text breit  text schmal  
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
31. Juli 2004
19:31 MESZ
Von Peter Vujica
 
Foto: APA / Artinger
Hermann Nitsch auf den mythischen Spuren von Richard Wagners "Parsifal": Der Gral am kommenden Wochenende als Motiv des Orgien Mysterien Theaters in Prinzendorf

Der Gralskönig wird in Prinzendorf erlöst
Was Hermann Nitsch an der Staatsoper nicht vollbringen konnte, eine Realisierung des "Parsifal", versucht er nun als "Orgien Mysterien Spiel" in Prinzendorf

Wien - Wenn die Zufälle eine gewisse Dichte erreichen, spricht man von Trend. So lässt sich nach einem Parsifal an der Staatsoper und einem noch ganz frischen in Bayreuth und vor einer kultischen Parsifal-Paraphrase, die Hermann Nitsch vom morgigen Samstag bis zum Sonnenaufgang des Montag vor seinem Schloss in Prinzendorf ablaufen lässt, schon fast von einem solchen Trend sprechen. Auch wenn der Prinzendorfer Parsifal mit jenem von Wagner nur wahlverwandt ist.

Besonders dann, wenn ein Parsifal dem anderen entsprießt, wie der morgige in Prinzendorf jenem, der in der vergangenen Spielzeit an der Staatsoper Premiere hatte. Natürlich nicht in Inhalt und Gestalt. Den Ausschlag für die Integrierung des Parsifal-Stoffes in das morgige 2-Tage-Spiel des Orgien Mysterien Theaters gibt vielmehr Hermann Nitschs nach mehreren Gesprächen mit Ioan Holender, der Regisseurin und dem Dirigenten doch nicht realisiertes szenisches Parsifal-Projekt an der Staatsoper.

Wagner-Deutung

Zweifellos wäre Nitsch ein berufener Gestalter von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel gewesen. Legte er doch schon vor bald zehn Jahren in seinem fast 1000 Seiten starken Zweiten Versuch zur Theorie des Orgien Mysterien Theaters (Residenz Verlag) eine der hellsichtigsten geistesgeschichtlichen und psychologischen Interpretationen der Werke Wagners vor.

Die Grundaussage der von Hermann Nitsch erstellten Wagner-Diagnose besagt, dass in seinen Musikdramen weniger das Faktische der Mythen dargestellt ist als vielmehr das Archetypische, das aus dem kollektiven Unbewussten in sie einfloss. Wagners Werk als Protokoll einer in Vorwegnahme von Sigmund Freuds an sich selbst vorgenommenen Psychoanalyse.

Und in Kompensation der zu Wagners Zeit noch allgemein gebotenen Verdrängung des Eros wurde sein Werk, insbesondere seine Musik nach Nitsch zu einer einzigen Beschwörung desselben.

Der Parsifal scheint ihm dafür ein besonders schlagkräftiges Beispiel. Die Wunde des Amfortas steht für Nitsch in unfixierter Ambivalenz sowohl für die Seitenwunde Christi als auch für die weibliche Scham. So sind Werden und Sünde untrennbar miteinander verbunden, ebenso wie Leiden und Leben.

Das Blut, die lebensnotwendige Nahrung der Gralsritter, quillt bei der Enthüllung des Gral aus der Wunde des in diesen Momenten vor Schmerzen schreienden Amfortas. Die Scham, deren bildliche Entsprechung, gewinnt wörtliche Bedeutung, ist die Wunde doch strafende Erinnerung an den Fehltritt des Amfortas mit Kundry.

Soweit folgt Nitsch noch der Legende. Bei der Erlösung allerdings weicht er von dieser ab. Die Wunde schließt sich nicht, weil Parsifal, von Mitleid mit Amfortas erfasst, dessen Wunde mit demselben Speer heilend berührt, mit dem sie einst geschlagen wurde. Vielmehr wird bei Hermann Nitsch der Zuschauer selbst zu Parsifal. Nur durch die "natürliche Bejahung des Lebens" kann die "kollektivneurotische" Amfortas-Schuld getilgt werden.

Allein durch intensive Selbsterfahrung vollzieht sich erlösende Transzendenz. Der Gral wird zur Essenz der Lebendigkeit, zum elementar erfühlten Sein.

Der Gral wird durch Geschmack, Geruch, Farbe, Klang und das Tasterlebnis und auch im geschlachteten Tier, in der Leere des aufgeklafften Tierkörpers wahrgenommen. Seine Botschaft übermittelt sich durch die Landschaft, durch die Sonnensysteme. Sie ist der Grundexzess, Urknall, die Tragik des Todes, der ekstatische Jubel der Auferstehung.

"Das Unbewusste spricht aus dem Traum der Kunst, die verdrängte Lebendigkeit zeigt sich, der Speer wird zum Phallussymbol. Die Lebensbejahung ist uns Erlösung." Nitschs theatralische Ästhetik ist realer Istzustand. Die Realität des Orgiastischen, die Intensivierung des Lebensgefühls soll zum Ursprung des Kultischen und zum Ursprung der Emotionen führen. Wegen der langen Dauer des diesjährigen Prinzendorfer Spieles werden sich Frauen und Männer als Darsteller des Amfortas abwechseln. Sie werden an ein totes Schwein gebunden, dem die Eingeweide einmal entnommen und dann wieder eingelagert werden.

Zum Trost für alle Tierfreunde: Keines ihrer Lieblinge wird während der Aktionen in Prinzendorf geschlachtet. Nitsch möchte dadurch vermeiden, dass Tierschutzdebatten vor, während und nach seinem Spiel dominieren. Vielmehr erklingt im Augenblick der fachmännischen Tötung des Tieres Musik.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 7. 2004)


© 2004 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.