Im MAK begann die Ausstellung des Aktionisten - statt einer
Kritik:
Ein Problem namens Otto Mühl
Von Edwin Baumgartner
Da stellt sich die Gegenposition nahezu reflexartig ein: Die
FPÖ ist gegen den Künstler, also müsste man für ihn sein. Die Frage ist
nur: Geht das im Fall von Otto Mühl? Oder kann man das Aufsehen, das
derzeit um ihn gemacht wird, sozusagen trotz der FPÖ-Attacken, als
degoutant ablehnen? Ich riskiere es: Ich halte die Aufwertung Mühls
für einen der größten kulturpolitischen Fehler, die man derzeit machen
kann. Die FPÖ argumentiert, Mühl (der sich auch "Muehl", "muehl" und
ähnlich schreibt) sei ein verurteilter Sexualverbrecher, Unzucht mit
Kindern soll er betrieben haben (er selbst behauptet, sein diesbezügliches
Geständnis sei ein Teil der Taktik seines Verteidigers gewesen). Daher, so
die FPÖ, weg mit Mühls Werken, die eben angelaufene MAK-Ausstellung sei
aus Respekt vor den Opfern Mühls zu schließen. Diese Argumentation ist
falsch. Sie geht nämlich von der irrigen Voraussetzung aus, ein
Verbrecher könne kein Künstler sein. Das aber ist Unsinn. Carlo Gesualdo
Fürst von Venosa ermordete seine Ehefrau und stellte ihre Leiche auf der
Stiege der Schlosskapelle zur Schau - seine Madrigale sind dennoch ein
(wenn nicht der) Höhepunkt der Renaissance-Musik. Jean Genet war ein
mehrfach verurteilter Dieb - und einer der bedeutendsten
französischsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Paul Verlaine beging
einen Mordversuch an Arthur Rimbaud - Verlaines Lyrik ist und bleibt ein
Meilenstein der Verskunst. Der Maler Walter Sickert kam jüngst in den
Verdacht, er könne Jack the Ripper gewesen sein - es würde seine Gemälde
nicht entwerten. Was ist im Fall Otto Mühl so grundlegend anders? Ganz
einfach: Gesualdo, Genet, Verlaine waren Genies, Sickert zumindest ein
bedeutendes Talent. Das entschuldigt nicht ihre Taten (bzw. im Fall
Sickerts mögliche Taten); aber ihre Werke können unabhängig von der
Biografie durchaus vorteilhaft gewertet werden. Mühl hingegen ist als
Künstler unbedeutend. Im Gegensatz zu den anderen Aktionisten wie Nitsch,
Brus oder Valie Export gelang es ihm nie, eine eigene Ästhetik zu
entwickeln. Mühls Arbeiten werden - im Gegensatz zu denen von Gesualdo,
Genet, Verlaine und Sickert - lediglich durch seine Biografie interessant.
Gewisse Kreise, die ich cum grano salis als "pseudo-linke Schickeria"
umreißen will, glauben, der Künstler Mühl sei verteidigenswert und
förderungswürdig, weil der Mensch Mühl in den konservativen Kreisen auf
Ablehnung stößt. Mühl spielt dieses Spiel brillant mit. In der
deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" schimpft er: "Die Österreicher sind
alle Idioten. Ein Drittel Nazi. Österreicher zu sein ist eine
Beleidigung". Mühls Geschmacklosigkeiten gipfeln dann in der Feststellung:
"Ich komme mir vor wie ein Jude. Geistiger Jude." Solche Aussagen
heizen die ohnedies bereits gegebene Polarisierung weiter an. Damit
beginnt sich eine verhängnisvolle Spirale zu drehen: Mühl wird zum
Katalysator einer zugespitzten Auseinandersetzung vermeintlich
fortschrittlicher und konservativer Kräfte. Und er wird zu diesem
Katalysator, ohne ein einziges Werk geschaffen zu haben, dem diese
Sprengkraft innewohnt. Mühl ist kein Fall Thomas Bernhard, er ist kein
Fall Elfriede Jelinek, er ist kein Fall Peter Turrini. Otto Mühl ist
in Wirklichkeit nicht einmal ein "Fall Otto Mühl". Er ist ein "Fall MAK".
Er ist ein "Fall Peter Noever", ein "Fall fehlgeleitete Kulturpolitik".
Das ist nicht nur wesentlich bedenklicher, sondern auch wesentlich
bedauerlicher. Sozialistische Kulturpolitiker wie Christine Muttonen, die
sich für Mühl engagieren, entwerten mit dieser unüberlegten Vorgangsweise
alle mutigen und fortschrittlichen Taten ihrer früheren und vieler ihrer
derzeitigen Parteigenossen zu einem reinen politischen Kalkül. Denn bei
Mühl werden künstlerische Argumente zuschanden. Und wenn man sich für
einen Otto Mühl aus taktischen Gründen einsetzt, dann könnte das
Engagement für einen Thomas Bernhard ja ebenfalls nur ein
parteipolitisches Manöver gewesen sein. Soll man die MAK-Ausstellung
schließen, wie es die FPÖ fordert? - Natürlich nicht. Es entstünde eine
Legende um die Schließung der Mühl-Ausstellung aus künstlerischen Gründen.
Daraus würden Mühl und sein Kreis eine "künstlerische Avantgardeposition"
konstruieren. Der Künstler Mühl wäre durch die Biografie des Menschen Mühl
gerettet. Und nichts wäre gewonnen. So aber besteht die Möglichkeit,
dass sich jeder selbst von der künstlerischen Potenz oder Impotenz Mühls
überzeugen kann. Und es soll jeder für sich abschätzen, ob diese Arbeiten
künstlerisch bedeutend genug sind, ihrem Urheber ein dermaßen breites
Forum zu verschaffen. Ich bin davon überzeugt: Vor einem kritischen Auge
können Mühls Werke nicht bestehen. Was bleibt, ist Geldvernichtung
unter moralisch höchst bedenklichen Umständen.
Erschienen am: 03.03.2004 |
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