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Raimar Stange Die Skulptur ‹Hohlwelt› von Dorothee Golz gehörte zu den Entdeckungen der letzten documenta. Wie die Künstlerin auch in ihrem übrigen Werk das Verhältnis von Innen und Aussen unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten einer psychologischen, manchmal pseudowissenschaftlichen Recherche unterzieht, dies ist jetzt in zwei Galerieausstellungen in Düsseldorf und Berlin absehbar.
Die Innenwelt der Aussenwelt als Innenwelt

Zu den ‹Inspektionen› der Dorothee Golz

links: Dorothee Golz, 1997
rechts: Kommunikationsmodell, 1997 Gips, Kaffee, 8 x 36 x 36 cm

Arbeiten von Dorothee Golz sind bis zum 11.7. in der Galerie Maier-Hahn in Düsseldorf zu sehen und vom 20.6.–29.8. in der Galerie Arndt & Partner in Berlin.

Die Welt – ein Schnittstellenproblem: mögliche Gegensätze wie Privatheit und Öffentlichkeit, Intelligibles und Sinnliches, Innen und Aussen sowie Ich und Du halten unser Leben täglich in Spannung. Gegensätze, die Dorothee Golz in ihrer künstlerischen Arbeit einer so spielerischen wie scheinbar wissenschaftlichen Analyse unterzieht. Und dabei fasziniert ist von der ‹psychologischen Dynamik, die sich hinter scheinbar Eindeutigem und Vertrauten verbirgt›.

Bubble Boy  Eine transparente, kreisrunde Blase mit einem Durchmesser von zwei Metern, erfüllt den Raum mit seiner so evidenten wie geheimnisvollen Präsenz. In der Blase steht ein weisser, optisch leicht ‹verzerrter› Stuhl im Stil eines modernen, sterilen Bürodesigns und eine weisse, gebrauchsuntüchtige Stehlampe, ebenfalls in einer ‹Froschaugenoptik›. Dazu ein wiederum weisses, amorphes Gebilde, das von fern an den Formenkanon von Hans Arp erinnert. Diese ‹Hohlwelt›, 1996, inszeniert ein geschlossenes, aber durchsichtiges System, eine kleine (private) Lebenswelt, die (öffentliche) Ein- und Durchsicht erlaubt, aber Eintritt und Durchgang verwehrt. Vielmehr nämlich liegt die Qualität dieser ästhetischen Meta-Modellsituation in der Formulierung des Schnittstellenproblems unseres Daseins.

So wird das Bild des ‹Bubble-Boys›1 in der Physik genutzt, um die Möglichkeit darzustellen, dass die von uns wahrgenommene Realität nur die Innenwelt, die sogenannte ‹Endoseite›, einer nicht erkennbaren Aussenwelt ist. Der ‹Bubble-Boy› lebt in diesem Modell in einer sterilen Blase und kommuniziert aus dieser nur durch eine externe Schnittstelle. Diese sich in der Aussenwelt befindende Schnittstelle programmiert als imaginäre Beobachterposition die Realitätswahrnehmung und die Handlungen des ‹Bubble-Boys›. Dorothee Golz übersetzt dieses Modell in den Ausstellungskontext und macht es dadurch fruchtbar als Paraphrase auf unsere Wahrnehmung nicht nur von Kunst: als ‹Aussenseiter› eben tritt der Rezipient an das Objekt seiner interpretierenden Begierde heran, der Eintritt in die Welt des Anderen – hier: des Künstlers – ist immer nur ein scheinbarer. Und doch liefert diese vermeintliche Identifikation durchaus Erkenntnis und Sinneseindruck: die Annahme einer Welt ausser uns ist eben wohl mehr als nur eine Täuschung.

