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Ausstellung: Die Schamanen aus dem Rohstoffreich

13.12.2009 | 18:18 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Wie arbeiten Künstler in Zentralasien? Sie leben in islamischen Gesellschaften, in Ländern, die einst zur Sowjetunion gehörten. „Changing Climate“ im Wiener WUK blickt in ihr Laboratorium neuer Medien.

Dicht gedrängt schubsen und stoßen sie sich auf ihren Pferden hin und her, schreien durcheinander und versuchen, irgendetwas zu ergattern. „Der Kampf um das Quadrat“ nennt Abilsaid Atabekov sein Video. Atabekov stammt aus Kasachstan und zeigt hier eine kurze Szene des Nationalspiels „kokpar“. In anderen Regionen „buzkahsi“ genannt, versuchen in diesem Spiel zwei Reiterteams ein totes Schaf oder ein Kalb über die Ziellinie zu tragen. Ungefähr siebzig Kilo wiegt dieser „Spielball“ – eine enorme Herausforderung an die Geschicklichkeit der Reiter.

Atabekov färbt die kurze Szene mit den Bildern von Nationalflaggen ein. So simpel diese Kombination klingt, so komplex sind doch die davon ausgelösten Assoziationen. Der Künstler selbst spricht von einem symbolischen Bild für die westliche, neoliberale Marktgesellschaft, die um jeden Quadratmeter kämpft. Gleich im Eingang auf den Boden der Kunsthalle Exnergasse projiziert, liegt natürlich auch die Anspielung auf die sich gegenseitig abdrängende Konkurrenz im Kunstmarkt nahe – der Kampf einzelner Künstler, aber auch der nationalen bzw. mehr und mehr regional gefassten Kunstszenen. Denn schon steht Zentralasien als nächster Trend des Kunstmarkts in den Startlöchern.

 

Acht Künstler, 17Videos

Aber die Kunsthalle Exnergasse ist keine Galerie und auch keineswegs bekannt für marktgängige Ware. Da verwundert es dann auch nicht, dass hier keine repräsentative, umfassende Übersichtsausstellung zu sehen ist, sondern eine kleine, feine, von Gastkurator Stefan Rusu zusammengestellte Auswahl an neuen Medien und Videokunst aus Zentralasien. Acht Künstler zeigen siebzehn Videos. Die meisten leben in Kasachstan, dem neuntgrößten Land der Erde, das zu den rohstoffreichsten Nationen gehört.

Schon wird von einem „nächsten Abu Dhabi“ gesprochen, so viel Reichtum versprechen die Eisenerz-, Zink- und Uran-, Gold-, Kupfer- und Nickelvorkommen. Bereits jetzt entwickelt sich Kasachstan zum Zentrum der noch jungen zentralasiatischen Kunstszene, die innerhalb von zehn Jahren zur festen Konstante jeder größeren, globalen Gruppenausstellung geworden ist. Ob in Venedig, Moskau, Singapur oder Montreal, keine Biennale kommt mehr ohne Künstler aus dieser Region aus. Erst 1991 zu unabhängigen Staaten geworden, nehmen die auf „-istan“ endenden Länder seit 2005 mit einem zentralasiatischen Länderpavillon an der Biennale in Venedig statt. Die Endung auf „-istan“ bedeutet übrigens „Land von“. Auf der diesjährigen Istanbul-Biennale war eine der zentralen Positionen das facettenreiche Werk von Vyaceslav Akhunov, der auch hier in der Kunsthalle Exnergasse mit vier Videos prominent vertreten ist.

Thema der insgesamt siebzehn Videos ist das Fremd- und Eigenbild dieser Region: Als Sinnbild einer zentralasiatischen Identität lässt sich Erbolsyn Meldibekov an verschiedenen Orten wieder und wieder ohrfeigen; die junge Mumtoz Kamolzoda zeigt eine Performance, die in Duschanbe und in Wien stattfand und ihre Rolle als Immigrantin thematisiert, und Alexandr Ugay lässt in seinem Video „Bastion“ Wladimir Tatlins berühmtes „Monument der Dritten Internationale“ als Inbild einer – gescheiterten – politischen Utopie wie ein Schiff vorbeisegeln.

 

Derwische als Referenz

Die Bezüge reichen bis hin zu schamanischen Kulturen und islamischen Traditionen, was im westlichen Kontext ausgestellt allerdings auch Unverständnis beinhaltet: Akhunov zeigt einen endlosen Treppenaufstieg, an dessen Ende doch wieder nur der Abstieg steht; in seinem zweiten Video stellt sich ein Mann immer wieder in verschiedenste Ecken. In der kleinen Katalogbroschüre wird die spirituelle Anschauung der Derwischtradition als Referenz genannt. In unserer Kultur allerdings assoziieren wir eher die endlose Mühsal von Sisyphos und die Scham des Eckestehens.

Vielleicht sind es gerade solche kulturellen Unterschiede, die die Faszination solcher regional ausgerichteten Kunstpräsentationen ausmachen, in denen wir nicht nur Neues lernen, sondern ebenso unsere Stereotypen und Klischees gespiegelt sehen – und im besten Fall korrigieren können.


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