"Russia" in Grafenegg

Von Sabine Oppolzer.


Nastrovje! Unter die illustren Festgäste im Hof des Schlosses Grafenegg mischen sich allerlei bizarre Gestalten: Ein russischer Soldat in Gummistiefeln, eine zu dick geschminkte Braut, ein ärmlicher Sportler mit roter Pudelmütze, und allerlei Damen mit Gewändern in schrillen Kombinationen. Lauter Figuren in leicht schäbigen Kleidern mit strahlenden Gesichtern, wie sie auch auf den Fotoarbeiten des Moskauer Künstlers Alexander Petlura zu finden sind. Es sind seine Modelle, die hier wie ein lebendig gewordenes Kunstwerk auftreten, das Buffet genießen - und tanzen.

Illegale Geschichtsforschung

Alexander Petlura wird als Sammler von Altkleidern, alten Objekten und Menschen in die russische Kunstgeschichte eingehen. In den letzten 25 Jahren hat er auf - im Übrigen verbotenen - Flohmärkten, die in den Wäldern um Moskau stattfinden, ca. 20.000 Kostüme aus allen Perioden des letzten Jahrhunderts gesammelt. Daraus komponiert er dann seine ironischen Fotoarbeiten, die jeweils 20 kostümierte Menschen mit lachenden Gesichtern zeigen. Die Titel: "Die rote Garde", "Der letzte Tango" oder "Danke für die Hilfe".


"Diese Objekte und Kleidungsstücke bedeuten Geschichte. Ich verbinde dann meine eigene Sicht mit der Geschichte dieser Dinge", sagt Alexander Petlura über seine Arbeit.

The Next Generation

Eine neue Künstlergeneration hat ganz unspektakulär begonnen, nach neuen Ausdrucksformen zu suchen und sich mit der eigenen Identität auseinander zu setzen. Nachdem eine zweite russische Avantgarde mit Künstlern wie Kabakov oder Komar die russische Kunst in den 80er und 90er Jahren ganz nach vorne katapultiert hatte, setzte nach dem Fall der Mauer ein ungeheurer Boom russischer Kunst im Westen ein.

"Der Kuss"

Nach zwei bis drei Jahren war das Interesse des westlichen Kunstmarktes erloschen und es folgten schon bald wieder Jahre der Depression. Gleichzeitig setzten auch in der Politik rückwärtsgewandte Tendenzen ein. "Auf einmal versucht man so zu tun, als hätte es die Sowjetzeit nicht gegeben, als hätte die Kunst im 19. Jahrhundert geendet", konstatiert Kuratorin Cornelia Offergeld. Diese Verleugnung von Geschichte lehnten die hier vertretenen Künstler ab. "Sie beziehen die jüngste Geschichte immer wieder in ihre Arbeiten ein", erklärt Offergeld. So auch die Künstlergruppe AES in ihren Fotoarbeiten.

Kinder und Kapitalismus

Das Hauptwerk von AES, das in der Schau zu finden ist: Im größten Rokokosaal der Welt stehen 200 Kinder in schlichter Wäsche und blicken dem Betrachter entgegen. Das Bild bezieht sich auf ein altes europäisches Märchen, "Der König des Waldes". Er fängt Kinder, nur die schönsten, und hält sie in seinem Schloss im Wald gefangen. Auch die Kinder auf dem Foto sind besonders schön: Ballerinas, Models oder kleine Leistungssportler. Diese Kinder sind für AES Gefangene der kapitalistischen Medien, wie ein Sprecher der Gruppe erklärt: "Uns interessiert, wie sich diese Kinder bewegen, wenn sie schon so früh ihre Karriere in den Massenmedien starten. Es ist ja generell so, dass Models oder Popstars immer jünger werden. Das ist eine neue Entwicklung."

Begleitprogramm

Mit der Schau "Russia", die im Rahmen der "Russischen Saison 2001" in Grafenegg gezeigt wird, wurde dieses an sich auf Musik und Literatur konzentrierte Programm auf die bildende Kunst ausgeweitet. Bis Dezember wird hier Dichtung und Musik aus Russland präsentiert.

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