Abgründige Scherenschnitte

"Ich bin die Projektionsfläche für das Andere und das Abstoßende", sagt Kara Walker über ihre Rolle als schwarze Künstlerin.


Kara Walker geht Fragen der Identitätsbestimmung, des Rassismus und sozialen Missständen nach. Ihre Arbeiten wirken zuerst harmlos und verspielt und lösen Fröhlichkeit angesichts des kindlichen Sujets des Scherenschnittes aus. Erst bei näherer Betrachtung bleibt einem das Lachen im Hals stecken.

Masters, Mummies und Uncle Toms

Untitled
Untitled
Zu sehen sind nackte oder wenig bekleidete schwarze Sklavinnen, Klischeebilder von Mummies, Uncle Toms und Masters. Manches Mal sind in gewalttätige Misshandlungen wie Strangulation und das Abhacken von Sklavenköpfen Vergewaltigungsszenen verstrickt. Oder es werden überzeichnete Stereotypen von Masters und Mistresses dargestellt, um die kleine schwarze Babys kreisen.

Ob Baumwollpflückerin oder Plantagenbesitzer, bei Kara Walker sind alle schwarz auf weißem Grund. Wer Herr ist oder Knecht, ist nur an Kleidung und Profil ablesbar. Im Gegensatz zu ihrer traditionellen Silhouette sind Walkers Südstaatengeschichten aus dem 19. Jahrhundert raumfüllend.

Der Rassismus in den Südstaaten

The Emancipation Approximation
The Emancipation Approximation
Ihre Wahl der Scherenschnitt-
technik ist auf ihre frühen Erfahrungen im amerikanischen Süden zurückzuführen, wo sie ihre Jugend verbrachte. Dort herrschte eine Sehnsucht nach romantisierter und homogenisierter Vergangenheit, die die Ära der Sklavenhaltergesellschaft behübschte und ausblendete.

Diese Sehnsucht hat ihre Ausdruckskraft in zweifelhaften Spielarten wie Liebesromanen, pornografischen Fantasien, Cartoons, alten Postkarten, Sammelfiguren und eben Scherenschnitten gefunden. Walker benutzt nun genau jene Technik des Scherenschnitts, um die verdrängten Inhalte dieser Südstaatengesellschaft bloßzulegen.

"Der Scherenschnitt ist eine fast vollkommene Lösung für ein komplexes Projekt, das ich in Angriff genommen habe; nämlich den Versuch aufzudecken, wie Rassismus und rassistische und sexistische Stereotypen auf oft subtile und unerfreuliche Weise unser tägliches Leben beeinflussen", so Walker.

Influence of the Recent Dead, 2001
Influence of the Recent Dead, 2001

Die Künstlerin als Projektsfläche

Zu den Wirkungsweisen ihrer Arbeiten, die weltweit meist begeisterte Zustimmung oder Entrüstung auslösen, meint sie: "Der Rassismus hat sich tief eingegraben in unsere Psyche. Es sind verdrängte, kollektive Fantasien, die ich zeige. Als schwarze Frau weiß ich, was das heißt. Ich bin Projektionsfläche für alles, was irgendwie anders und abstoßend ist."

Link: Kara Walker

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