ausstellung
Himmelspaläste voll lastender Erinnerung
Anselm Kiefer ist nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder eine Ausstellung im deutschsprachigen Raum gewidmet. In der Basler Foundation Beyeler kann man in seine mythischen Räume versinken.


Wie von einem Kind zusammengefaltet schwebt ein bleiernes Flugzeug über einer gemalten Skyline. Ein erschreckend aktuelles Bild, eingeprägt in das kollektive Gedächtnis der Jetztzeit. Geschaffen wurde es von Anselm Kiefer schon 1997. "Lilith" nannte es der große deutsche Maler nach der Dämonin aus der jüdischen Mythologie, die einst gegen Adam kämpfte und später ihre Teufel ausschickte. "Ich denke zeitlich nicht linear", sagt Kiefer kryptisch und nährt seinen Mythos als zurückgezogener, rätselverhangener Künstler.

Seit seinen Anfängen in den siebziger Jahren beschäftigt er sich mit mächtigen Themen der Menschheit: der Schuld des Nationalsozialismus, der altdeutschen Sagenwelt, der Alchimie, uralten Überlieferungen verschiedenster Kulturen. Die Basler Foundation Beyeler zeigt bis 2. Februar 2002 nach zehn Jahren die erste große Personale des in Frankreich lebenden Malers, der wohl zu den bedeutendsten und erfolgreichsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit zu zählen ist.

Die Reise durch Kiefers eigentümliche Bilderwelt beginnt in Basel am Fuß einer fünf Meter hohen Pyramide: Fein geschichtet, sandverweht ragt sie auf. "Dein und mein Alter und das Alter der Welt" heißt es neben der Spitze. Ein Zitat von Ingeborg Bachmann, der das Bild gewidmet ist. Welche Maße zählen hier? Wie positioniert man sich gegenüber einem derart aufgeladenen Bild? Zwei Möglichkeiten gibt es, sich Kiefers Werk zu nähern: Man betritt vorsichtig seine Welten, tastet sich durch menschenleere Weiten oder bleibt in skeptischer Distanz ganz einfach draußen.

Das Eintreten hat der Kurator der Schau und Leiter der Foundation, Markus Brüderlin, diesmal einfach gemacht: Die Ausstellung konzentriert sich auf Kiefers Räume, beginnend mit den Dachböden von 1973 über die steinernen Hallen und den Lehmarchitekturen bis zu seinen Kosmos- und Sternenbildern, mit denen sich der 56jährige Maler heute beschäftigt. Im lichtdurchfluteten Bau von Renzo Piano wurden 25 Gebilde Kiefers montiert, bis zu vier Meter hoch und neun Meter breit. Tonnenweise Blei, Sand, Stroh, Frauenhaar, Sonnenblumenkerne haften auf den Leinwänden.

Allgemeinheit der Schuld

Kiefers Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands, die er eindringlich in seinen monumentalen Bildern, tonnenschweren Blei-Skulpturen und umstrittenen Aktionen verarbeitet hat, löste in den siebziger Jahren Diskussionen, Anfeindungen aus. 1945 in Donaueschingen geboren, begann er früh, sich mit der Schuld seiner Elterngeneration zu konfrontieren, die in der Nachkriegszeit lieber verschwiegen wurde.

Schicht für Schicht deckte Kiefer die kollektiven Erinnerung auf, provoziert mit seiner Kunst rücksichtslos Assoziationen, die man nicht gerne zuläßt. Nur bei oberflächlichem Blick wirken die Bilder plakativ, bei längerem Verweilen aber zu verrätselt, um eine eindeutige Aussage zu entschlüsseln und sich mit dieser Erkenntnis in eine tröstende Allgemeinheit der Schuld zurückziehen zu können.

Schwer fällt es, bei einem so aufgeladenen Werk die nicht so bekannten Arbeiten der letzten zehn Jahre losgelöst von der einstigen Aufarbeitungs-Thematik zu sehen. Die 1995 begonnenen Kosmos- und Sternenbilder führen ins All. Auf dunklem Grund werden Sternpositionen markiert, Gestirne durch Lichtlinien verbunden. Kleine Bleihemdchen schweben vor Milchstraßen - stellvertretend für Ungeborene.

Die Hemdchen begegnen wieder in der Serie "The secret life of plants". Auf gipsüberzogenen Halmen und Hölzern wachsen sie. Sonnenblumenkerne schwirren wie Bienenschwärme, verdichten sich zu Sonnenblumen. "Sol invictus" (1995) heißt das fast fünf Meter hohe Schlüsselwerk dieser neuen Zuwendung zur Natur. Traurig neigt die Blume ihren Kopf, Sonnenblumenkerne ergießen sich auf eine zu ihren Wurzeln liegende männliche Figur.

Die erdrückende Wirkung von Kiefers Bildern wurde mit anderen Inhalten nicht leichter zu tragen. Die symbolbehafteten Materialien und Inschriften lassen seine geschichteten Welten immer undurchdringlicher werden. Auch die Stiegen-Fragmente, zu sehen auf den sieben Gouachen, extra für die Schau geschaffen, führen nicht zur Erlösung aus der labyrinthischen Gedankenwelt - bieten keinen sicheren Halt, weisen kein erfaßbares Ziel. Ihr Name gab der Ausstellung den filigranen Titel: "Die sieben Himmelspaläste".



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