Die Lust im Objekt  ‹Aus den Dingen schwindet die Wärme. Die Gegenstände des täglichen Gebrauchs stossen den Menschen sacht aber beharrlich ab›, klagte schon Walter Benjamin. Dorothee Golz setzt mit ihren frühen Objekten sowohl an der von Benjamin konstatierten Kälte der Dinge wie an ihrer Sachtheit an und verstärkt dann das letztere Moment konsequent. So beispielsweise in dem Ensemble ‹Necessaires›, 1990: Durch den Gebrauch des ‹gefühlsechten›, knautschigen und rotlackierten Kunstleders fetischisiert sie diese Objekte genau so wie durch das eindeutig zweideutig kodierte Element Reissverschluss. Ausserdem spielen die einzelnen Objekte in ihrer Formensprache an Dinge des täglichen Gebrauchs wie Etui oder Thermoskanne an, nie aber lassen sie sich eindeutig dieser Funktionalisierung zuschreiben. Auch durch diese Vielsprachigkeit erotisiert Golz ihr ‹Necessaires›: ‹der Text der Lust, das ist das glückliche Babel›2. Alles in allem gewinnt die Künstlerin ihren Objekten so genau die Wärme ab, die Benjamin an der abstossenden Aussenwelt der Dingwelt vermisste. ‹Wir verleihen mehr der Sehnsucht Ausdruck als der Wahrheit›, sagt dann auch Dorothee Golz. Einer Sehnsucht, die oftmals unvermutet in der Innenseite der alltäglichen Gegenständen schlummert. ‹Viele Dinge erhalten z.B. erotische Formen, obwohl das von ihrem Gebrauchswert völlig überflüssig ist›, beteuert die Künstlerin und stellt als Beweis einfach eine fleischfarbene Autositzauflage hochkant an die Wand: ‹Ohne Titel›, 1996.

Sit-In  Statt auf Material, Farbe oder Form setzen die aktuellen Objekte von Dorothee Golz im Versuch der Psychologisierung der Dinge auf deren Funktionsweise als Nahtstelle zwischen Mensch und Mensch. Da ist beispielsweise ihr ‹Kommunikationsmodell›, 1997: zu Einheiten aus zwei und drei Tassen zusammengefügt, geben diese Trinkgefässe der Sehnsucht nach kollektivem Trinkgenuss und dem dabei stattfindenden Austausch einen quasi fröhlich-absurden Ausdruck. Oder da ist die serielle Arbeit ‹Stapelstühle›, 1997, bei der das Schnittstellenproblem den Objekten ebenfalls konkret die Form gibt. Ist es doch so, als wäre eine Reihe nebeneinanderstehender Stühle so durchgeschnitten, als hätte dabei jeder Stuhl seinem benachbarten jeweils einen Drittel der Sitzfläche abgegeben. Werden diese so zugerichteten Stühle auseinandergerückt, dann lässt sich hier natürlich nur noch arg ungemütlich platznehmen, fehlt doch besagtes Drittel der ‹besitzbaren› Fläche – und dies obwohl man gleichsam auf dem Stuhl des Nachbarn sitzt. Was bleibt? Wieder zusammengerückt ergibt sich das ungetrübte Sitzgefühl ohne Reibungsverluste und mit optimalem Informationsaustausch zwischen den an den Übergangsstellen der Stühle Sitzenden – eine Parabel, die wohl kaum mehr der Erklärung bedarf.

Sensibler Datenblock  Die Zeichnungen von Dorothee Golz schliesslich greifen verschiedene Strategien ihrer Objekte auf und übersetzen diese auf die Fläche des Papiers. Wieder werden nämlich standardisierte Daten, Anspielungen auf den Alltag des Haushalts sowie klischeehafte Vorbilder aus der Welt der Medien und der Forschung benutzt. Das vorhandene Vokabular wird dabei in sensibel aufgezeichnete Datenmengen umcodiert und in ein ‹leichtfertiges› Spiel narrativer Mehrdeutigkeit verwoben. Erneut wird der Betrachter in einen eindeutig mehrdeutigen, überaus lustvollen, gleichzeitig aber auch unterkühlt und beklemmenden Kosmos eingeschleust.

Noch ein weiteres Schnittstellenproblem aber wird in den Zeichnungen vorgeführt, nämlich das vom Intelligiblen und dessen sinnlicher Darstellung. So ist auf der ‹Wissenschaftlichen Analyse eines nicht gelungenen Tages›, 1996, ein Forschungsteam beim Beobachten einer Kette zu sehen, die eine Anspielung auf das Objekt ‹Gelungene und weniger gelungene Tage›, 1996, von Dorothee Golz ist. Die Kette der Zeichnung und das Objekt – beides sind so etwas wie der absurde Versuch, ein Psychogramm, also gleichsam die Innensicht eines Monats zu visualisieren.

Auf dem Blatt ‹Frauen und die 4. Dimension›, 1995, ist eine stilisierte Hausfrau gezeichnet, die einem idealen Quader die 4. Dimension heraussaugen möchte. Alltag als Zeit und die Zeit als fast schon philosophische Tücke – wer meint nicht ‹davon ein Lied singen zu können›?!

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Ausgabe: 06 / 1998
Autor/in: Raimar Stange
Künstler/in: Dorothee Golz

 

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