Wie von einem Kind zusammengefaltet schwebt ein bleiernes
Flugzeug über einer gemalten Skyline. Ein erschreckend aktuelles Bild,
eingeprägt in das kollektive Gedächtnis der Jetztzeit. Geschaffen wurde es
von Anselm Kiefer schon 1997. "Lilith" nannte es der große deutsche Maler
nach der Dämonin aus der jüdischen Mythologie, die einst gegen Adam
kämpfte und später ihre Teufel ausschickte. "Ich denke zeitlich nicht
linear", sagt Kiefer kryptisch und nährt seinen Mythos als
zurückgezogener, rätselverhangener Künstler.
Seit seinen Anfängen in den siebziger Jahren beschäftigt
er sich mit mächtigen Themen der Menschheit: der Schuld des
Nationalsozialismus, der altdeutschen Sagenwelt, der Alchimie, uralten
Überlieferungen verschiedenster Kulturen. Die Basler Foundation Beyeler
zeigt bis 2. Februar 2002 nach zehn Jahren die erste große Personale
des in Frankreich lebenden Malers, der wohl zu den bedeutendsten und
erfolgreichsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit zu zählen ist.
Die Reise durch Kiefers eigentümliche Bilderwelt beginnt
in Basel am Fuß einer fünf Meter hohen Pyramide: Fein geschichtet,
sandverweht ragt sie auf. "Dein und mein Alter und das Alter der Welt"
heißt es neben der Spitze. Ein Zitat von Ingeborg Bachmann, der das Bild
gewidmet ist. Welche Maße zählen hier? Wie positioniert man sich gegenüber
einem derart aufgeladenen Bild? Zwei Möglichkeiten gibt es, sich Kiefers
Werk zu nähern: Man betritt vorsichtig seine Welten, tastet sich durch
menschenleere Weiten oder bleibt in skeptischer Distanz ganz einfach
draußen.
Das Eintreten hat der Kurator der Schau und Leiter der
Foundation, Markus Brüderlin, diesmal einfach gemacht: Die Ausstellung
konzentriert sich auf Kiefers Räume, beginnend mit den Dachböden von 1973
über die steinernen Hallen und den Lehmarchitekturen bis zu seinen Kosmos-
und Sternenbildern, mit denen sich der 56jährige Maler heute beschäftigt.
Im lichtdurchfluteten Bau von Renzo Piano wurden 25 Gebilde Kiefers
montiert, bis zu vier Meter hoch und neun Meter breit. Tonnenweise Blei,
Sand, Stroh, Frauenhaar, Sonnenblumenkerne haften auf den Leinwänden.
Allgemeinheit der Schuld
Kiefers Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit
Deutschlands, die er eindringlich in seinen monumentalen Bildern,
tonnenschweren Blei-Skulpturen und umstrittenen Aktionen verarbeitet hat,
löste in den siebziger Jahren Diskussionen, Anfeindungen aus. 1945 in
Donaueschingen geboren, begann er früh, sich mit der Schuld seiner
Elterngeneration zu konfrontieren, die in der Nachkriegszeit lieber
verschwiegen wurde.
Schicht für Schicht deckte Kiefer die kollektiven
Erinnerung auf, provoziert mit seiner Kunst rücksichtslos Assoziationen,
die man nicht gerne zuläßt. Nur bei oberflächlichem Blick wirken die
Bilder plakativ, bei längerem Verweilen aber zu verrätselt, um eine
eindeutige Aussage zu entschlüsseln und sich mit dieser Erkenntnis in eine
tröstende Allgemeinheit der Schuld zurückziehen zu können.
Schwer fällt es, bei einem so aufgeladenen Werk die nicht
so bekannten Arbeiten der letzten zehn Jahre losgelöst von der einstigen
Aufarbeitungs-Thematik zu sehen. Die 1995 begonnenen Kosmos- und
Sternenbilder führen ins All. Auf dunklem Grund werden Sternpositionen
markiert, Gestirne durch Lichtlinien verbunden. Kleine Bleihemdchen
schweben vor Milchstraßen - stellvertretend für Ungeborene.
Die Hemdchen begegnen wieder in der Serie "The secret
life of plants". Auf gipsüberzogenen Halmen und Hölzern wachsen sie.
Sonnenblumenkerne schwirren wie Bienenschwärme, verdichten sich zu
Sonnenblumen. "Sol invictus" (1995) heißt das fast fünf Meter hohe
Schlüsselwerk dieser neuen Zuwendung zur Natur. Traurig neigt die Blume
ihren Kopf, Sonnenblumenkerne ergießen sich auf eine zu ihren Wurzeln
liegende männliche Figur.
Die erdrückende Wirkung von Kiefers Bildern wurde mit
anderen Inhalten nicht leichter zu tragen. Die symbolbehafteten
Materialien und Inschriften lassen seine geschichteten Welten immer
undurchdringlicher werden. Auch die Stiegen-Fragmente, zu sehen auf den
sieben Gouachen, extra für die Schau geschaffen, führen nicht zur Erlösung
aus der labyrinthischen Gedankenwelt - bieten keinen sicheren Halt, weisen
kein erfaßbares Ziel. Ihr Name gab der Ausstellung den filigranen Titel:
"Die sieben Himmelspaläste".
© Die Presse | Wien