Kultur

"Die Rückkehr zur Schlossfassade"

18.12.2007 | SN
Der Staat überlasse die Kulturpolitik mehr und mehr den Privaten. Dies bedeute eine Refeudalisierung, kritisiert der Künstler und Kurator Peter Weibel. SIBYLLE FRITSCH

Sibylle Fritsch Interview In Berlin wird das alte Stadtschloss, einst Sitz der Könige von Preußen und der Kaiser des Deutschen Reiches, wieder aufgebaut. In Wien bekommen die Sängerknaben ein neues Haus. Beide Projekte werden verwirklicht, weil Private dafür zahlen. Beide sind Beispiele, wie Private mehr und mehr die Kultur bestimmen, während der Staat sich zurückzieht. Darüber sprachen die SN mit Peter Weibel, Direktor des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.

Auf dem Kunstmarkt überschlagen sich die Preise. Investitionen in Kunstwerke können angeblich mehr Rendite bringen als Aktien. Ist der Kunstmarkt eine Blase? Weibel: Nein, Kunst ist der viertgrößte Wirtschaftsfaktor der Welt. Natürlich erfüllt sie auch noch etwas anderes - sei es Aufklärung oder Schönheit. Aber man kann die Augen nicht vor der Industrialisierung der Kultur schließen.Ist das zu beklagen oder zu begrüßen? Weibel: Weder noch. Kultur war nie etwas anderes. Nur wird das jetzt in der Übersteigerung sichtbar. Die Leistungen der Renaissance- und der Barockkünstler, die wir in Kirchen und Museen bewundern, waren immer an Finanzimperien gebunden - sei es die Kirche oder Fürsten wie die Medici oder um die Jahrhundertwende an reiche Unternehmer. Die Wittgensteins waren die Gründer der Wiener Secession und die größten Waffenhändler und -schieber der Monarchie.Wo bleibt die Kunst als Medium der Gesellschaftskritik? Weibel: Es gab zwar regelmäßig Versuche, für die Bedingungen der Kunst anders zu schreiben, aber trotzdem war und ist die Kunst ein Industriefaktor.

Zum Teil werden horrende Preise für ein Kunstwerk ausgeschrieben. Wer bestimmt sie und wer bewertet? Weibel: Die Privatsammler bestimmen das. Man konnte eine Zeit lang so tun, als spielten die Museen und die Kunstkritik eine Rolle. Inzwischen erschrecken beide über ihre Machtlosigkeit, die gar nicht so neu ist. Aber wer hat sich damit beschäftigt, dass der Impressionismus von amerikanischen und russischen Millionären gekauft worden ist?

"Das Bürgertum hatte es satt, ständig pathetische Engel zu sehen." Es fehlt an kulturhistorischer Ausbildung, sonst würde mehr herausgearbeitet werden, wie beispielsweise der Übergang vom Barock zum Rokoko stattgefunden hat: Das Bürgertum hatte es satt, ständig pathetische Engel zu sehen, man wollte Sex und nackte Frauen. Die wurden zwar mythologisch eingekleidet als Aphrodite oder Venus, aber in Wahrheit handelte es sich um den "Playboy" der damaligen Zeit. So haben Gesellschaftsmaler eine Stilrichtung durchgesetzt. Private Laster und Interessen sind öffentliche Werte geworden. Die Privatsammler haben den Geschmack schon damals verdorben. Heute ist es genauso, dass Leute mit vulgärem Geschmack - wie der Sammler Flick - diesen ihren vulgären Geschmack durch Künstler legitimieren wollen.

Wie fühlen Sie sich als Museumsdirektor, wenn Stile von privaten Interessen geleitet sind? Weibel: Ohnmächtig. Konkret läuft das so: Als ich vor mehr als zehn Jahren den Südtiroler Künstler Rudolf Stingl in Graz ausgestellt habe, hatte ich weder Presse noch Besucher. Seit der Sammler Pinault, der den Palazzo Grassi in Venedig gekauft hat, den Rudolf Stingl entdeckt hat, kosten dessen Arbeiten je 1,1 Mill. Dollar. Manchmal spielen Vorlieben von Museumsleitern und Privatsammlern zusammen. Wenn ein Museumsleiter jemanden allein entdeckt, ist das sinnlos, wenn sich aber mehrere für einen Künstler entschließen, dann hat das einen Effekt. Das nennt man Netzwerk. Das Vernetzen ersetzt das Werk. "It works if it networks."Wie beeinflusst der Staat die Wertigkeit von Kunst? Weibel: Der Staat kümmert sich nicht darum. Die Republik Österreich hat zum Beispiel mit der Sammlung Leopold eine Privatsammlung um viele Millionen Euro gekauft. Mit diesem Geld hätte man durch ausgewählte Ankäufe Kunstpolitik machen können, aber das interessiert die öffentliche Hand nicht. Wir haben das Feld den Privaten überlassen, und jetzt erschrecken wir über etwas, das es schon lange gibt: den Rückzug des Staates aus dem Kulturengagement.

Welche Rolle spielen die Galerien im Kunstmarkt? Weibel: Die Galerien sind die Berater der Privatsammler. Das heißt einmal mehr, dass private Werte die Kunstgeschichte bestimmen. Galerien und Privatsammler sind die eigentlichen Player.Wie konnte die Macht des Marktes so offensichtlich werden? Weibel: Weil die Medien mittun, weil es ihr Lieblingssport geworden ist, Rankings zu erstellen, seitenweise von Auktionen sowie darüber zu berichten, welches Kunstwerk das teuerste ist. Dagegen kommt kein Museum an - obwohl es viele gibt, die sich bemühen, wichtige neue Künstler auszustellen."Die Rückkehr zum ,Ancien Régime‘ hat begonnen." Was ist neu im Kunstbereich? Weibel: Die Rückkehr der Schlossfassade. Wie sonst kann man in einer Republik wie Deutschland ernsthaft in Berlin ein Schloss wieder aufbauen wollen? Und wie kommt es, dass ein Hasso Plattner von der SAP AG erpresserisch sagt: Ich gebe Potsdam 20 Millionen Euro, aber nur, wenn das Schloss wieder aufgebaut wird. Wie können private Milliardäre den öffentlichen Raum bestimmen und das öffentliche Kunstsystem mit ihrem privaten Geschmack refeudalisieren? Auch im sozialdemokratischen Wien ist soeben beschlossen worden, im Augarten mit Geld eines Privaten ein Gebäude für die Wiener Sängerknaben zu bauen.

Das ist ein Skandal, der zeigt, dass viele Menschen keine Ahnung von Demokratie haben. Das Neue ist das Dagewesene. Die Rückkehr - nach der Aufklärung - zum "Ancien Régime" hat begonnen. Das zeigt auch das Kunstsystem.

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